Wer in einer Beziehung gewalttätig und weggewiesen wird, muss seit Kurzem eine Gewaltberatung besuchen. Christian Brickmann vom Verein Neustart erklärt, wie Gewaltprävention in der Praxis funktioniert.
Ein Streit in der Familie, der ausartet; eine Eskalation, der Stress, Alkohol oder Hilflosigkeit zugrunde liegen: Es sind solche Situationen, die zu häuslicher Gewalt und im allerschlimmsten Fall zu einem Mord führen können. In Reaktion auf die Häufung von Femiziden in Österreich verkündete die Bundesregierung im Frühjahr 2021 ein Gewaltschutz-Maßnahmenpaket. Dieses Paket umfasst neben der Gewaltprävention auch Verbesserungen bei der Beweissicherung und Maßnahmen zur Sensibilisierung der Justiz im Bezug auf Gewaltverbrechen.
Was passiert, wenn’s passiert
Ein wichtiger Teil des Pakets: Nach jeder offiziellen Wegweisung wird nun seit fast einem halben Jahr auch eine verpflichtende Gewaltberatung angeordnet. Unter Wegweisung versteht man eine Anordnung der Polizei, einen bestimmten Ort und den Bereich im Umkreis von 100 Meter zu verlassen. Sie geht meistens mit einem Betretungs- und Annäherungsverbot einher. Weggewiesene aus Wien, Niederösterreich, Oberösterreich, dem Burgenland und der Steiermark müssen sich dafür mit dem Verein Neustart in Verbindung setzen. „Jeder Klient muss sich binnen fünf Tagen nach der Wegweisung bei uns melden“, sagt Christian Brickmann beim Gespräch im Büro des Vereins Neustart in einer Seitenstraße der Griesgasse. Danach folgen sechs Stunden verpflichtende Gewaltberatung, die in den meisten Fällen innerhalb von drei oder vier Wochen, zu je eineinhalb bis zwei Stunden Einheiten, abgehalten wird.
Wenn sich der*die Gewalttäter*in nicht zeitgerecht meldet, müssen Brickmann und seine Kolleg*innen das weitergeben. „Das wäre ein Verstoß gegen die Auflagen, dann würde der Klient auf die Sicherheitsbehörde geladen werden und der Erstkontakt findet dort statt.“ Mit Sicherheitsbehörde ist in Graz die Polizei gemeint, anderswo ist die Bezirkshauptmannschaft zuständig.
Aufklärung für Weggewiesene
Seit mittlerweile zwölf Jahren arbeitet Christian Brickmann, Sozialarbeiter und Abteilungsleiter, schon beim Verein. „Ich bin zu Neustart gekommen, weil mich die Arbeit mit Straffälligen interessiert“, erzählt er. Die Beratung für Gewaltprävention gehört seit 1. September 2021 zu seinem Arbeitsfeld. Seit diesem Tag ist eine verpflichtende Gewaltberatung für Weggewiesene gesetzlich vorgeschrieben.
Die Beratung beinhaltet eine verpflichtende Rechtsaufklärung und findet als Einzelgespräch statt. „Es geht darum, was ein Betretungs- und Annäherungsverbot eigentlich bedeutet. Wie kommt der Gewalttäter an persönliche Dinge zuhause, ohne gegen das Verbot zu verstoßen? Das sind Informationen, die viele Klienten sehr beschäftigen“, erklärt Brickmann.
Stress rausnehmen
Daneben gehe es vor allem darum, zukünftige Gewalttaten zu vermeiden, indem den Klienten zum Beispiel gezeigt wird, wie sich Stress bewältigen oder reduzieren lässt. Dabei geht es einerseits um einfache Methoden wie Spaziergänge nach einem anstrengenden Tag, bei denen der Kopf frei und das Gemüt besänftigt wird. Auf der anderen Seite werden aber oft auch weiterführende Männerberatungen oder Suchttherapien empfohlen und besprochen.
Die Frage nach einem bestimmten Muster oder Merkmal bei den Betroffenen beantwortet Brickmann so: „Nein, der typische Klient existiert nicht, aber ich spreche von dem Klienten, weil der Frauenanteil nur etwa 10% umfasst.” Neustart arbeitet mit allen Weggewiesenen in der Steiermark. Die Gewalttäter kommen aus den verschiedensten Ländern, aus allen Altersklassen und Sozialschichten. „Es gibt immer Situationen, die eskalieren. Da gibt es keinen typischen Gewalttäter“, sagt Brickmann.
Wie die Hilfe ankommt
Ob die verpflichtende Gewaltprävention auf Ablehnung seitens der Betroffenen stößt? „Wir sind positiv überrascht, wie viele das Angebot gleich annehmen”, freut sich Brickmann. “Wir haben Rückmeldequoten innerhalb der 5-Tages-Frist von gut 80%.“ Natürlich gebe es auch Menschen, die mit Widerstand kommen und dem Angebot ablehnend gegenüberstehen. Das seien aber sehr wenige.
Hintergründe für die Einführung einer verpflichtenden Gewaltprävention sind für Brickmann ganz klar auch die vielen Frauenmorde im vergangenen Jahr. Ob sich dadurch wirklich die Gewaltstatistiken und Mordraten in Österreich verändern, wird sich in den kommenden Jahren zeigen. Das Gesetz führe aber auf jeden Fall zu sehr früher, deeskalierender Arbeit mit Betroffenen und kann dadurch Ansprech- und Vertrauenspersonen für Menschen in sozialen Krisen hervorbringen. „Wir sind der Meinung, dass das sehr viel bringen kann.“
Titelbild: Sozialarbeiter und Abteilungsleiter Christian Brickmann – Foto: Michaela Holzinger
Neustart ist der Verein, der in Österreich für Resozialisierungshilfe und Bewährungshilfe zuständig ist. Seit September 2021 sind die Anlaufstellen auch Beratungsstellen für Gewaltprävention nach Wegweisungen. Außerdem bietet Neustart eine kostenlose Prozessbegleitung für Opfer von Straftaten an und ist in der Deradikalisierungsarbeit tätig, über die die Annenpost im März vergangenen Jahres berichtet hat. Mehr unter: https://www.neustart.at/