Durch die Teuerungswelle ist es für soziale Einrichtungen schwieriger geworden, Bedürftigen zu helfen. Ohne Unterstützung sehen die Verantwortlichen laufende Projekte in Gefahr.
Von Felix Ernst, Daniel Ghanimi, Jakob Grill, Leon Kerninger und Hannah Klug
Silvia Jölli ist die Geschäftsführerin des Projekts Heidenspass. Sie nennt die Probleme, die sie zurzeit wach halten, beim Namen: „Höhere Kosten, höhere Betreuungsintensität und weniger Geld, das ist die Kombination – und die ist schon mies. Ich habe schon meinen eigenen Job dadurch verloren”, sagt sie. Aufgrund der steigenden Energie- und Materialkosten hat sich Jölli selbst gekündigt und führt ihre Tätigkeit ehrenamtlich fort.
Seit 16 Jahren bietet Heidenspass Jugendlichen aus schwierigen Verhältnissen eine geringfügige Anstellung. In den Upcycling-Werkstätten und der Betriebsküche der Einrichtung können sie verschiedene Handwerke erlernen. Die Jugendlichen nähen dort zum Beispiel Taschen aus alten LKW-Planen, die zum Kauf erhältlich sind. Jölli sorgt sich um den Fortbestand von Heidenspass: “Das schaffen wir nur, wenn es da deutliche Signale gibt, wenn Fördergelder angepasst werden. Sonst werden wir noch vor unserer Volljährigkeit sterben.”
Auf Unterstützung angewiesen
Mit ihren Sorgen ist Jölli nicht allein. Auch größere Einrichtungen wie die Caritas oder die VinziWerke leiden zunehmend an den Folgen der Inflation. Diese ist zuletzt laut Statistik Austria auf 10,5 Prozent gestiegen und damit so hoch wie zuletzt vor 70 Jahren. Die Kosten für den laufenden Betrieb steigen. Trotzdem bleiben Förder- und Spendengelder gleich oder gehen vielleicht sogar zurück. “Wir erwarten einen Spendeneinbruch”, sagt Nicola Baloch, stellvertretende Koordinatorin der VinziWerke. Das hat schwerwiegende Folgen – ohne Unterstützung müssten sie das Angebot einschränken.
Auch für die Caritas der Diözese Graz-Seckau ist klar, dass es öffentliche Förderung braucht: “Die Hilfeleistungen einzuschränken – daran denken wir nicht”, heißt es auf Anfrage. Auch private Spender sind aufgerufen, nach Möglichkeit zu unterstützen – und im Rahmen der Aktion “Brauch i das? Oder Caritas” ihren Klimabonus zu spenden. Silvia Jölli von Heidenspass kritisiert, dass Förderungen teilweise nicht angepasst würden: “Ich bekomme seit 16 Jahren die gleiche Subvention vom Land Steiermark. Das heißt nichts anderes als: Es wird einfach immer weniger.”
Verdoppelung der Kosten
Die VinziWerke stellen mit ihren Einrichtungen einen Fixpunkt im Grazer Sozialbereich dar. Folgen der Teuerung werden bei ihnen bereits im Kleinen sichtbar. In den vergangenen Jahren zahlten sie im Schnitt 7.000 € pro Jahr aus einem Topf für akute Hilfeleistungen aus, heuer flossen bereits 12.000 €.
Die VinziWerke sind bis zu 75 Prozent von der Unterstützung durch Spender:innen abhängig. Für sie wäre es fatal, wenn die Spendenbereitschaft nachließe. „Die Teuerung, die alle Menschen betrifft, betrifft noch einmal stärker die Ärmsten und Obdachlosen in unserer Gesellschaft“, sagt Baloch. Zugleich nehmen immer mehr Menschen Angebote in Anspruch, die sie früher nicht gebraucht haben. “Mit der Teuerung ist die Armut schon fast in der Mittelschicht angekommen.“
Um die Finanzierung der rund 40 Einrichtungen aufrechtzuerhalten, setzen die VinziWerke auf Öffentlichkeitsarbeit. Amrita Böker, die Koordinatorin der VinziWerke, zeigte sich auf Nachfrage aber zuversichtlich: “Die VinziWerke sind ein Rettungsanker für Menschen in unterschiedlichen Notlagen. Solange wir gebraucht werden, sind wir für sie da.”
Hilfe in der Krise
Einen starken Zuwachs an Erstkontakten erfahren zurzeit die Einrichtungen der Caritas. Die Beratungsstelle zur Existenzsicherung berichtet von einer Steigerung um 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Im Zeitraum von Jänner bis August 2022 wurden insgesamt 460.000 Euro an finanziellen Unterstützungen ausbezahlt. Dem gegenüber stehen 418.000 Euro im letzten Jahr: „Das ist ein Zeichen, dass zunehmend Menschen betroffen sind, die bisher ihre Ausgaben meistern konnten“, teilt die Presseabteilung mit. Allein die Lebensmittelausgaben der Caritas haben sich zuletzt verdoppelt. Bisher wurde in der Steiermark am Tag eine Tonne Lebensmittel ausgegeben, mittlerweile seien es zwei. Michael Landau, Präsident der Caritas, forderte zuletzt ein Eingreifen der Politik. Das Geld müsse bei denen ankommen, die es dringend brauchen.
Trotz der schwierigen Lage freut sich die Caritas, dass Spenden nicht zurückgehen: “Wir hatten in den letzten zwei, drei Jahren einige Krisen, Menschen haben Einbrüche in ihrer eigenen finanziellen Situation erlebt und wir haben das nicht gespürt. Dafür sind wir sehr dankbar.”
Die Caritas spricht aus, was sich jede der Organisationen denkt. Niemand möchte in Zeiten der Krise bei Einrichtungen zurückstecken. Für sie gilt es jetzt, betroffene Menschen in Not zu unterstützen: „Die Hilfeleistung einzuschränken, da denken wir nicht dran. Das letzte, was wir wollen, wäre eine Notschlafstelle zuzusperren.“
Titelbild: Ein Bewohner findet Schutz im VinziNest. – Foto: VinziWerke