Wer sind die Enttäuschten, Zornigen, Ängstlichen, die an einem kalten Wintersonntag auf Straßen gegen die Corona-Maßnahmen demonstrieren? Und was wollen sie tun, wenn die Impfpflicht in Kraft tritt?
Von Victoria Frühwirth
13 Uhr am Grazer Hauptbahnhof. Tausende haben es sich an diesem 12. Dezember, einem kalten Wintersonntag, mit selbstgebastelten Demo-Schildern, Thermoskannen und Dosenbier gemütlich gemacht, plaudern mit Gleichgesinnten oder lassen sich in ihren ausgefallenen Kostümen fotografieren. Über den Köpfen der Menschen wehen die Flaggen aus Schweden, Bosnien, Frankreich, Liechtenstein oder Sardinien, sogar eine Fahne mit dem “Q” der Extremverschwörungstheoretiker*innen von QAnon ist zu sehen. Gemeinsam ist den Protestierenden die Abneigung gegen die Impfpflicht und die Anti-Corona-Maßnahmen der österreichischen Bundesregierung. Einige von ihnen wollen Österreich notfalls sogar verlassen, wie unsere Gespräche während der Demo ergeben haben.
Vor der Demo
Bevor es losgeht, stimmt sich die Menge mit im Chor gerufenen Parolen ein. „Freiheit, Wahrheit, Demokratie!”, hallt es über den Europaplatz vor dem Bahnhof. Und wären da nicht die seltsamen Slogans auf den Schildern der Demonstrierenden, man könnte das ganze tatsächlich für einen bunten Sonntagsspaziergang internationalistisch gesinnter Demokratieaktivist*innen halten. Aber ganz so friedlich lief es dann auch nicht ab, wie sich später zeigen wird.
In der stetig wachsenden Menge hat sich eine Gruppe von Frauen gefunden, die einen besonders entschlossenen Eindruck macht. Eine von ihnen arbeitet in der Pflege. „Nein, ich mache nicht bei der Gentherapie mit!“, äußert sie sich energisch. Damit bringt sie eine von Impfgegner*innen häufig geäußerte – und von der Wissenschaft als Mythos entlarvte – Sorge zum Ausdruck, mRNA-Impfstoffe könnten das Erbgut verändern. Lieber zahle sie Strafe, als sich impfen zu lassen. Wie viele andere an diesem Tag fordert sie den Rücktritt der Regierung und Neuwahlen.
Auch ein Paar mit zwei Kindern ist an diesem Sonntag gekommen um zu protestieren. Der Vater erzählt, er sei in der DDR im Kommunismus aufgewachsen und habe selbst an der Berliner Mauer für Freiheit demonstrieren müssen. „Ich bin aber enttäuscht. Ich bin nach Österreich eingereist, um hier Freiheit zu erleben, und habe eine Familie gegründet. Jetzt wollen sie meine Kinder impfen. Sicher nicht! Wir verweigern diese Pflicht. Aber natürlich schauen wir, ob zukünftige Impfstoffe für unsere Familie in Betracht kämen.”
Seine Frau hält Fahnen Deutschlands und Kanadas in der Hand, seine Tochter eine Österreich-Flagge, sein Sohn ein offenbar von den Eltern gestaltetes Schild mit dem Schriftzug „Wir Kinder sind gesund! Die Politik ist krank!”. Die Frau schließt sich ihrem Mann an: „Wenn für uns kein Impfstoff in Betracht kommt, werden wir notfalls auch nach Kanada ausreisen. Wir haben dort Verwandte! Wir werden sicherlich keine Steuer für die Menschenrechte zahlen, so wie die Regierung es von uns verlangt!” Gemeint ist damit die Geldstrafe bei Verweigerung der Impfpflicht, die von ihr als „Steuer für die Grund- und Freiheitsrechte” interpretiert wird. Fakt ist, dass die Impfpflicht ab Februar wohl erst für mündige Minderjährige ab 14 Jahren gelten wird – die Impfung von fünf bis 14-Jährigen bleibt weiterhin freiwillig.
Unter die Fahne Frankreichs hat sich ein Mann mit Sneakern und roter Winterjacke gestellt, der das Warten auf den Start der Demo damit überbrückt, dass er auf seinem Handy herumtippt. Er habe von der Demo über den Messaging-Dienst Telegram und den FPÖ-Demokalender erfahren. Mit der Fahne möchte er seine Einigkeit mit Frankreich zeigen, Solidarität und Zusammenhalt. „Die Franzosen sind unserer Meinung, sie demonstrieren auch gegen eine Impfpflicht im Gesundheitspersonal und gegen die geplante Impfpflicht in Österreich!” Er ist überzeugt, die Impfpflicht werde viele Impfgegner*innen zum Stich überreden. „Was die Regierung und die Medien uns da erzählen! Klar, bei vielen sinkt da die Hemmschwelle. Ich werde mich aber nicht impfen lassen. Entweder, ich bezahle die Strafe oder ich umgehe sie mit einem Hauptwohnsitz außerhalb der EU.”
