Wo Wertschätzung wächst und gedeiht

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Auf einem Grundstück in der Leuzenhofgasse in Lend schufen drei Vereine gemeinsam das erste Wertschätzungszentrum Österreichs. Sie versuchen dort, eine Brücke zwischen Naturbewusstsein und gesellschaftlicher Inklusion zu schlagen.

Im kleinen Gebäude an der Wiener Straße, am linken Ufer des Mühlganges, herrscht reges Treiben, ein lodernder Kamin spendet den anwesenden Transitarbeitskräften der Initiative Natur.Werk.Stadt Wärme. Wer sich ins kühle Freie begibt und die Brücke passiert, steht am rechten Mühlgangufer vor dem Wertschätzungsgarten, wo Natur erlebbar gemacht werden soll.

Hier entstand in den letzten Jahren eine einzigartige Kooperation zwischen der Natur.Werk.Stadt, den Steirischen Pfadfindern und Pfadfinderinnen und dem direkt neben dem Grundstück gelegenen Jugendzentrum Echo. Die Stadt Graz stellte das Grundstück 2016 zur Verfügung, die drei Parteien erarbeiteten gemeinsam ein Konzept und feierten im Oktober 2020 die Eröffnung. Das Wertschätzungszentrum soll das Verständnis für Natur schärfen, aber auch das Miteinander so unterschiedlicher Gruppen wie Jugendlicher und Langzeitarbeitsloser stärken.

Daniela Zeschko (Natur.Werk.Stadt) und Sara Chinello (Jugendzentrum Echo) führen die Annenpost durch den Wertschätzungsgarten – Foto: Felix Neumann

Beim Blick in den Wertschätzungsgarten sticht gleich der Unterschied zu üblichen öffentlichen Parkflächen ins Auge. Gestriegelt ist hier nichts – eine bunte Blühwiese wurde angesetzt, das Gemüse wächst nicht in Reih und Glied und „Gstättn“ werden zugelassen. Laut Daniela Zeschko, Leiterin der Natur.Werk.Stadt, sei das beabsichtigt: „Auch eine Nachbarschaft kann bunt sein.“ Es gebe viele Parallelen zwischen einem Garten und unserer Gesellschaft, wie schon der Philosoph Jean-Jacques Rousseau festgehalten habe.

„Die kennen nur den Citypark“

Im Wertschätzungsgarten zeigen Tafeln interaktive Stationen an, die bei kostenlosen Workshops für Schulgruppen zum Einsatz kommen. Dabei geht es um das Lernen mit und über Pflanzen, um Kreativität und Teamgeist. Etwa bei der Station “Umwege durch den Garten” sollen die Kinder mitnehmen, dass der kürzeste Weg nicht immer der beste sein muss. Beim “Natur-Bingo” sammeln sie neben Eicheln und Zapfen auch Erfahrungen. Der Bau einer Leonardo-Brücke soll die Gruppe zusammenschweißen. 

Auch bei den Workshops wird versucht, die Brücke zwischen Natur und dem menschlichen Umfeld zu schlagen. „Viele Kinder haben heute überhaupt keinen Zugang zur Natur, die kennen den Citypark, das ist die Referenz“, sagt Zeschko. Auch für die Jugendlichen aus dem angrenzenden Jukus-Zentrum waren bereits in Projekte involviert, erläutert die Echo-Mitarbeiterin Sara Chinello: „Es ist wichtig, dass sie beim ganzen Prozess dabei sind, dann können sie es mehr wertschätzen.“ Die Natur.Werk.Stadt will so Naturwissenschaft in Gemeinschaften tragen, die nicht so leicht erreichbar sind. Das gelte auch für Erwachsene: Beispielsweise konnten Interessierte aus der Nachbarschaft bereits bei einem Obstbaumschnitt-Workshop oder einer Samentauschbörse teilnehmen.

Bei einer Station im Garten kreieren Schulkinder ein Kunstwerk aus Naturmaterialien – Foto: Natur.Werk.Stadt

Der Weg zurück in die Beschäftigung

Langzeitarbeitslosen fällt der Wiedereinstieg ins Berufsleben oft sehr schwer. Im Wertschätzungszentrum beitet die Natur.Werk.Stadt, welche eine Initiative der Steirischen Arbeitsförderungsgesellschaft (StAF) und des Naturschutzbundes ist, jenen Menschen als Transitmitarbeiter*innen vorübergehend eine Anstellung. So auch Cathleen Voigt, die nach der Geburt ihres Kindes längere Zeit keinen Beruf ausübte: „Ich habe Bewerbungen geschrieben, aber keine Arbeit gekriegt. Es gibt Firmen, die sagen zwar, sie schauen auf alleinerziehende Mütter, tun das dann aber nicht.“

Der Aufgabenbereich ist vielfältig – so bauten die Angestellten beispielsweise den Kamin ein, legten eine Hecke im Garten an oder begleiten die Workshops. „Ich bin froh, wenn ich irgendetwas machen kann“, sagt Voigt, die ihre Fähigkeiten als gelernte Garten- und Landschaftspflegerin sehr gut einbringen kann. Sie hofft in der Zukunft auf einen verständnisvollen Arbeitgeber. Laut Zeschko ginge es vor allem darum, die Mitarbeiter*innen zu „empowern“ und ihre Selbstwirksamkeit zu stärken. Langfristig vermitteln könne man sich hingegen nur selbst. „Ich kann Tomaten auch nicht sagen, wie sie besser wachsen, aber ich kann schauen, dass ich den Boden artgerecht aufbereite“, schildert Zeschko.

Wertschätzung wächst Stück für Stück

Das Wertschätzungszentrum sei immer in Weiterentwicklung, laut Zeschko wachse es „Schritt für Schritt“, ähnlich einem Garten. So überlegen die Projektpartner momentan, wie man die Wiese künftig weiter für Besucher*innen öffnen kann. Johanna Steinhauszer, derzeit zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit der Steirischen Pfadfinder und Pfadfinderinnen, kündigt an, die Andritzer Gruppe Graz 12 werde sich ab Mai mit ihrem Jugendzentrum beim Projekt einbringen – bisher habe es an Fördergeldern gemangelt. Im neuen Jahr möchte die Natur.Werk.Stadt kleine Gartenreisen anbieten, einen Gemeinschaftsgarten anlegen und das Workshop-Angebot für alle öffentlichen Grazer Volksschulen und Kindergärten ausweiten. Weitere Ideen gäbe es genug, die Covid-19-Situation mache es jedoch nicht unbedingt einfacher, so Zeschko.

Das dazugehörige Haus am Mühlgang steht auch Besucher*innen offen – Foto: Felix Neumann

Titelbild: Nicht nur die Blühwiese, sondern auch wir wollen, dass unsere Grenzen gewahrt werden – Foto: Felix Neumann

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