Schwarzes Radieschen: SoliRADIsch durchs Leben

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Kost-nix-Laden, Nachbarschaftscafé und – neu – eine „Bibliothek der Dinge“: All das findet sich im  „Schwarzen Radieschen“ in der Steinfeldgasse, wo seit zehn Jahren eine kleine anarchistische Community Wurzeln schlägt. Aktuell macht sie schwierige Zeiten durch.

Vor dem Vereinslokal steht eine eiserne Gitterbox, die mit allen möglichen Dingen gefüllt ist, darunter ein Paar Gummistiefel, ein bunter Schal, Hosenträger und eine Einkaufstasche. Das ist der Kost-nix-Laden des Schwarzen Radieschens. Wenn man dann den Raum betritt, ist ein knallgelbes Poster mit der Aufschrift „share your privileges“ der erste Eyecatcher. „Sharing is caring“ ist ein wichtiger Grundsatz für die Radis – so nennen sich auch die Mitglieder – erzählt Mitglied Igel*, der es, wie die übrigen Mitglieder der Gruppe, vorzieht, anonym zu bleiben. Denn die Radis finden, dass Maskierung eine wichtige Absage an Personenkult sei. „Die Maskerade macht uns erkennbar als die, die wir sind”, erklären die Mitglieder . Der Raum ist mit Bücherregalen, Werkzeugen und Pflanzen vollgestellt. 

Innenleben des Radis - Foto: Eva Riener
Innenleben des Radis – Foto: Eva Riener

Entwicklung des anarchistischen Gemüses

Das Schwarze Radieschen wurde vor bald zehn Jahren in der Steinfeldgasse im Gries gegründet. Die kleine Gruppe entstand durch eine Reihe von Hausbesetzungen in Graz. Als offiziellen Geburtstag hat das Radi den 1. Mai gewählt. Grund dafür ist der Haymarket Riot, der im Gefolge eines Generalstreiks und der zunächst friedlichen Proteste, zu denen Anarchisten am 1. Mai 1886 in Chicago aufgerufen hatten, begann . Dort gingen rund 90.000 Arbeiter*innen für das Einführen der Acht-Stunden-Arbeitswoche auf die Straße. Im Zuge von Polizeiübergriffen und einem Bombenattentat wurden in den Tagen danach einige Arbeiter*innen und Anarchist*innen sowie sieben Polizisten getötet. (Quelle siehe: How May day became a Workers‘ Holiday) Letztlich auch in Gedenken an die Gefallenen wird der 1. Mai in der sozialistischen Tradition als “Tag der Arbeit” begangen. Das Radi selbst feiert ihn als Tag gegen die Lohnarbeit – vor der Pandemie immer gemeinsam mit den Nachbar*innen im Gries.

Früher hatte das Radi noch einen zweiten Raum direkt nebenan gemietet. Dort war die anarchistische Bibliothek untergebracht, im jetzigen Raum war Platz für Veranstaltungen und Gruppentreffen. Verschiedenste Gruppen treffen sich schon immer im Radieschen, da es einen gemütlichen Raum zum Austausch bietet und im Gegensatz zu herkömmlichen Cafés kein Konsumzwang herrscht.

Vor ungefähr vier Jahren konnten sich die Radis durch Renovierung und Mieterhöhung die Miete für beide Vereinslokale nicht mehr leisten und mussten die Bibliothek aufgegeben. Bis Ende 2021 war es relativ eng in der Steinfeldgasse, aber im Dezember siedelte die „Non grata – Anarchistische Offline Bibliothek“ an ihren neuen Standort in die Reitschulgasse um, in das Foyer der Gemeinschaftswerkstatt LIMA. Den neu gewonnenen Platz will der Verein für Veränderungen nutzen und hofft so auch auf ein paar neue Gesichter. 

Die Bibliothek der Dinge

Eine dieser Veränderungen ist die „Bibliothek der Dinge“. Haushaltsgeräte und Werkzeug wie Sägen, Schrauber, Schleif- und Stemmgeräte warten in diesem „Tool Pool“ ebenso auf Entlehner*innen wie Ballpumpen, eine Bierbank oder Krücken. Das Ausleihen ist für alle Besucher*innen gratis. Damit will der Verein auch der  Konsum- und Wegwerfgesellschaft entgegenwirken. Mitglied Lilo* sagt: „In der Bibliothek machen wir einfach Dinge, die nicht jeder daheim hat und die auch kostspielig sind, für mehrere Leute zugänglich.“ Auch praktische Bücher wie zum Beispiel solche zum Thema Gärtnern oder Bauanleitungen sind Teil der neuen Bibliothek. 

