Am Samstag, dem 11. Juni, fand der dritte große Hinterhofflohmarkt in ganz Graz statt. Besucher:innen bekamen Einblicke in die Grazer Gärten und Hinterhöfe, lernten ihre Nachbarschaft besser kennen und hauchten alten Dingen neues Leben ein.
Auf den ersten Blick wirkt der Hinterhof in der Niesenbergergasse mit seinen Betonwänden kahl und trist. Beim Betreten hört man aber Gelächter, eine hitzige Preisverhandlung und Kinder, die kreischend Fangen spielen. Tische, vollgepackt mit alten Spielsachen, Küchengeschirr, Deko-Artikeln und Büchern bringen Farbe in den Hof. Es sind Gegenstände, die auf neue Besitzer:innen und ein neues Leben warten.
Von der Annenstraße in den Hinterhof
Maria Reiner organisierte 2018 zum ersten Mal den Hinterhofflohmarkt als Nachfolgeprojekt vom Annenstraßen-Flohmarkt. Dieser wurde 2011 von Simone Reiss und Gabi Medan geschaffen und später vom Verein Stadtteilprojekt Annenviertel übernommen. Durch immer strenger werdende Auflagen und Gesetze, unter anderem des Straßenamtes, sah sich der Verein gezwungen, den Markt einzustellen. „Die Idee war es, Leuten die Möglichkeit zu geben, ihre Sachen direkt vor ihrer Haustüre verkaufen zu können“, erzählt Maria Reiner. Teilnehmer:innen können mit einer kleinen Gebühr und unter der Beachtung weniger Spielregeln in ihren eigenen Hinterhöfen einen Flohmarkt gestalten. „Ich finde den Reuse- und Recycle-Gedanken super. Alten Sachen wird eine neue Wertschätzung beigemessen und wieder Leben eingehaucht“, so Reiner.
In der Kernstockgasse hängt eine Reihe von Kleidungsstücken auf einem grünen Gartenzaun und bewegt sich im Wind. Davor stehen Bücher, Teller und Töpfe auf Stühlen und Tischen mit bunt gemusterten Decken. Der Stand gehört den beiden Freundinnen Jessie und Christine. Sie kommen ursprünglich aus Frankreich und haben sich in Graz über die Krippe ihrer Kinder kennengelernt.
Annenpost: Wieso macht ihr mit?
Jessie: Es war schade, dass der Hinterhofflohmarkt die letzten Jahre durch Corona oder wegen dem Wetter abgesagt wurde. Wir haben inzwischen viel gesammelt und wollten unbedingt dabei sein. Es ist schön, zu teilen und mit neuen Leuten in Kontakt zu kommen.
Was sind eure Lieblingsstücke?
Jessie: Für mich ist die Schüssel meiner Großmutter sehr wertvoll. Sie hat ein paar kleine Makel, ist aber ein sehr schönes Stück. Sie muss weiterleben, in einem Haushalt mit mehr Platz als bei uns. (lacht)
Christine: Ich konnte mich am schlechtesten von den Vinylplatten der Achtziger- und Neunzigerjahre trennen, weil sie meine Jugend darstellen. Durch den Verkauf auf diesem Weg sehe ich aber, wer der nächste Besitzer der Platten wird.
Am Grieskai verkaufen die langjährigen Freundinnen Sonja, Sabine und Vanessa ihr sorgfältig aufgereihtes Porzellangeschirr, Deko-Gegenstände und Kindersachen.
Was fasziniert euch am Hinterhofflohmarkt?
Vanessa: Man entdeckt neue Ecken in Graz und betritt Hinterhöfe, die man nicht kannte oder vorher nicht betreten durfte.
Sonja: Ich finde das Konzept klasse, dass Dinge vor dem Wegschmeißen bewahrt werden. Die Wiederverwendung dringt jetzt zum Glück immer mehr ins Bewusstsein der Leute ein. Leider findet heute auch der Grazathlon statt, weshalb der Hinterhofflohmarkt für einige Leute vielleicht etwas unattraktiver ist.
Ein Lieblingsstück eures Standes?
Sabine: Das ist eine Warmhaltekanne, die ich von meiner Tante geerbt habe. Bei ihr hat sie immer auf einem Kasten in der Küche gestanden. Sie müsste von den Fünfzigerjahren sein, bei mir passt sie leider nicht mehr zum restlichen Geschirr.
