Etwas Ton, ein bisschen Zeit und ganz viel Kreativität – Dinge wieder selbst zu erschaffen ist Trend und Therapie zugleich. Doch warum? Ein Blick hinter die Türen von Werkstätten und Ateliers im Annenviertel.
Von Sarah Trenker und Julia Rubin
„Ich glaube, in Zeiten des Homeoffice haben die Leute einfach Lust auf Tun. Sie wollen spüren, wie‘s sich anfühlt, etwas selbst zu machen”, sagt die Keramikkünstlerin Michaela Steiner, die bereits im Jahr 2000 ihre Leidenschaft zum Beruf machte. Seither bietet die frühere Kinomanagerin Kurse im Lendwerk in der Marschallgasse an. Selbst aus einer Handwerkerfamilie kommend – ihre Mutter ist Künstlerin, ihr Mann Restaurator – war sie immer schon gerne künstlerisch tätig. „Man kann nicht immer nur abstrakt denken und abstrakt handeln, man muss irgendwann einmal real sein”, so Steiner.
Die Leute wollen ein Handwerk, mit dem sie sich erden und selbst fühlen können. Es geht nicht um Perfektion, sondern einfach um das „Hineinschnuppern”. Michaela Steiner bemerkte besonders im vergangenen Jahr ein explodierendes Interesse an ihren Kursen – dreimal so viele Interessierte meldeten sich wie vor der Pandemie. Zentral sei bei vielen, die teilnehmen, die Neugierde und der Reiz des Unbekannten. Zur selben Zeit nahm das Interesse an den Glasperlenkursen, die sie ebenfalls anbietet, ab. Der Umgang mit Feuer und eine für diese Arbeit notwendige Genauigkeit hätten offenbar weniger angesprochen.
Noch eine Tendenz, die sie beobachtet: Das Kurspublikum werde immer jünger, besonders bei jungen Erwachsenen stellt Michaela Steiner eine außergewöhnlich hohe Nachfrage fest. Doch nicht nur das Alter der Interessierten ändert sich, sondern auch deren Bedürfnisse. Vielen gehe es um Beziehungen, die über das Handwerk gepflegt werden. „Da will man einfach Nähe”, sagt Steiner über ihre Kurse, die meist nur zu zweit oder zu dritt stattfinden.
Anspruchsvolle Kund*innen
„Die Ansprüche sind abartig geworden.” Nach 33 Jahren Kurserfahrung bietet Selma Etareri im Kunst- und Keramikstudio DA LOAM in der Mariahilferstraße keine Kurse mehr an. Die Anforderungen der Teilnehmer*innen seien zu kompliziert geworden, sagt sie. Vielen fehle das Verständnis für ihren Beruf: „Das Kurspublikum will ein Service wie von einer Service-Anstalt. Ich bin keine Anstalt, ich bin ein Ein-Frau-Unternehmen, Künstlerin und Keramikerin.” Zu oft hätte sie mehr Zeit mit dem Schreiben von E-Mails als mit der eigentlichen künstlerischen Arbeit verbracht.
Das Konsumverhalten hat sich in den letzten Jahren stark verändert, findet die Keramikerin. Es fehle den Menschen an Zeit und Ausdauer, sie wollen Schnelligkeit und Unterhaltung. Doch gerade Selbermachen sei Übungssache – die Realität entspreche nicht den Videos und Bildern aus dem Internet. Gemerkt, dass der lange Atem fehlt, hat sie auch bei ihrem Projekt „Tonspielerei”, das sie zwischen 2013 und 2016 durchführte. Nach einer Einschulung konnten die Teilnehmer*innen Etareris Werkstatt und Utensilien selbstständig zum Töpfern nutzen. Damals hätte sie kaum Interessierte gefunden, heute würde das wohl ganz anders aussehen: „Jetzt hätt‘ ich zweihundert Leute, die sich da hineinsetzen würden. Aber es ist vorbei, der Versuch ist beendet.”
Ein Schlückchen Handwerk
Noch niederschwelliger soll der Zugang zu Kunst- und Handwerkskursen werden, wenn es nach Jasmin Dhanani und Jürgen Neubauer geht. Die beiden suchen gerade nach Crowdfundern für ihr Unternehmen „artSIP”. „Schlückchenweise” – in „sips” – soll man da Töpfern, Buchbinden, Schnitzen, aber auch Impro-Schauspielern oder Nähen ausprobieren können. Rund 30 Künstler*innen, darunter auch Michaela Steiner, bieten solche Schnupperkurse an. Das Ganze ist spontan möglich, die Anmeldung läuft bis zu einer Stunde vor Kursbeginn. Dhanani und Neubauer ist es auch ein Anliegen, auf Nischenangebote aufmerksam zu machen, um die Wertschätzung dafür zu steigern. Manche Kunst würde sonst in Vergessenheit geraten.
Das Angebot startet im Februar 2022, noch bis Weihnachten läuft eine Crowdfunding-Kampagne. Außerdem gibt es gratis Probeworkshops. Die Hauptzielgruppe sind junge Erwachsene. Ziel ist es, die Kreativität zu fördern und dadurch letztlich auch die lokale Wirtschaft zu unterstützen. Den Feierabend mit Spaß und Entspannung genießen – gerade das fühlt sich laut Dhanani nach einem langen Tag am PC nach Erfüllung an: „Das hat auch einen therapeutischen Effekt. Man kommt einfach ein bisschen aus dem Kopf heraus und schafft eben selbst etwas.“
Titelbild: Töpfern im Lendwerk – Foto: Sarah Trenker