Kräuter wachsen nicht nur auf ländlichen Wiesen und in stillen Wäldern, sondern auch der urbane Raum hat einiges an wertvollen Pflanzen zu bieten. Ein Kräuterspaziergang durch das Annenviertel bringt wilde Gewächse ins Gewürzregal.
„Bereits als Kind war die Natur mein Vorbild, auch heute inspiriert sie mich jeden Tag“, so der Grazer Kräuterexperte Michael Flechl. Vor acht Jahren hat er seine Leidenschaft für Pflanzen zum Beruf gemacht und bietet seitdem Wanderungen, Workshops und Seminare an, um sein umfangreiches Wissen zur Garten- und Kräuterkunde zu teilen.
Der Volksgarten als Schauplatz
Michael Flechl findet sich an diesem späten Donnerstagnachmittag mit seiner Gruppe am Esperantoplatz ein. Dort startet die Kräuterwanderung für die zehn Erwachsenen und vier Kinder. Sie entdecken die unerwartet vielfältige Botanik in ihrer unmittelbaren Wohnumgebung. Weit kommen sie nicht, bis Leiter Flechl die Aufmerksamkeit auf eine Pflanze am Murufer lenkt. „Hier haben wir ein Prachtexemplar!“, ruft er und hat bereits einen Trieb der Pflanze entnommen. Eifrig versammeln sich die Teilnehmer:innen um ihn. Sie wollen wissen, um welches Heilkraut es geht.
„Bei dem Gewächs handelt es sich um den wilden Hopfen”, erklärt Flechl. Im Volksmund wird er auch als wilder Spargel bezeichnet, da die letzten 20 Zentimeter als Spargelersatz verwendet werden können. Dieser kann roh gegessen, oder beispielsweise mit Nudeln in Öl angebraten werden. Die Pflanze gehört zur Familie der Hanfgewächse und ist somit der legale Bruder von Cannabis. Ihre Blätter haben gesägte Ränder und sind voller Bitterstoffe, die verdauungsfördernd wirken. Zudem haben sie eine einschläfernde Wirkung, weshalb der Kräuterexperte bei Schlafstörungen eine Tasse Hopfentee am Abend empfiehlt.
Die Natur ist die beste Apotheke
Im Laufe der fast zweistündigen Tour zeigt Flechl den Teilnehmer:innen verschiedene Schätze im Volksgarten. In dieser Hinsicht sei der Park im Lend ein echtes Juwel, meint er. Bereits vor dem Park steht ein wahres heimisches Superfood: der Holunderstrauch. Ab Mitte August können die roten Beeren geerntet werden und sie sind in Sachen Heilung wahre Allrounder. Mit ihren hohen Mengen an Vitamin C und Kalium stärken sie das Immunsystem und Herz. Sie können vielfältig zu Säften, Tees oder Marmelade verarbeitet werden. Getrocknet sorgen die roten Früchte das ganze Jahr über für Pep in der Küche.
Wenige Schritte weiter wachsen bereits die ersten Gänseblümchen. „Die Grundblätter kann man als Salatersatz benutzen, da sie dem Vogerlsalat sehr ähnlich sind“, so Michael Flechl. Auch die Blüten sollen hervorragend im Salat schmecken und verfeinern als Vitamin-Kick Butterbrote oder Pasta.
Der Unterschied zwischen Stadt und Land liegt in der Vielfalt der Pflanzen. Während im ländlichen Raum hauptsächlich „Klassiker“ wie Schafgarbe oder Brennnessel zu finden sind, geht es in der Stadt um einiges exotischer her. „Das liegt daran, dass Menschen mit migrantischem Hintergrund Exoten wie die Kichererbse mit nach Graz genommen haben. Außerdem lebt hier junges, studentisches Publikum, welches generell experimentierfreudiger ist“, sagt der Kräuterexperte, während die Gruppe weiter durch den Park flaniert. Beim Sammeln in der Stadt müssen Hauptverkehrswege gemieden werden, da die Pflanzen ansonsten mit Schadstoffen belastet sind. Schade findet Michael Flechl die allgemein geringere Menge an Pflanzen: „In der Stadt gibt es keine so großen Bauerngärten, wodurch eine ganze Familie ernährt werden kann.“
Der Ginkgo – das lebende Fossil
Zum Abschluss der Wanderung führt Flechl die Teilnehmer:innen zu seinem persönlichen Highlight im Volksgarten. „Hier steht der größte und schönste Ginkgobaum in ganz Graz“, erklärt er mit einem Lächeln. „Der Ginkgo stammt aus China und es gibt ihn seit Millionen Jahren, das ist ein Phänomen“, ergänzt er. Fast genauso lange sind seine zweiteiligen Blätter für ihre Wirkstoffe bekannt. Sie können frisch gepflückt oder getrocknet als Tee gekocht werden. Flechl empfiehlt vier bis fünf Blätter pro Tasse. „Das Ginkgoblatt ist voller guter Inhaltsstoffe. Es wirkt lebensverlängernd und ist gut für unser Gedächtnis.“ Im Mai sind die Blätter wenige Wochen alt und am hochwertigsten. Ab Juni soll das Ernten vermieden werden, da sie dann bitter schmecken.
Die heutige Ausbeute können die Teilnehmer:innen vielseitig verwenden, beispielsweise für ein selbstgemachtes Kräutersalz. „Das allerbeste Kräutersalz entsteht aus jenen Kräutern, die in der Nähe wachsen.“ Das fertige Salz ist die perfekte Ergänzung zu hausgemachten Speisen, erklärt der Kräuterexperte. „Es ist gesund, schmeckt gut und macht Freude!“
Titelbild: Die Wanderung startet am Esperantoplatz. – Foto: Hannah Bachler