Gleich zwei Tramverlängerungen auf Schiene

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Erstmals in der Geschichte der Grazer Straßenbahn wurden heute frühmorgens zwei Neubaustrecken zugleich in Betrieb genommen. Die Linie 4 fährt nun bis Reininghaus, „Smart City“ heißt fortan die Endstation des 6ers. Grund genug für die Annenpost, bei den allerersten Fahrten vor Ort zu sein.

4:40 Uhr im Dauerregen an der Haltestelle „Alte Poststraße“. Ein Fahrgast wartet bereits auf die Premiere auf der Reininghausstrecke, er entpuppt sich als ÖVP-Gemeinderat Peter Piffl-Percevic, der sich privat die Inbetriebnahme ansieht: „Ich glaube, es ist ein historischer Tag für unsere Landeshauptstadt, da gleich zwei neue Endhaltestellen durch die Verlängerung zweier Linien entstehen.“ Er habe sich bewusst dafür entschieden, die erste Fahrt nach Reininghaus statt zur Smart City mitzuerleben. Ansonsten sind keine bekannten Persönlichkeiten anzutreffen, worüber sich Lukas Wogrolly wundert, der sich selbst als „Öffi-Fan“ bezeichnet: „Ich hätte mir das hier ein bisschen anders erwartet, mit Medien und Politik. Aber das ist schon gestern künstlich gemacht worden.“ Jedenfalls wartet eine Hand voll Interessierter auf den Wagen, der aus der Remise ausrücken soll.

Es war ein langer Prozess, bis heute die mit 3,1 Kilometern größte Netzerweiterung der letzten Jahrzehnte vonstattengehen konnte. Bereits 2010 war im Masterplan für das Stadtviertel Reininghaus von einer Straßenbahnanbindung die Rede, drei Jahre später folgte der Planungsbeschluss. An der Strecke zur Smart City wurde ab 2015 geplant. Die Gesamtkosten der beiden Projekte belaufen sich auf 72,5 Millionen Euro, das Land Steiermark trägt davon ein Drittel. Vor nunmehr zwei Jahren wurde mit der Errichtung der zwei Straßenbahnäste begonnen, die Bauarbeiten konnten pünktlich zum angesetzten Termin beendet werden. Einzig die Abfahrtsanzeigen an den Haltestellen und Begrünungen stehen noch aus. Nun erreichen die Straßenbahnen insgesamt neun neue Haltestellen in den zwei Stadtentwicklungsgebieten, die im Endausbau rund 15.000 Menschen Wohnraum bieten sollen.

Die erste planmäßige Straßenbahn nach Reininghaus war hauptsächlich mit Interessierten für öffentliche Verkehrsmittel gefüllt – Foto: Felix Neumann

Pünktlich um 04:54 Uhr biegt ein Wagen der Graz Linien aus der Remise. Die Beschilderung „4 Reininghaus“ fordert die rund zehn neugierigen Frühaufsteher*innen zum Einstieg auf. Erstmals biegt ein planmäßiger Kurs bei der Kreuzung an der FH Joanneum nach links in die Alte Poststraße ein. Die Straßenbahn unterquert die Graz-Köflacher-Bahn und landet an der Station Reininghausstraße. Hier steigt Lukas Smole ein, der direkt neben der Haltestelle wohnt. Er freut sich über die Eröffnung: „Jetzt muss ich nicht mehr zur Alten Poststraße hinaufgehen und das ist dezent bequemer“. Weiter geht es zwischen bereits übergebenen Wohnbauten und immer noch leeren Feldern hindurch zum Jochen-Rindt-Platz. Jetzt ist die Wendeschleife am Gelände der ehemaligen Hummelkaserne nicht mehr weit. Nach kurzem Halt geht es auch schon wieder zurück, denn trotz des geringen Verkehrsaufkommens hat der Wagen bereits Verspätung. Wird es sich ausgehen, auch die erste Straßenbahn auf der Linie 6 zur Smart City zu erreichen?

