Die Künstlerin k.ada möchte mit ihrer Kunst die Gesellschaft wachrütteln. Am Lendplatz weist sie mit der Installation „Tick-Tock“ auf eines der größten Paradoxa unserer Zeit hin.
„Habe den Mut, nicht gemocht zu werden.” Dieses Zitat von Bruce Lee ziert an prominenter Stelle die Webseite der Grazer Installationskünstlerin k.ada. Unauffällig ist sowieso nichts an Ada Kobusiewicz, wie die gebürtige Polin mit bürgerlichem Namen heißt. Sie will gesellschaftliche Diskurse eröffnen und riskiert damit auch, für Projekte wie „Transparadox”, bei dem sie unter anderem öffentlich Cannabis anpflanzte und erntete, zwischendurch einmal verklagt zu werden. Doch davon oder gar von empörten FPÖ-Gemeinderät*innen lässt sich Kobusiewicz nicht einschüchtern.
„mehr licht” für Graz
„Für mich hat Kunst eine Verpflichtung, wichtige Themen zu beleuchten”, sagt Kobusiewicz. Beleuchten ist metaphorisch und wortwörtlich zu verstehen, denn die Künstlerin arbeitet am liebsten mit Licht. Während des Kunststudiums in Granada, Spanien, entdeckte sie die Leidenschaft für Lichtdesign, worin sie auch ihren Master an der serbischen Universität Novi Sad absolvierte. In Graz blieb sie aus familiären Gründen hängen.
Als sich 2018 die Chance bot, die Schloßbergstollen zu bespielen, kam die berufliche Bindung dazu. Zusammen mit Grafikdesignerin Radmila Stanković gründete Kobusiewicz den Verein „mehr licht“, angelehnt an die angeblich letzten Worte Goethes. Von der Dominikanergasse aus versucht sie seitdem, mit ihrer Kunst so viele Menschen wie möglich zu erreichen. „Wenn man in eine Galerie oder ins Museum geht, hat man schon Interesse an Kunst. Für mich ist es wichtig, dieses andere Publikum zu konfrontieren”, stellt Kobusiewicz klar. Um dieses Ziel zu erreichen, trifft sie das Publikum dort, wo es bereits ist – im öffentlichen Raum.
Eine lange Liste
Auch ihre neueste Kunstinstallation befindet sich an einem Ort, der auffälliger nicht sein könnte. Die zwei digitalen Displays von „Tick-Tock” kann man das ganze Jahr am Dach der öffentlichen Toilette am Lendplatz bestaunen. Der rechte Zähler verrät, wie viele Tonnen Lebensmittel verschwendet werden. Der linke zeigt, wie viele Menschen weltweit an Hunger sterben. Die Zahlen erhöhen sich alle paar Sekunden, das erzeugt eine gewisse Dringlichkeit. Kobusiewicz hält der Gesellschaft einen Spiegel vor und scheut nicht davor zurück, provokant zu sein. Darin ist sie geübt. Mit „Ban Bang – The Illegality of Public Space” übersäte sie Graz 2020 mit realen und fiktiven Verboten als Kommentar zur Verbotsexplosion von 2018. Ihre permanente Installation „Lichttrommel auf A Punkt H Punkt Platz” am Andreas-Hofer-Platz macht seit letztem Herbst auf steigenden Rechtsextremismus in der Gesellschaft aufmerksam. Die Themen nimmt sie aus dem Leben. „Das, was mich stört, was ich absurd finde”, erklärt Kobusiewicz und verweist auf eine lange Liste, die sich auch immer mehr mit politischen Themen fülle.
Für „Lichttrommel auf A Punkt H Punkt Platz” recherchierte k.ada viel über Andreas Hofer – Foto: Edda Holweg
Zu viele Zahlen
Eines dieser Themen ist Welthunger. „Ich habe auch ein Kind. Ich kann mir nicht vorstellen, dass alle 10 Sekunden ein Kind an Hunger stirbt”, erzählt Kobusiewicz. Es sei für sie unverständlich, warum Tonnen an Lebensmitteln weggeschmissen werden, während Millionen Menschen an Hunger leiden. Laut einer Studie des WWF aus dem Jahr 2020 landen in Österreich über eine Millionen Tonnen noch genießbarer Lebensmittel im Müll. Im erschreckenden Gegensatz dazu hungerten im selben Jahr weltweit über 800 Millionen Menschen, wie der Welthunger-Index der Welthungerhilfe veranschaulicht. Jeder wüsste es, nur würde man es ignorieren.
Besonders in einer Zeit, die von einem anderen Thema dominiert wird. „Wir sind gerade mit den Coronazahlen beschäftigt und haben vergessen, was davor auf der Welt passiert ist”, meint Kobusiewicz. Sie wolle die Zahlen nicht vergleichen, aber man dürfe nicht die Augen vor anderen Problemen verschließen. Die COVID-19-Pandemie ließ dazu die Anzahl an Hungerleidenden noch einmal in die Höhe schießen, berichtet der Welthunger-Index.
Ein Projekt ohne alles
Das Projekt am Lendplatz sei Kobusiewicz so wichtig gewesen, dass sie dafür sogar auf ihr Honorar verzichtete. Denn die Förderung des Landes Steiermark hätte lediglich 6.000 € betragen. Das sei genau der Betrag, den die Techniker für die Installation verlangt hätten. „Normal machen wir das Projekt dann nicht”, gesteht die Künstlerin. Aber sie entschied sich trotzdem dafür, die Anzeigetafeln aufzustellen. Das geschah ohne PR und ohne viel Aufregung. Die Kunst könne so für sich sprechen.
So kontextlos, wie es schlussendlich abgelaufen ist, war es aber nicht geplant: Die Zähler starteten am 1. Jänner um Mitternacht, die Infotafel kam erst zwei Wochen später. „Das war keine Absicht. Wir wollten die Folie rechtzeitig drucken, aber die Druckerei hatte Betriebsferien”, lacht Kobusiewicz. Im Endeffekt hatte es trotzdem etwas Gutes, wie die Lichtdesignerin erzählt: „Da gab es eine Diskussion, ohne dass die Leute wussten, was das war.”
Die wissenschaftlichen Website The World Counts stellt die Daten in Echtzeit bereit – Foto: Ada Kobusiewicz
Odyssee in die Zukunft
„Tick-Tock” wird bis zum 31. Dezember 2022 am Lendplatz zählen. Die „Lichttrommel”, die vom Roman „Die Blechtrommel” von Günter Grass inspiriert wurde, bleibt am Andreas-Hofer-Platz, entweder bis dieser einmal umgebaut wird oder bis zum 30. April 2045, dem 100. Todestag von Adolf Hitler. Neue Projekte sind auch schon geplant. In „Odyssey 2021”, frei nach Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum”, geht es um Medien, den Kampf analog versus digital und was das für den Menschen bedeutet. Ein genauer Termin steht noch nicht fest, aber die Reise solle noch im Frühling angetreten werden.
Betrachtet man die aktuelle Lage der Welt, werden Kobusiewicz die Themen wohl nicht so schnell ausgehen. Die Öffentlichkeit darf sich also gefasst machen, noch öfters wachgerüttelt zu werden. Kobusiewicz weiß, dass auch die Mittel der Kunst beschränkt sind. „Wenn wir zehn Leute dazu bringen, sich über solche Probleme bewusst zu werden, dann ist das schon was.”
Titelbild: Das Toilettengebäude als Ort für „Tick-Tock” war ein Vorschlag der Graz Immobilien – Foto: Ada Kobusiewicz