Die Zahl der Menschen, die sich langfristig in Organisationen ehrenamtlich engagieren, sinkt. Wir schwingen uns auf unsere Räder und begleiten Karin Traxler und Valentin Strassegger, zwei von rund 600 Ehrenamtlichen der VinziWerke in der Steiermark, auf ihrer Fahrt mit dem VinziBus.
Von: Rosa Gierometta, Nina Gölz und Judith Hohl
Mittwochabend im VinziDorf. Aus einem weißen Transporter dringt der Geruch von Gebäck, das Karin Traxler und Valentin Strassegger gerade eingeladen haben. Sie werden gleich zur täglichen Runde mit dem VinziBus aufbrechen, der an drei Stationen – dem Augarten, dem Jakominiplatz und dem Hauptbahnhof – Bedürftige mit einer Mahlzeit und einem Becher Tee versorgt.
Seit 1991 ist der VinziBus unterwegs und liefert pro Jahr 11.000 Portionen Gebäck und Tee an täglich 20 bis 100 Besucher:innen. Die Lebensmittel werden von kirchlichen Einrichtungen und Bäckereien zur Verfügung gestellt. „Wir hoffen immer, dass wir so viel haben, dass wir nicht irgendwie rationieren müssen“, so Karin Traxler, die seit 2020 als Ehrenamtliche regelmäßig mit dem VinziBus unterwegs ist. Alles, was beim letzten Stopp am Hauptbahnhof übrig bleibt, bringen die Freiwilligen zu anderen Einrichtungen.
„Tankstelle menschlicher Wärme“
Der Schriftzug “Tankstelle menschlicher Wärme” ziert die Seite des VinziBusses, denn für viele Gäste stillt er nicht nur den Hunger, sondern bringt ihnen auch soziale Kontakte. Überall dort, wo der Bus sein Lager aufschlägt, erwartet uns reges Treiben. Vinzi-”Kunden” kommen zusammen und unterhalten sich – untereinander und mit den Freiwilligen. “Danke! Baba!”, ruft eine Frau den Helfer:innen am Jakominiplatz zu und lacht. Für Karin Traxler und Valentin Strassegger, die an diesem Abend VinziBus-Dienst haben, ist genau dieser Austausch mit Menschen aus anderen Lebenswelten eine Motivation, sich zu engagieren. Mit der Zeit haben sie Beziehungen zu einigen der Besucher:innen aufgebaut und dadurch eine neue Sicht auf die Welt bekommen. „Einen Blick über den Tellerrand“, wie Karin es nennt.
Die beiden geben zu: Die Arbeit ist nicht immer ganz einfach. Vor allem am Monatsende wird bei vielen das Geld knapp und Neid macht sich bemerkbar. Selten aber doch kommt es zu persönlichen Beleidigungen. „Die Kunst ist dann, darauf nicht einzusteigen“, rät uns Valentin vor Beginn der Tour. Doch das Gefühl, Menschen helfen zu können, überwiegt schlussendlich. Auch dass die Freiwilligen teils mit schweren Schicksalsschlägen konfrontiert werden, hält sie nicht vom Weitermachen ab. „Man kann ein Schicksal nicht verändern, aber wenn man mit jemandem spricht und ihn zum Lachen bringt, hat man schon gewonnen“, legt uns Valentin ans Herz.
Hogy Vagy? – Sprachkurs mal anders
Auch Dezider ist heute am Jakominiplatz, der zweiten Station, die der VinziBus täglich ansteuert. Er kommt aus der Slowakei, lebt jetzt aber schon seit zehn Jahren in Graz. Meistens hält er sich am Lendplatz auf, für ein Wurstbrot und einen Becher Tee kommt er aber fast jeden Tag zum Jakominiplatz.
Er spricht viele Sprachen, doch seine Muttersprache ist Ungarisch. „‘Hogy vagy?‘, das heißt ‚Wie geht es dir?‘“, erklärt er uns mit einem Lächeln im Gesicht. Er interessiert sich für Sport, später geht er noch ins Admiral ein Champions League-Spiel anschauen. Ihm bietet der Bus fast jeden Tag eine kleine Stärkung. „Früchtetee! Ist gut!“, schmunzelt er.
Ein Appell für mehr Solidarität
Während es für Karin und Valentin selbstverständlich ist, sich zu engagieren, wird es laut VinziWerke-Koordinatorin Amrita Böker zunehmend schwieriger, Ehrenamtliche zu finden, denn die Gesellschaft habe sich verändert. Warum das so ist, dafür gibt es viele Gründe. Während es früher üblich war, sein ganzes Leben im selben Job und am selben Wohnort zu verbringen, wechseln Menschen heute häufiger ihre Adressen. Dadurch ist es vielen nicht möglich, sich langfristig in einer Organisation zu engagieren. Durch Covid habe sich das verstärkt, sagt Böker, die seit 2021 die zahlreichen Einrichtungen der VinziWerke, wie den VinziShop, den VinziMarkt und die Notschlafstellen und Dauerherbergen koordiniert.
Während der Pandemie haben sich viele Menschen aber auch in Kurzarbeit gemeldet und hatten dafür Zeit, sich ehrenamtlich zu engagieren, sagt Böker. Mit der “Rückkehr zur Normalität” mussten viele ihre Tätigkeit wieder aufgeben. Diese Helfer:innen fehlen jetzt. Auch durch die Teuerung steigt die Anfrage an Hilfseinrichtungen und somit auch der Bedarf an Ehrenamtlichen (die Annenpost hat im Vorjahr berichtet).
Oft liegt es jedoch gar nicht an zeitlichen oder finanziellen Schwierigkeiten, dass sich Menschen nicht ehrenamtlich engagieren, viele haben schlicht und einfach keinen Zugang. Doch: “Die VinziWerke leben vom Ehrenamt”, so Amrita Böker. Denn jeder Nachtdienst in Notschlafstellen, jede Fahrt mit dem VinziBus und jede Schicht im VinziShop wird von Ehrenamtlichen übernommen. Events wie die bevorstehende VinziNacht am 10. November im Orpheum sind für Böker eine gute Gelegenheit, auf die Organisation aufmerksam zu machen. Bekannte Künstler:innen aus der Kabarett- und Musikszene treten im Namen der Solidarität auf, um diesmal Spenden für die Renovierung des VinziDorfes zu sammeln.
Ehrenamt muss nicht zwingend bedeuten, sich auf Dauer an eine Organisation zu binden. Oft reicht es schon, über seinen Schatten zu springen und auf andere zuzugehen. Amrita betont: „Aus Sicht der VinziWerke heißt Solidarität z‘ammenhelfen, mit offenen Augen, mit einem offenen Herzen durch die Welt zu gehen.“
Titelbild: Sie hat den Durchblick: VinziWerke-Koordinatorin Amrita Böker vorm VinziBus – Foto: Maria Hintermayr