Eine Inbetriebnahme dieser Größenordnung hätten sich viele wohl anders vorgestellt – es gab heute nämlich keinerlei Aktionen oder Feste für die Öffentlichkeit. Auf Annenpost-Anfrage erklärte Gerald Zaczek-Pichler, Konzernsprecher der Graz Linien, der Grund dafür sei der aktuelle Lockdown. Die Graz Linien hätten sich sehr wohl intern für eine Veranstaltung vorbereitet, allerdings nur für “Stakeholder” am Vortag. Heute Morgen wäre dann eine Aktion für die Fahrgäste geplant gewesen. Trotz allem fand gestern ein Termin mit einigen geladenen Gästen aus Politik, Stadtplanung und Medien statt, bei dem sich diese inszenierten und die Strecke symbolisch einweihten.

Die allererste Straßenbahn für Fahrgäste auf der Smart City-Strecke wirbt auch für den neuen Stadtteil – Foto: Felix Neumann

Die erste Runde über die neue 6er-Strecke zur Smart City ging sich für die Annenpost leider nicht mehr aus, bloß ein Foto der Straßenbahn, die bereits am Rückweg war. Aber die zweite Fahrt tut’s auch. Es geht über die Waagner-Biro-Straße in den neuen Stadtteil, vorbei an der Helmut-List-Halle, dem modernen Science Tower und dem Nikolaus-Harnoncourt-Park, für den man aktuell noch viel Fantasie aufwenden muss. Am Ende der Schleife um einen Häuserblock befindet sich an der Peter-Tunner-Gasse die Endhaltestelle. Die Handelsangestellte Katharina Beyer steht schon um 6 Uhr Früh an der Haltestelle Nikolaus-Harnoncourt-Park, um per Bim zur Arbeit zu gelangen: „Ich war sehr froh, als es geheißen hat, dass sie ist jetzt endlich eröffnet ist und dass ich nicht mehr zu Fuß zum Bahnhof gehen muss.“

Mit der Inbetriebnahme der neuen Straßenbahnstrecken gehen auch Änderungen im Busverkehr des Grazer Westens einher. Am stärksten betrifft das Fahrgäste, die nun in der Straßganger Straße oder Karl-Morre-Straße vergeblich auf die Linie 65 warten. Denn diese verkehrt stattdessen über die Peter-Rosegger-Straße und auf derselben Trasse wie die Straßenbahn durch Reininghaus. Dieser Schritt sei laut Holding Graz nötig gewesen, da es „nicht nur um die Direktanbindung ins Zentrum mit der Linie 4″ gehe. Ab der Station „Alte Poststraße“ übernimmt die Linie 65 außerdem die Strecke des eingestellten 85ers und ist somit eine neue Nord-Süd-Verbindung. Teil des Buspakets Graz-West ist ebenso die Taktverdichtung auf den Linien 62, 65 und 66 montags bis samstags von 15 auf 10 und sonntags von 30 auf 15 Minuten (die neue Linie 65A bedient Teile der Strecke nun auch im Abend-, Sonn- und Feiertagsverkehr).

Die Linien 4 und 65 teilen sich die Strecke durch Reininghaus – hier warten sie lange an der Ampel bei der Kreuzung Alte Poststraße/Eggenberger Straße/Eggenberger Allee – Foto: Felix Neumann

Der weitere Betrieb der Linien 4 und 6 im Westen von Graz bis 08:00 Uhr lief recht gut an, zu den Straßenbahninteressierten gesellten sich bald auch Menschen auf dem Weg zur Arbeit oder Schule. Die Fahrzeuge wirkten vergleichsweise leer, aber der Betrieb muss wahrscheinlich erst anlaufen und es kommen bekanntlich noch viele Bewohner*innen in den neuen Stadtteilen dazu. Auffallend waren die Verspätungen schon zu früher Stunde, die möglicherweise mit den teilweise langen Stehzeiten an den Ampeln zusammenhingen.

Für die neue Stadtregierung, die den Straßenbahnausbau „als oberste Priorität“ sehe, sei diese Eröffnung „der Anfang einer Ausbauoffensive“. Nun stünden die Innenstadtentflechtung und Süd-West-Linie über den Griesplatz an – Projekte, die unter den Vorgängerregierungen seit Jahrzehnten darauf warten, umgesetzt zu werden. Ob den Worten auch Taten folgen, wird sich weisen.

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Titelbild: Um 04:54 fuhr die erste Straßenbahn auf der Linie 4 ab Alte Poststraße in Richtung Reininghaus – Foto: Felix Neumann

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