Das Projekt „Jugendstreetwork Graz“ musste, genauso wie die zugehörige Anlaufstelle in der Annenstraße, Ende 2022 seine Türen schließen. Ein Rückblick, wie sich Viertel und Volksgarten in den letzten fünf Jahren aus Sicht der Streetworker verändert haben.
von Jan Sacher und Jonas Langreiter
„Closed Forever“ steht auf dem Kartonschild, das mit Klebestreifen auf der Tür der Annenstraße 64 haftet. Das Geschäftslokal sieht verlassen aus. Fünf Jahre lang diente es als Anlaufstelle für Jugendliche und deren Probleme, Sorgen und Hoffnungen. Nun wartet der Raum auf eine:n neue:n Mieter:in. Alle fünf Jahre vergibt das Amt für Jugend und Familie der Stadt Graz den Auftrag, Jugendstreetwork zu betreiben. Von 2018 bis Ende 2022 setzte eine Trägergemeinschaft aus SOS-Kinderdorf, WIKI und INPUT dieses Projekt um.
Fünf Jahre lang stand das siebenköpfige Team Jugendlichen zur Seite und bot ihnen Unterstützung und Beratung in allen Aspekten ihres Lebens. Nun übernimmt der Verein LOGO, der sich in einem Wettbewerbsverfahren durchgesetzt hat. So wie die Aktivitäten des Teams rund um Roland Maurer-Aldrian musste nun auch die Anlaufstelle in der Annenstraße eingestellt werden. Jener Raum bot jahrelang einen Rückzugsort für Teenager, die die Sozialdienste an einem ruhigen, sicheren Ort beanspruchen wollten. „Den neuen Standort im Explosiv halten wir fachlich nicht als ideal, weil es einfach nicht auf der Achse liegt, wo sich die Jugendlichen gerne und viel aufhalten“, übt Maurer-Adrian Kritik an der neuen Anlaufstelle von LOGO.
Ein weiterer Eckpfeiler der Arbeit war das Zugehen auf Jugendliche an ihren Aufenthaltsorten. „Das hat vor allem im Rahmen von Spaziergängen und längerem Verweilen an sozialen „Hotspots“ stattgefunden“, so der ehemalige Leiter Roland Maurer-Aldrian, im Gespräch mit der Annenpost. Das Vernetzen mit Teenagern auf Augenhöhe durch mobile Teams habe die Arbeit der letzten 5 Jahre auch so erfolgreich gemacht, sagt Mauer-Aldrian. Er als Person hat als Kinderfußballtrainer, Sozialberater und unter anderem im Verein WIKI schon viel Erfahrung im Sozialbereich gesammelt.
Krisenherd Volksgarten
Auf ihren Spaziergängen besuchten die Streetworker auch regelmäßig den Volksgarten, der oft als soziale Problemzone gilt. Dort reichte ihre Arbeit von einfachen Gesten wie dem Anbieten von Wasser bis zu Mediation bei Konflikten mit der Polizei. Über die Parkanlage wird ständig öffentlich diskutiert, zuletzt forderte Stadtrat Kurt Hohensinner (ÖVP) eine erneute Schutzzone, wie es sie schon 2019 gegeben hat, die FPÖ schloss sich an. Schutzzonen ermöglichen es der Polizei, Personen, von denen Straftaten zu erwarten sind, aus der Schutzzone zu weisen und ihnen das Betreten der Zone zu untersagen.
Die Schutzzone im Volksgarten wurde im März 2019 eingeführt und sollte vor allem minderjährige Parkbesucher:innen vor möglichen Kontakten mit der Drogenszene im Park schützen. Laut Streetworker Maurer-Aldrian hielten sich die dafür verantwortlichen Personen fast ausschließlich in der Nähe des Bezirkssportplatzes und der Kreuzkirche auf. Gewirkt habe die behördliche Maßnahme – und zwar „radikal“. Auch Jugendliche, die mit Drogen nichts am Hut hatten, waren nämlich irgendwann von den ständigen und langen Polizeikontrollen derart genervt, dass sie ihre Freizeit lieber an anderen Orten verbrachten. Darauf folgte eine Reihe von Covid-Lockdowns, die das öffentliche Leben in die Knie zwangen, was natürlich auch den Volksgarten betraf.
Seit September 2021 sind jedoch alle Schutzzonen in Graz ausgelaufen oder aufgehoben worden, nun lasse sich wieder ein steigendes Aufkommen an straffälligen Handlungen erkennen. So wurde zum Beispiel im Februar 2022 ein 25-jähriger Mann von zwei Jugendlichen mit einem Baseballschläger attackiert und schwebte danach in akuter Lebensgefahr. Die Situation sei zwar noch nicht auf dem Stand, auf dem sie 2018 und 2019 vor der Einführung der Schutzzone war, meint Roland Maurer-Adrian. Man merke jedoch, dass der Park wieder interessanter geworden sei.
Geschichten aus 5 Jahren Streetwork
Kontakte mit Jugendlichen knüpfen zu können, braucht oft ein großes Maß an Geduld. Roland und sein Team haben in den letzten fünf Jahren viel Zeit im Volksgarten verbracht, um Menschen näherzukommen, und dabei allein durch das Beobachten so einiges erlebt. „Wir sind in den Park gegangen, haben uns über mehrere Wochen angesehen, wer da alles so ist, und wenn wir gesehen haben, dass sich Jugendliche oft dort aufhielten, haben wir versucht, mit ihnen in Kontakt zu treten.“
Die Streetworker konnten über die Jahre auch beobachten, wie sich Dealer und Kund:innen immer „kreativerer“ Methoden bedienten, um der Polizei zu entgehen. So sei es vorgekommen, dass Drogen in die Erde eingegraben wurden, und den Kund:innen nach Bezahlung die Stelle, an der sie graben müssen, mitgeteilt wurde. Auch auf Bäumen wurde etwa Cannabis deponiert, sodass Polizeihunde es nicht so leicht entdecken konnten. Fahrradkuriere, die schnell flüchten können, gehören ebenfalls zum taktischen Arsenal der Dealer. Es habe eben auch die Polizei immer kreativere Methoden verwendet, um Drogen sicherzustellen, sagt Maurer-Aldrian, da hätten sich die Drogenverkäufer entsprechend angepasst. Eine weitere kuriose Beobachtung aus dem Parkleben: private Essenslieferungen. Dabei kommt jemand mit dem Fahrrad, der einige Portionen selbst gekochtes Essen mit hat, und liefert es in den Volksgarten, wo es die Menschen dann kaufen können. „So müssen die Menschen im Park den Volksgarten nicht einmal verlassen, um an Essen zu kommen.“
Titelbild: „Closed Forever“ Schild an der Türe der Anlaufstelle in der Annenstraße 64 – Foto: Jonas Langreiter