In der Annenstraße findet man in einem gut versteckten Innenhof mit vielen grünen Pflanzen und Bäumen Milica, Silvia und deren Tochter Cosma. Hier gibt es größtenteils gebrauchte Kleidungsstücke. Ihre Besucher:innen versorgen die drei mit selbstgemachtem Kuchen und Saft.
Von welchen Dingen habt ihr euch schwer trennen können?
Milica: Ich habe viele Sachen, die nur darauf gewartet haben, verkauft zu werden. Als ich gesehen habe, dass meine Nachbarn am Flohmarkt teilnehmen, habe ich spontan auch mitgemacht und meine Sachen dazugelegt. Bei Dingen, die mit schönen Erinnerungen behaftet sind, musste ich zweimal überlegen, ob ich sie verkaufe. Erinnerungen machen es schwierig, Sachen loszulassen.
Silvia: Dinge, die man von besonderen Menschen bekommen hat, gibt man ungern her. Wie das Kleid, welches mein Mann mir geschenkt hat oder mein schwarzer Rock, den ich mir von meinem Hochzeitsgeld gekauft habe. Ich trage diese Kleidungsstücke aber viel zu selten, vielleicht findet sich jemand, der sie mehr nutzt.
Was haltet ihr vom Hinterhofflohmarkt?
Silvia: Es ist spannend zu sehen, dass sich hinter den grauen Hausfassaden neue grüne Welten auftun. Ich würde mir wünschen, dass noch mehr Leute teilnehmen. Hier in der Annenstraße gibt es einige Häuser mit sehr schönen, großen Hinterhöfen, aber nicht viele Teilnehmer:innen.
In der Niesenbergergasse bietet ein grüner Rasen Fläche für indianische Decken, Kleiderständer und Tische mit allem möglichen Krimskrams. Ins Auge fällt aber ein schlichter Tisch mit weißer Tischdecke, auf welchem Vanessa stolz ihren eigens kreierten Schmuckstücke verkauft.
Was hat dich dazu bewegt, beim Hinterhofflohmarkt teilzunehmen?
Verena: Ich versuche mir jedes Jahr an dem Tag, an dem der Flohmarkt stattfindet, freizunehmen. Ich finde die Möglichkeit toll, seine Nachbarschaft kennenzulernen und sich mit ihr auszutauschen. Das hat was Verbindendes. Eine Nachbarin hat uns zum Beispiel ihre Sachen zum Verkauf gegeben.
Du verkaufst selbst gemachten Schmuck?
Verena: Ja, ich bastle gerne, habe aber keine eigene Firma und versuche ihn so an die Leute zu bringen. Ich arbeite als Sozialarbeiterin und dann ist diese Beschäftigung ein guter Ausgleich. Meine Mutter hat mich beim Basteln schon früh gefördert, am besten hat mir das Arbeiten mit Perlen gefallen.
Auf dem Flohmarkt in der Niesenberggasse findet man alles Mögliche. Von Möbeln bis zu einem Fruchtbarkeitsmonitor verkauft Andrea hier alles, was das Herz begehrt.
Was bedeutet Nachhaltigkeit für dich?
Andrea: Ich liebe die Nachhaltigkeit. Ich kaufe mir so gut wie nie neue Kleidung, sondern Second-Hand-Waren. Besonders bei der Kinderkleidung finde ich es wegen möglichen Schadstoffen gut, wenn sie mehrere Male getragen und gewaschen wurde. Meine Faustregel: Habe ich etwas für mindestens zwei Jahre nicht mehr angehabt, kommt es weiter.
Welche Produkte verkaufst du heute besonders gerne?
Andrea: (lacht) Diese Flaschen Leinöl hier, zum Restaurieren von Holz und Metallgeländern. Ich verkaufe die Restbestände von der ehemaligen Firma meines Vaters. Ich finde es gut, Leuten eine Alternative zu künstlichen Lacken zu zeigen, auch wenn sie das Produkt nicht bei mir kaufen. Ich möchte den Menschen damit die Nachhaltigkeit näher bringen.
Titelbild: Der Hinterhofflohmarkt in der Niesenbergergasse ist bereits am Vormittag in vollem Gange. – Foto: Nadine Hager