„Dinge” können übrigens auch Lebensmittel sein. Wer also selbstgemachte Marmeladen, Säfte oder Eier von Hühnern aus Eigenhaltung teilen will, kann auch diese vorbeibringen und im „seasonal shelf“ zur Verfügung stellen. „Ganz nach dem Konzept: gratis und geteilt“, beschreibt Igel* die Idee hinter der Bibliothek.

Plan ist es, die Bibliothek der Dinge auch um Skills und Tätigkeiten zu erweitern. Das Radi möchte eine Liste erstellen, in der Menschen ihre Dienste wie zum Beispiel Babysitten, Stricken oder Einkaufen, anbieten können. Die Radis möchten zeigen, dass das Leben auch ohne viel Geld funktioniert und man nur Leute braucht, die sich gegenseitig unterstützen und solidarisch sind. „Man versucht mit den Leuten gemeinsam Politik zu machen und ihnen zu zeigen, die kommt nicht nur von oben sondern ist Alltag”, sagt Lilo*. Die „Politik der ersten Person”, die Stellvertreter-Konzepte wie die repräsentative Demokratie ablehnt, steht für die anarchistische Gruppe im Vordergrund.

Die Ausstattung der Bibliothek der Dinge erinnert an den Keller eines Heimwerkers – Foto: Eva Riener

Herausforderungen und Finanzierungsprobleme

„Nun ist es wohl so, dass ins Radieschen Leute finden, die sich selbst politisch eher links verorten“, sagt Igel*. In Corona-Zeiten haben die Radis aber gemerkt, dass selbst die Meinungen innerhalb einer Gruppe mit ähnlicher ideologischer Grundeinstellung auseinandergehen können, wenn es um Themen wie die Impfpflicht geht. Das sei aber okay. „Jede*r braucht ja in einem anarchistischen Umfeld seine bzw. ihre eigenen Freiheiten”, erzählt Lilo*.

Insgesamt macht der Verein aktuell schwere Zeiten durch. In der Pandemie habe das Radi seine Funktion verloren, Treffpunkt in der Nachbarschaft zu sein. Auch weil das Vereinslokal nur an zwei Tagen in der Woche geöffnet ist, daher standen Besucher*innen öfter vor verschlossenen Türen. Häufiger aufsperren ist für den Verein aber schwierig. „Wir machen das ja alles ehrenamtlich und haben nicht ständig Zeit“, sagt Lilo*. Es sei schwierig, so etwas zu koordinieren, wenn man nur drei bis vier Leute zur Verfügung hat. Eine weitere Herausforderung ist die finanzielle Lage des Vereins. Früher habe er sich hauptsächlich durch Spenden von treuen Besucher*innen finanziert. Diese seien durch die Pandemie aber weniger geworden. Auch da es seit zwei Jahren keine Veranstaltungen im Radio gibt. Mittlerweile kommt einiges aus den privaten Taschen der Mitglieder.

Lang Zeit wollte sich der Verein – für Anarchist*innen nur konsequent – nicht von Förderungen der Stadt und der Stadtregierung abhängig machen. „Aber ohne finanzielle Unterstützung kann das Radieschen vermutlich nicht weiter bestehen“, sagt Igel*. Von Michael Rothe, dem neuen Bezirksvorsteher von Gries, haben die Radis aber erfahren, dass das zur Verfügung stehende Kulturbudget nicht ausgeschöpft wird und für Projekte wie das Radieschen verwendet werden könnte.

Die Radis haben danach eine Förderung bei der Stadt Graz beantragt. Bei der ehemaligen ÖVP-Stadtregierung hätten sie das nie gemacht, da hätten sie sich zu sehr verbiegen müssen, um den Anforderungen gerecht zu werden. Aber mit der KPÖ sei das etwas anderes. Kürzlich erreichte das Radi die Nachricht, dass sie – obwohl ihnen mündlich gesagt wurde, sie würden gut in das Konzept reinpassen – keine Basisförderung bekommen werden. Sie könnten aber für einzelne Projekte finanzielle Unterstützung beantragen. Lilo* sagt: „wenn sich die finanzielle Lage und die Situation mit der Pandemie nicht verbessern, wird es in Zukunft schwierig noch weitere Projekte durchzuführen.”

*die Radis möchten unter den Pseudonymen Lilo, Igel und Mo genannt werden

 

Beitragsbild: Lilo und Mo präsentieren die „share your privileges” Plakat vor dem Vereinslokal – Foto: Eva Riener

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