Nach der Demo
Um etwa 14.30 Uhr trafen die Demonstrierenden am Karmeliterplatz ein. Organisatorinnen waren die Impfgegner*innen Maria Hubner-Mogg und Nadja Hubmann. Natascha Strohmeier von der “Basisdemokratischen Partei Österreichs” („dieBasis”), hielt eine Rede über die Grund- und Freiheitsrechte, die in der Pandemie vergessen werden würden. „dieBasis” wurde in Österreich Ende 2020 gegründet und ist von der kaum älteren „Basis Deutschland” inspiriert, die gegen die Impfpflicht mobilisiert und die Covid-19-Pandemie insgesamt als Pharma-Verschwörung sieht.
Nadja Hubmann hatte schon am 6.12. in einer Videokonferenz mit Natascha Strohmeier zur Teilnahme an der Demo aufgerufen. Und dazu, einen Apfel zur Demo mitzubringen. „Eine Apfeljause ist eine gute Idee. … Ihr wisst ja – die Ausgangsbestimmungen. Da kann man ja dann einen Apfel essen.” Damit spielt sie darauf an, dass Demonstrant*innen keine Maske tragen müssen, wenn sie bei einer Veranstaltung essen.
Hubmer-Mogg, frühere Allgemeinmedizinerin, die im November wegen geäußerter Corona-Halbwahrheiten fristlos entlassen worden war und heute als Kräuterpädagogin und Resilienztrainerin auftritt, bezweifelte am Karmeliterplatz unter großem Jubel die Wirkung der Impfung : „Ich weiß aber 100-prozentig, dass besonders bei den fünf- bis 11-Jährigen das Risiko den Nutzen überwiegt.“
Fakt ist: Das österreichische Sozialministerium legt auf seiner Webseite transparent die Vorteile und Gründe dar, wieso man auch Kinder impfen soll – nicht muss. Neben schweren Covid-Verläufen bei Kindern mit Vorerkrankungen kann ein Kind Virusüberträger sein und Eltern oder Großeltern anstecken, bei denen schwerere Verläufe wiederum wahrscheinlicher sind. Das Immunsystem von Kindern von klein auf mit Impfungen zu stärken, schützt sie vor schweren Erkrankungen. Eine Studie des New England Journal of Medicine über die Wirkung des Covid-19-Vakzins von BioNTech/Pfizer an Kindern ergab, dass von 2.334 Kindern bei keinem Kind nach der Impfung das multisystemische Entzündungssystem (MIS-C) aufgetreten ist. Dieses ist sehr wohl schon bei infizierten Kindern aufgetreten. Einigen Kindern tat zwar nach der Impfung die Impfstelle weh oder sie war rot, insgesamt lässt sich aber sagen, dass die Impfstoffwirksamkeit bei 5- bis 11-Jährigen mit 90,7 Prozent im Bereich von Erwachsenen liegt.
Ausschreitungen wegen Maskenkontrollen
Im Großen und Ganzen sei die Corona-Demonstration “relativ friedlich” verlaufen, wie die Polizei betonte. Die Einsatzkräfte seien gut mit den 17.000 Demonstrant*innen zurechtgekommen, obwohl “nur” 15.000 erwartet wurden. Auffällig waren die fehlenden FFP2-Masken trotz der Maskenpflicht bei Versammlungen. Obwohl es Durchsagen und wiederholte Aufforderungen zum Masketragen seitens der Polizei mittels Lautsprecher gab, trug nur etwa die Hälfte der Demo-Teilnehmer*innen Masken. Ob aufgrund von “Apfeljausen” ist nicht bekannt. Aggressionen gegen Polizeibeamt*innen wegen der Maskenpflicht waren aber leider auch Teil der Demonstration.
Eine Ausschreitung fand zu Beginn der Demo am Hauptbahnhof statt. Ein Paar habe sich gegen die Maskenkontrolle der Polizei gewehrt und aggressiv gezeigt, so Chefinspektor Leo Josefus im Interview. Ein Dritter sei anschließend auf die Beamt*innen losgegangen. Er habe einen Polizisten mit Tritten in den Rücken verletzt. Zu einem ähnlichen Zwischenfall kam es während der Kundgebung am Karmeliterplatz: Eine Demonstrantin hatte eine polizeilichen Maskenkontrolle abgelehnt und wurde daraufhin festgenommen. Ein Mann wollte ihr daraufhin Unterstützung leisten und zeigte sich gewalttätig gegenüber Polizist*innen. Insgesamt mussten am 12. Dezember sechs Personen vorläufig festgenommen werden, davon fünf wegen Missachtung der Maskenpflicht. Es kam zu 105 Verwaltungsanzeigen und sieben allgemeinen Verwaltungsanzeigen (wie Anstandsverletzung), teilte die Landespolizeidirektion Steiermark später in einer Presseaussendung mit.
Titelbild: Demo-Start am Grazer Hauptbahnhof – Foto: Tobias Graf