Roter Keil – eine Hetz für die Kunst

Lesezeit: 4 Minuten

Der Kunstverein Roter Keil dient nun schon seit bald zehn Jahren als aktive Plattform für junge Kunst im Annenviertel. Vor kurzem wurde bei der Ausstellung „Hetz“ wieder deutlich, was ihn besonders macht: wenig Budget, viel Engagement und ein unverkennbar „rauer“ Stil.

Von Mathias Huber und Helena Reinstadler

Im Atelier des Roten Keil knistert ein Feuer im Ofen, Bücher stapeln sich vor bemalten Wänden. In der Mitte steht ein robuster Holztisch, die Hälfte des Tisches ist leergeräumt, auf der anderen liegen Zeichenblöcke, Stifte und Blätter kreuz und quer. Eine orangefarbene Katze spaziert gemütlich im Raum herum. „Unser Gedanke ist, die Werkzeuge kollektiv zusammenzutragen und so einen Mehrwert zu generieren, mit der Gruppe“, meint Paul Lässer, der in einem komfortablen Sessel am Tisch sitzt. Er ist Bildhauer und war einst eines der Gründungsmitglieder vom Roten Keil. Neben ihm hat es sich Belinda Winkler bequem gemacht, sie ist Textilkünstlerin und vereinsintern zuständig für Social Media. Das Atelier in der Idlhofgasse, in dem sich die Beiden sichtlich wohlfühlen,  gibt es seit der Gründung des Vereins durch ehemalige Ortweinschüler*innen im Jahr 2012. Seitdem bereichert das Kollektiv die Kunstszene im Gries. Erst letztes Jahr hat der Rote Keil ganz in der Nähe des Ateliers auch eine Galerie eröffnet, die als „Kulturmagnet im Viertel funktionieren soll”, sagt Lässer. Zusammen mit dem Atelier bildet die Galerie nun die Basis für die künstlerische Arbeit des Kollektivs. Diese war zuletzt und bis zum Lockdown in der Ausstellung „Hetz“ zu erleben.

„Open Call“ für neue Perspektiven

Die Ausstellung hat das Kollektiv zusammen mit 54 Künstler*innen aus mehreren Ländern über ein Open Call-Format realisiert. Aus den Einsendungen wählten die Mitglieder schließlich die Arbeiten für die Ausstellung aus. Das Thema „Hetz“ haben sie wie folgt definiert: „Einerseits wird der Begriff im Sinne einer Jagd verwendet, andererseits, um den Spaß beim Feiern auszudrücken. Vereint werden diese Extremen durch ihre Folge: Die Veränderung der Moral einer Gesellschaft.“ 

„Hetz“

Die Ausstellung versammelt eine Vielzahl unterschiedlicher Perspektiven auf das Thema. Der Künstler und Kunsthistoriker Patrick Hämmerle hat eine Schießbude in die Galerie gestellt, auf den Dosen ist Ex-Kanzler Sebastian Kurz abgebildet. Davor wurden Stoffbälle in den Farben der Oppositionsparteien platziert, die dazu einladen, auf die Dosen geworfen zu werden. Im Werk werden beide Bedeutungen der Hetz” behandelt, dem Spaß des Dosenspiels steht eine politische Jagd” gegenüber. Daneben wurde ein Spiegel gelegt, auf dem kleine Figuren stehen und von überdimensional großen Spritzen bedroht werden – Jetzt geht die Hetz erst richtig los”, heißt die Arbeit, die Maret Amtmann zum Thema Impfungen geschaffen hat. Der steigende Druck auf Ungeimpfte soll im Sinne einer Jagd dargestellt werden.  Dieser direkte, aber dennoch oftmals doppeldeutige Ton zieht sich durch alle Werke, und die kühle Ausstellungshalle versucht gar nicht zu verbergen, dass hier DIY hochgehalten wird. 

