Helga Ahrer steht vor einem roten Banner mit der Aufschrift „Gewerkschaftsfrauen".

„Wir müssen uns mehr zutrauen“ – Armut ist in Österreich weiblich

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Die Rekordinflation trifft Frauen besonders hart. Sie verdienen nach wie vor deutlich weniger als Männer und leisten mehr unbezahlte Arbeit. Helga Ahrer, die Vorsitzende der ÖGB-Frauen Steiermark, fordert zum Start ihrer neuen Funktionsperiode Verteilungsgerechtigkeit.

Der Faktor Arbeit muss endlich neu bewertet werden“, sagt Helga Ahrer, die Frauenvorsitzende des steirischen Gewerkschaftsbundes. Wer seine Erwerbstätigkeit etwa wegen Betreuung von Kindern oder Angehörigen unterbrechen muss, solle dafür bezahlt werden. Die Geringschätzung unbezahlter Arbeit sei nur ein Grund für die prekäre Situation, in der sich Frauen seit der Corona-Krise und der steigenden Inflation befinden. Laut Statistik Austria sind Frauen vor allem durch Nachteile am Arbeitsmarkt und zu wenig Absicherung im Haushalt stärker von Armut bedroht als Männer. Als armutsgefährdet gelten in Österreich Menschen, deren monatliches Nettohaushaltseinkommen unter dem Schwellenwert von 1.328 € liegt. 

Mühsamer Kampf um Gleichstellung

Die Gewerkschafterinnen setzen sich seit Jahrzehnten für gleichen Lohn bei gleicher Leistung ein, wie Helga Ahrer am Donnerstag im Rahmen einer Pressekonferenz berichtet. „Aber wenn es so langsam weitergeht, brauchen wir noch 100 Jahre“, so die Frauenvorsitzende. Am Donnerstag wurde die 54-Jährige, die auch SPÖ-Landtagsabgeordnete sowie Präsidiums- und Vorstandsmitglied der SPÖ-Landesfrauen ist, für eine neue Funktionsperiode als ÖGB-Frauenvorsitzende in der Steiermark wiedergewählt. Die Wahl fand im Rahmen der ÖGB-Landesfrauenkonferenz in den Kammersälen statt. Das zentrale Thema für das Arbeitsprogramm der nächsten fünf Jahre ist Verteilungsgerechtigkeit. Kein kleines Ziel für Österreich, wo Frauen – bezogen auf den durchschnittlichen Bruttostundenverdienst – noch immer um 18,9 Prozent weniger verdienen als Männer. „Das liegt an unserem verkorksten Gesellschaftssystem“, so Ahrer. Frauen, die nach der Geburt eines Kindes schnell wieder in den Job einsteigen, sehe man häufig als Rabenmütter. Dieses Bild müsse geändert werden – hier brauche es Vorbilder, die zeigen: Es geht auch anders.

Der große Kammersaal der Arbeiterkammer ist gut besetzt. Die ÖGB-Frauen sitzen auf langen, weißen Tischen hintereinander.
Im Großen Kammersaal der Arbeiterkammer fand die steirische Landesfrauenkonferenz statt. – Foto: Edith Fuchsbichler

„Anwesenheitsfetischismus“ und Menstruations-Frei

Ahrer plädiert für ein Überdenken der Arbeitszeitgestaltung und zeigt sich verärgert über die Einstellung der Arbeitnehmer:innen. „Wir haben einen Anwesenheitsfetischismus und gelten nur als tolle Mitarbeiter:innen, wenn wir Überstunden machen und immer da sind.“ Österreich könne sich hier ein Beispiel an den skandinavischen Ländern nehmen. Ähnlich sei es auch mit dem Krankenstand. Besonders der Handel arbeite gerne mit Prämien, die an jene ausbezahlt werden, die keinen Krankenstand in Anspruch nehmen. „Dann sitzen die Kolleginnen an der Kasse und husten sich fast zu Tode, weil sie die 400 bis 500 Euro Prämie brauchen“, sagt Ahrer. 

In Spanien wurde kürzlich ein Gesetzesentwurf vorgestellt, der Frauen bei starken Menstruationsbeschwerden bezahlten Krankenstand einräumt. Ahrer habe die Fortschrittlichkeit des Landes überrascht: „Wir sollten auf jeden Fall auch in Österreich darüber nachdenken.“

Teilzeitfalle, Mindestlohn und unbezahlte Arbeit

In einem 23-seitigen Katalog machen die ÖGB-Frauen ihre Forderungen für die nächsten fünf Jahre fest. Für die Steiermark besonders wichtig seien die Schaffung von Kinderbetreuungsplätzen, ein Mindestlohn von 1.700 Euro und die Befreiung der Frauen aus der „Teilzeitfalle“. 49,6 Prozent der erwerbstätigen Frauen arbeiteten im Jahresdurchschnitt 2021 Teilzeit. Bei den Männern liegt der Anteil der Teilzeitbeschäftigten bei nur 11,6 Prozent. „Teilzeitbeschäftigung heißt auch Teilpension“, sagt Ahrer und betont die Gefahr der Altersarmut, die in Österreich hauptsächlich Frauen betrifft. Mehr Vollzeitbeschäftigung könne man zum Beispiel erreichen, indem Unternehmen dazu verpflichtet werden, freie Vollzeitstellen zuerst mit eigenen Mitarbeiter:innen nachzubesetzen, bevor extern rekrutiert wird. Außerdem müsse unbezahlte Arbeit, wie etwa Kinderbetreuung, auch in der Geldbörse etwas wert sein.

Dass sich finanzielle Sorgen bei den Steirerinnen aktuell häufen, kann auch Susanne Alter vom Frauenberufszentrum „Mafalda“ in Gries bestätigen. „Seit der Corona-Krise ist die Nachfrage für unsere Beratungen stetig gestiegen“, sagt Alter. Mädchen und Frauen hätten vermehrt Existenzängste.

Frauen verhandeln schlecht

Nicht nur das bestehende System führt zur Benachteiligung der Frauen am Arbeitsmarkt. „Wir stehen uns oft selbst im Weg“, meint Helga Ahrer und verweist auf die Grundeinstellung vieler Frauen, sich Aufgaben nicht zuzutrauen. „Männer verdienen mehr, weil sie besser verhandeln“, so die Frauenvorsitzende. Frauen hingegen fehle oft der Mut und das nötige Selbstvertrauen, ein besseres Gehalt auszuhandeln. Hier brauche es Bewusstseinsbildung und gezielte Stärkung der Frauen. Wichtig sei zudem selbstbestimmtes Handeln und finanzielle Unabhängigkeit. „Eine Scheidung oder das Abrutschen in eine Schuldenspirale kann man nicht planen“, so Ahrer. Man müsse für alles gewappnet sein. Sie appelliert an alle Frauen, ihre Kontakte zu nutzen und mutiger zu sein: „Wir haben die Qualifizierung, wir sind tolle Frauen, wir müssen uns mehr zutrauen.“

Titelbild: Helga Ahrer ist auch für die nächsten fünf Jahre Vorsitzende der ÖGB-Frauen Steiermark. – Foto: Sophie Weinhandl

 

 

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