HIV-positiv: Besser gemeinsam als allein

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Über 1.400 Menschen sind in der Steiermark mit dem HI-Virus infiziert. Oliver Ingenillem aus dem Gries ist einer von ihnen. Er lernte, mit seiner unerwarteten Diagnose umzugehen, und möchte nun mit seiner HIV-Selbsthilfegruppe anderen helfen.

Seine Infektion mit Humanen Immundefizienz-Virus, kurz HIV, war für Oliver Ingenillem eine böse Überraschung. Er ließ sich im vergangenen Mai ohne Hintergedanken bei der AIDS-Hilfe in Graz testen, mit dem positiven Ergebnis rechnete er nicht und stand mit der Diagnose erst einmal alleine da. „Als ich mich vom ersten Schock erholt habe, habe ich mich natürlich informiert und umgeschaut, wo man Kontakt knüpfen kann mit anderen Leuten, die auch positiv sind. Dann wurde mir gesagt: ‚Das gibt es hier in Graz nicht‘“, so Ingenillem. Laut ihm sei Graz das Stiefkind Österreichs, denn in vielen anderen Städten des Landes wie Wien und Salzburg gab es schon etablierte HIV-Selbsthilfegruppen und Hilfsprogramme.

Ärzt*innen rieten ihm sogar, die Diagnose für sich zu behalten. „Man hält sich natürlich erstmal an das, was einem gesagt wird. Ich war kurz davor, daran kaputt zu gehen. Du traust dich ja auch nicht, dich als positiv zu outen, wenn dir sowas gesagt wird.” Sie taten das wohl aus guten Gründen, die alten Vorurteile gegenüber HIV-Infizierten scheinen bei gewissen Menschen unausrottbar zu sein. Die Diagnose zerstörte eine in ihren Anfängen stehende Partnerschaft. Ingenillems Partner hatte plötzlich kein Interesse mehr an ihm. Den Rat der Mediziner*innen ignorierte er dann nach 14 Tagen. Er erzählte Freunden und Bekannten von seiner Infektion.

Oliver Ingenillem zog sich nach der Diagnose in sein Zuhause zurück – Foto: Privataufnahmen

Gemeinsam Kraft schöpfen

Was nicht ist, kann ja werden. Oliver Ingenillem wollte sich mit HIV-Infizierten vernetzen und damit den Austausch untereinander beginnen. Da ergab sich die Idee, eine Selbsthilfegruppe zu gründen. Im LKH West machte Ingenillem einen Aushang in der Spezialambulanz, auf den sich Alois Loibner meldete. Der ÖGK-Angestellte ist ebenfalls HIV-positiv. Die beiden schlossen sich zusammen und wurden zu den Gründern der ersten Grazer HIV-Selbsthilfegruppe.

Ingenillem und Loibner druckten Flyer, um auf die Existenz der Selbsthilfegruppe aufmerksam zu machen. Auf denen steht, dass mit der Gruppe das Stigma gebrochen und ein Netzwerk für HIV-Infizierte gegründet werden soll. Für persönlichen Austausch stellt der Verein Jugend am Werk der Selbsthilfegruppe kostenlos Räumlichkeiten zur Verfügung. Zusätzlich dazu soll in einer WhatsApp-Gruppe der Kontakt auch digital aufrechterhalten werden.

Aufklärung im Kampf gegen Stigmatisierung

„HIV ist praktisch ein Todesurteil. Man kann HIV bekommen, wenn die Arbeitskollegin niest oder man vom selben Glas trinkt wie ein Freund. Bei HIV-Infizierten bricht immer AIDS aus und infektiös sind sie auch immer. Aber eigentlich bekommen nur homosexuelle Männer HIV.“

Ingenillem ärgern solche Aussagen. Solche sind mitunter ein Grund, weshalb bis heute Unaufgeklärte einen großen Bogen um HIV-positive Menschen machen – oder Beziehungen verweigert werden wie in Olivers Fall. Dabei läutet bei einer HIV-Infektion gewiss nicht schon die Totenglocke. Wird die Krankheit rechtzeitig erkannt und eine Therapie begonnen, kommt es gar nicht mehr zum AIDS-Ausbruch. Weiters können Medikamente dazu führen, dass HIV-Infizierte nicht mehr ansteckend sind. Die Lebenserwartung bei Infizierten ist ähnlich hoch wie die des Bevölkerungsdurchschnitts. Mit der Selbsthilfegruppe sollen genau solche Vorurteile zu Grabe getragen und Fakten geschaffen werden.

Die Gründer der Selbsthilfegruppe haben verschiedene Ansätze, wie die Stigmatisierung von HIV-Positiven bekämpft werden kann. So sollen Lehrkräfte im Sexualkundeunterricht ihren Schüler*innen erklären, dass es völlig in Ordnung ist, wenn Schüler*innen mit dem HI-Virus dieselben Stifte, Umkleidekabinen oder Toiletten benutzen wie andere. „Verhütung muss viel, viel cooler werden! Und außerdem muss oft wiederholt werden, was HIV ist und unter welchen Voraussetzungen man sich anstecken kann”, meint Alois Loibner. „Ich habe meine HIV-Erkrankung in der Firma öffentlich gemacht, auch, um das Stigma ein Stück weit zu brechen.” Er will in seinem Job bei der Österreichischen Gesundheitskasse zeigen, dass seine Kollegenschaft keine Angst vor ihm haben muss.

Ein Flyer lädt zur HIV-Selbsthilfegruppe ein. – Foto: Victoria Frühwirth

Aller Anfang ist schwer

Die großen Bemühungen, auf die Gruppe aufmerksam zu machen, erwiesen sich aber als zwecklos. Beim ersten offiziellen Treffen der HIV-Selbsthilfegruppe am 1. April taucht keine einzige Person auf. Oliver Ingenillem und Alois Loibner vermuten, es liege am Stigma. HIV-Positive wollen sich nicht outen und erkenntlich zeigen, denn „Graz ist ein Dorf”, so Ingenillem. Sie bleiben aber positiv und hoffen beim nächsten Treffen am 6. Mai auf Teilnehmer*innen.

 

Titelbild: Oliver Ingenillem (links) und Alois Loibner beim ersten HIV-Gruppentreffen – Foto: Victoria Frühwirth

Infobox

Die Treffen der HIV-Selbsthilfegruppe finden jeden ersten Freitag im Monat um 19 Uhr in der Lauzilgasse 25, 3. Stock, in Graz statt. Es sind auch Freizeitaktivitäten geplant.

Tel.: +43 676 540 8966

E-Mail: interessensgemeinschaftgraz@gmx.at

Wenn die ehrgeizige Chefredakteurin keine True-Crime-Podcasts hört, verbringt sie ihre Freizeit gerne mit kitschigen Liebesromanen oder Thrillern in der Natur. Während Theaterstücke und Pop-Musik die Geschichtenschreiberin in ihren Bann ziehen, macht die Studentin einen weiten Bogen um Schlagermusik.

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