Karim und Essam am Griesplatz - Foto: Nadine Hager
Karim und Essam am Griesplatz - Foto: Nadine Hager

Der Traum von Toleranz und Freiheit

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Als in Ägypten im Jahr 2011 die Revolution ausbrach, waren Karim* (26) und Essam* (21) fast noch Kinder. Heute leben sie in Graz, studieren und träumen von einer besseren Zukunft.

Karim und Essam haben sich vor einem knappen Jahr in Graz kennengelernt und sind mittlerweile gute Freunde geworden. Hier in Österreich können sie sich frei äußern, trotzdem behalten sie ihre Meinung meist lieber für sich. Sie wollen auch nicht, dass ihre echten Namen im Internet aufscheinen, sagen die beiden, die wir zum Gespräch in einem Café in der Nähe des Griesplatzes getroffen haben. Freunde hätten deswegen in der Vergangenheit Probleme bei der Wiedereinreise nach Ägypten bekommen, erzählen die beiden, die nun schon knapp eineinhalb Jahre in Graz wohnen.

Wer in ihrem Heimatland öffentlich der Regierung widerspreche, werde als Feind angesehen, beginnt Karim das Gespräch. Das habe auch sein politisch und sozial engagierter Vater zu spüren bekommen. 2005 wurde er verhaftet, weil er sich politisch für die Opposition engagiert hatte, letztes Jahr wurde er erneut in Gewahrsam genommen.

Die Zukunft im Blick

Aber die beiden Ägypter wollen gar nicht zu viel über die Vergangenheit nachdenken, sie haben sich entschieden, sich auf ihr Leben in Graz und ihre Zukunft zu fokussieren. Sie wollen keinen Ärger riskieren für den Fall, dass sie noch einmal in ihr Heimatland zurückkehren. Zu stark haben sie ihre bisherigen Erfahrungen geprägt. „Ich bin nicht mit dem Wissen aufgewachsen, wie man seine Meinung ausdrückt. Ich bin nicht mit dem Wissen aufgewachsen, dass ich Rechte habe. Ich habe das Gefühl von Freiheit nicht gekannt“,  erzählt Karim mit Wut in der Stimme.

Deshalb entschied sich Karim, für seine Freiheit zu kämpfen. Als er die Anfänge der ägyptischen Revolution 2011 im Fernsehen verfolgte, wusste er, dass der Zeitpunkt gekommen war, etwas für sein Land zu tun. 17 Jahre war er damals alt, als er knapp zwei Wochen auf dem Tahrir-Platz in Kairo verbrachte um zu demonstrieren. „Es war sehr friedlich, der Platz war voll mit Menschen. Wir haben uns alle für das gleiche Ziel eingesetzt, waren eine Einheit.“ Überglücklich sei er gewesen, als der diktatorisch regierende Präsident Husni Mubarak zurücktrat. “Jetzt muss alles besser werden”, dachte Karim sich damals. Er nimmt den ersten Schluck von seinem Kaffee, der inzwischen schon lauwarm geworden sein muss.

Freitag, 4.Februar 2011 am Tahrir-Platz Quelle: (Mona sosh), CC BY 2.0 <https://creativecommons.org/licenses/by/2.0>, via Wikimedia Commons

Dann fängt auch Essam an sich zurückzuerinnern, er war zur Zeit der ägyptischen Revolution erst 11 Jahre alt. Er habe es am schlimmsten gefunden, als die ägyptische Regierung Häftlinge aus den Gefängnissen entließ, um die Aufständischen zu attackieren und Chaos zu stiften. Auf den Straßen Ägyptens war es gefährlich, er sah Häftlinge mit Waffen und Messern, sie brachen in Häusern ein und stahlen. „Zum Schutz der Familie hat sich mein Vater dann auch eine Waffe gekauft.“ Essam erinnert sich noch sehr gut daran, es sind Bilder, die ihm bis heute in Erinnerung blieben. Er erzählt das alles sehr ruhig und sachlich, als habe er zu diesen Erlebnissen inzwischen emotionale Distanz gewonnen.

Im Neuland der Demokratie

Nach dem Rücktritt Mubaraks habe Chaos geherrscht, meint Karim, mit dem Prinzip Demokratie sei die Gesellschaft überfordert gewesen. Jeder wollte seine Meinung äußern, aber nicht die Meinung des anderen akzeptieren. In den Jahren der Unterdrückung hatte man verlernte, Toleranz zu zeigen. „Es war, als würde man Menschen durstig und vom Wasser fern halten, wie hinter einer sehr großen Tür. Und dann springt die Tür auf und das Wasser überflutet alles.“ 

Seit diesem Zeitpunkt hat sich die Lage in Ägypten nicht gebessert, die ägyptische Politik liegt bis heute in der Hand eines diktatorischen Präsidenten.

„Die Revolution ist fehlgeschlagen. Wir sind einen Schritt zurück.“, findet Karim enttäuscht, der 2013 ein zweites Mal – diesmal gegen die Muslimbrüder – am Tahrir-Platz demonstrierte. Bevor es eine Veränderung in der Politik geben kann, muss erst eine in der Gesellschaft passieren. „Wir sollten uns in erster Linie sozial verändern, aufhören, Leute zu verurteilen und sie nicht in Schubladen stecken. Ich hasse Polarisierung“, meint Karim während er tief Luft holt.

Neues Land, neues Leben

Bereits in jungen Jahren hatten Essam und Karim entschieden, einmal auszuwandern. Bereits zur Schulzeit in Ägypten haben beide begonnen, Deutsch zu lernen. Ein Lehrer Essams hatte in der Schule oft begeistert von Deutschland erzählt. So wollte auch er dorthin, aufgrund einfacherer Aufnahmebedingungen für das Studium hat er sich dann aber für Österreich entschieden. Hier belegte er zuvor noch einen Deutschkurs, jetzt spricht er die Sprache fließend. Und konzentriert sich nun in erster Linie auf sein Studium der Informatik, Karim hingegen widmet sich dem Wirtschaftsstudium. 

Auch generell hat sich ihr Leben verändert, seit sie in Österreich sind. Essam erzählt, dass er seinen Glauben, der früher fester Bestandteil seines Lebens war, in Österreich weniger praktizieren kann, da es sein Studiumsalltag oft nicht zulässt. Auch Alkohol war für ihn relativ neu, in seinem Heimatland trinken nur die Wenigsten.

Mit ihren Landsleuten in Österreich haben sie weniger Kontakt. Sie sind aufgeschlossen und möchten hier lieber andere Kulturen kennenlernen. Am Griesplatz treffen Menschen verschiedenster Nationalitäten aufeinander; deshalb haben sie sich dort jeweils für eine Wohngemeinschaft entschieden. In Österreich fühlen sie sich frei, der soziale Druck ist viel geringer als in ihrem Heimatland. “Es ist wie ein neues Leben, mit mehr Freiheit und mehr Möglichkeiten”, meint Essam.

 

Titelbild: Karim und Essam am Griesplatz – Foto: Nadine Hager

*Namen geändert

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