Im Annenviertel sind mehr Lokale für Sportwetten anzutreffen als in anderen Grazer Stadtteilen. Ein Vergnügen, dass bei gefährdeten Menschen aber auch in einer Sucht enden kann. Woran liegt die unproportionale Verteilung der Wettlokale in Graz und wo führt das Ganze hin?
Dienstagnacht in Eggenberg. Dicke Regentropfen prasseln vom dunklen Himmel. Die Straßen sind leer, die meisten Geschäfte geschlossen. Gezielt betrete ich einen hellen Raum und lasse die kalte Atmosphäre hinter mir. Ich betrete eine neue Welt. Eine Welt der Zahlen, des Mitfieberns und des Risikos. Direkt am Eingang stehen mehrere Automaten, an den Wänden hängen große Flachbildschirme. Zu sehen sind Fußballspiele und die dazugehörigen Wettquoten. Wettlokale gibt es im Annenviertel mehr als sonstwo in Graz, mehr als zehn haben wir gezählt. In Eggenberg, Gries und Lend versammeln sich damit mehr Anbieter als auf der gesamten linken Murseite.
Sportwetten – das neue Glücksspiel?
Dieses Phänomen hat verschiedene Gründe. Am 1. Juli 2014 regelte der Steirische Landtag das Steirische Glücksspielautomaten- und Spielapparategesetz neu. Das ging mit vielen neuen Restriktionen für das Spiel mit dem Geld einher. So erhielten überhaupt nur drei Anbieter Lizenzen, die fortan Glücksspiel anbieten durften: Die ADMIRAL Casinos & Entertainment AG, die PA Entertainment & Automaten AG sowie die PG Enterprise AG.
Kleine Betriebe mussten schließen oder die Glücksspielautomaten aus ihren Räumlichkeiten entfernen. „Die klassischen Glücksspiellokale sind teilweise zurückgegangen“, so Edith Zitz, Geschäftsführerin einer gemeinnützigen Organisation mit dem Schwerpunkt Menschenrechte. Gleichzeitig wirkt sie auch in einem Projekt mit, das sich mit dem Thema Spielsucht auseinandersetzt. Sie beobachtete einen Trend: „Stattdessen sind ganz stark Sportwettbüros aus dem Boden geschossen.“
Stadtplanung ohne Grenzen
Und in genauso einem Wettbüro im Annenviertel stehe ich nun mit einem Zehn-Euro-Schein in der Hand. Nachdem ich mich am Tresen registriert habe, wette ich bei einem der Automaten fünf Euro auf einen Sieg Deutschlands. Kai Havertz, Thomas Müller und Co. treffen in der Nations League auf England. Ein Duell, das mir eine Auszahlung von über zehn Euro bescheren könnte. Zuvor bin ich bereits online auf meinem Handy ein höheres Risiko eingegangen und habe beim Spiel Italien gegen Ungarn auf unseren östlichen Nachbarn gesetzt, der als Underdog in die Partie geht.
An ein ruhiges Verfolgen beider Spiele ist nicht mehr zu denken. Doch zum Wetten allein bin ich nicht gekommen, ich will Antworten auf meine Fragen, wie es zu den Grazer Hotspots kommen kann. Zurück am Tresen, werde ich vom Personal mit freundlichem Ton abgewimmelt. Ich starte einen weiteren Versuch auf der anderen Straßenseite in einem weiteren Wettlokal. Dort wird mir eine Telefonnummer gegeben, an die ich mich mit meinen Fragen wenden soll. Genau das tue ich, aber Antworten bekomme ich auch hier nicht. Doch allein die Tatsache, dass ich von einem bis zum nächsten Wettlokal keine fünfzig Meter gehen musste, lässt mich nicht los.
Das Annenviertel – ein Magnet für Sportwetten
Wer in der Steiermark ein Wettlokal eröffnen möchte, braucht als Wettunternehmer:in eine Bewilligung des Landes Steiermark. Für diese müssen verschiedene Voraussetzungen erfüllt werden. Dazu gehört unter anderem eine finanzielle Leistungsfähigkeit oder auch das Vorlegen von Konzepten zur Vorbeugung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. Sind diese und weitere Voraussetzungen erfüllt, wird eine Hauptbewilligung erteilt, mit der überall in Graz ein Wettlokal eröffnet werden kann.
Verhältnismäßig viele Wettbüros befinden sich in den Stadtteilen Gries und Lend. In diesen ist der Bevölkerungsanteil von Menschen mit Migrationshintergrund überproportional hoch. Edith Zitz hat eine Vermutung, woran das liegen könnte: „Das hängt mit den Intuitionen der Konzerne zusammen, die Sportwetten anbieten. Sie gehen dorthin, wo sie wissen, dass ihr Angebot Abnehmer findet.“ Tatsächlich zeigen Statistiken, dass nicht nur, aber vor allem Menschen mit Migrationshintergrund Sportwetten betreiben. Die meisten sind Männer und das zu einem großen Teil auch welche in jungem Alter.