Ein Werk der Hetz-Galerie: „Short Game“ von Patrick Hämmerle –  Foto: Mathias Huber

Ehrenamt statt „Big Money“

Nur 12.000 Euro standen dem Keil an Fördergeldern seitens der Stadt Graz und des Landes Steiermark zur Verfügung. Viele Mitglieder haben ehrenamtlich ausgeholfen, Skulpturen geschleppt, Kunstwerke aufgebaut und viel Zeit und Herzblut investiert, um die Ausstellung zu realisieren. „Beim Volumen der Förderungen von Stadt und Land ist noch Luft nach oben“, sagt Paul Lässer. Und nicht nur bei den Förderungen hatte der Verein mit der Stadt in der Vergangenheit so seine Probleme, auch das Atelier hätte in der Ära des früheren Bürgermeisters Siegfried Nagl (ÖVP) schon einmal einem Wohnbau Platz machen sollen. An die neue Stadtregierung haben haben Belinda Winkler und Paul Lässer deutlich höhere Erwartungen. Künstler*innen sollten in Zukunft mehr Rückzugsorte in der Stadt haben, meinen sie. „Wo alles einem ´Immobiliensteigerungs-Drive´ zum Opfer fällt, kann sich sonst nicht mehr viel entwickeln. Womit wir bei dem Punkt sind, dass es mehr Freiräume braucht.” sagt Lässer.

Brückenbauen im Gries

Freiräume wusste der Verein schon seit jeher zu nutzen. Oder auch dort zu schaffen, wo es sie noch nicht gab. Im Gries war letzteres der Fall, und schon von Anfang an versuchte das Kollektiv, Empfänglichkeit und Bewusstsein für Kunst und Kultur im Bezirk zu stärken. Zum Beispiel mit der Ausstellung “Der Tanz mit Schmerzen“ des syrischen Künstlers Ramadan Hussien, der seine Flucht nach Österreich thematisierte. Damit wollte man vor allem die muslimischen Einwohner*innen im Viertel erreichen. Zudem betrieb der Verein temporäre Projekte in anderen Stadtteilen, wie zum Beispiel von 2017 bis 2019 in Graz-Reininghaus. Dort nutzten sie die leerstehenden Hallen zusammen mit dem Kulturverein Papierfabrik. Durch ihre Arbeit erwarten sich Winkler und Lässer keine kurzfristigen Erfolge. Vielmehr soll ein geduldiger Prozess in Gang gesetzt werden, um schlussendlich auch Kunstskeptiker zum Nachdenken zu bringen. „Das ist einfach mehr Arbeit, das kann man nicht herbeirufen. Diese Veränderungen wird man nicht innerhalb von einem Jahr sehen, sondern das ist was, was langfristig währen muss.” sagt Winkler.

Ein eigener Stil

Es liegt Paul Lässer und Belinda Winkler besonders am Herzen, zu betonen, dass der markante Do-it-yourself-Stil der Veranstaltungen nicht von ungefähr kommt. „Den Mut zu dieser ´Dirtyness´ zu haben, das ist eben ein Stil, der nicht nur daraus kommt, dass wir es nicht besser können, sondern weil´s auch geil ist, das so zu machen“, sagt Winkler. Auch nach der Pandemie wird der Verein seine Mission weiterverfolgen, immer noch mit demselben Ziel: Kunst eine niederschwellige Plattform zu bieten, sie öffentlich zugänglich zu machen und herzuzeigen. Belinda Winkler meint dazu: „Oft ist es so, dass nur Leute, die sich sowieso schon auskennen, Kunst genießen und die anderen sind eher ein bisschen abgeschreckt davon. Das wollen wir ändern, weil Kunst für jeden bereichernd sein kann.“ 

Malerhalle im Atelier – Foto: Helena Reinstadler

Titelbild: Belinda Winkler und Paul Lässer vor dem Eingang des Kunstateliers – Foto: Helena Reinstadler

Im Herzen für immer ein Landkind, in der Realität mitten in Graz. Langeweile kenn ich nicht, dafür bin ich zu aktiv.

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.

vier × fünf =

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Vorherige Geschichte

Stadtbäume: Wie Graz auf einen grünen Zweig kommt

Nächste Geschichte

Kobrakasino: Alles wird gut

Letzter Post in KULTUR