Glücksspiel oder Geschicklichkeit
Möglich werden solche Wettlokal-Hotspots, da Sportwetten in Österreich nicht als Glücks-, sondern als Geschicklichkeitsspiel definiert werden. Dort ist der gesetzliche Rahmen deutlich lockerer geschnürt als im Glücksspielsektor. Diese müssen zueinander und auch zu anderen Einrichtungen wie Schulen, Jugendzentren oder dem AMS einen klar definierten Mindestabstand einhalten. Bei Wettlokalen ist dies nicht so.
Bei der Frage, ob es sich bei Sportwetten tatsächlich um kein Glücksspiel wie dem klassischen Automatenspiel handelt, scheiden sich aber die Geister. Laut Zitz könne der Eindruck, dass Wettende durch ihre Kenntnisse über den Sport bereits den Ausgang erahnen können, allerdings täuschen. „Das klingt zwar nachvollziehbar, andererseits gibt es deutsche Forschungsergebnisse, die belegen, dass das gerade nicht so ist. Personen, die Sportwetten abgeben, schätzen sich selbst häufig sehr unrealistisch ein und verlieren deshalb auch hohe Summen“, so Zitz.
Der Teufelskreis der Spiel- und Wettsucht
Anbieter von Glücksspielen müssen einen strengen Spielerschutz befolgen, wozu auch regelmäßige Schulungen der Mitarbeiter:innen zählen. Einen Standard, den Sportwettenanbieter nicht erfüllen müssen. Im Steiermärkischen Wettgesetz ist zwar ein Jugend- und Wettkund:innenschutz festgehalten, im Vergleich zu jenem des Glücksspielgesetzes hält sich dieser aber deutlich in Grenzen.
„Politisch ist das eine totale Katastrophe“, macht Zitz ihren Unmut deutlich, zumal Sportwetten auch als vermeintliches Geschicklichkeitsspiel eine Gefahr bergen. Laut ‚wette-glueck.at‘ ist jeder Sechste, der Sportwetten betreibt, stark gefährdet, an einer Sucht zu erkranken. Diese kann unterschiedliche Ursprünge haben. Laut Gerald Pfeiffer, der einst selbst spielsüchtig war und nun Vorträge zu diesem Thema hält, beginnt diese aber häufig mit einem Erstgewinn. Der Gedanke, damit schnell gutes Geld machen zu können, könnte einen in einen Teufelskreis treiben.
Pfeiffer leitet mittlerweile eine Selbsthilfegruppe, in der auch Betroffene einer Wettsucht Hilfe finden. „Sie haben mir erzählt, was es für Möglichkeiten gibt und das nimmt eine große Ähnlichkeit mit dem Automatenspiel an“, erklärt Pfeiffer. „Es muss nämlich die Intensität da sein, es muss schnell gehen und auch viele Möglichkeiten geben.“
Die Hoffnung auf eine geschütztere Zukunft
Und tatsächlich, mein Handy lässt mich mit meinen beiden Tipps nicht mehr los. Immer wieder checke ich die Spielstände. Glück sollte ich schließlich aber nicht haben: Meine Wetten gehen nicht auf, was nichts daran ändert, dass mich Sportwetten gepackt haben. Noch Tage darauf verspüre ich die Lust, Geld auf eine Mannschaft oder ein Szenario zu setzen. Nach einiger Zeit flacht mein Wettfieber allerdings wieder ab.
Im Annenviertel dagegen sind Wettbüros schon lange angekommen. Ein Geschäft, das zwar nicht verboten werden soll, aber laut Expert:innensicht zumindest stärker reglementiert werden sollte. „Wenn es nicht bald eine Regulierung vom Sportwettenmarkt gibt, bin ich mir ziemlich sicher, dass es mehr Betroffene einer Sucht geben wird“, warnt Edith Zitz.
Wer bei Sportwetten daran denkt, das große Geld machen zu können, hat ohnehin schon verloren. Vielmehr sollte die Unterhaltung im Mittelpunkt stehen, die sich Wettende durch ihren Einsatz kaufen – unabhängig davon, ob sie gewinnen oder verlieren. Sieg oder Niederlage spielen aber spätestens dann keine Rolle mehr, wenn Menschen durch exzessives Wetten ihre Existenz bedrohen.
Titelbild: Das Stadtbild des Annenviertels wird auch von Wettlokalen geprägt. – Foto: Samuel Marton