Wie reagiere ich auf Queerfeindlichkeit im Alltag? Dieser Frage näherte sich das ,,Forumtheater internalisierte Queerphobie“ bei einem Gastauftritt im queeren Jugendzentrum ,,feel free“ in Graz an. Wie man durch Perspektivenwechsel neue Freiheit gewinnt.
,,Können Sie vielleicht mit Ihrem Sohn so über Ihre Sexualität reden, dass Sie sich beide nicht mehr so einsam damit fühlen?“ Das Publikum im Forumtheater wird still. Die neue Perspektive, die sich in der Szene eröffnet hat, überrascht – mit Verständnis für eine Figur, die man vorher verabscheut hat. Der Satz kommt aber nicht von einem der Schauspielenden, sondern einem Zuschauer, Josef Matscheko, der in die Szene eingreift. Im Forumtheater nennt man Matscheko einen “Zuspielenden”.
In der Szene geht es gerade um einen Mann, der trotz Hetero-Ehe heimlich auf einer queeren Dating-App unterwegs ist und dort seinen Sohn entdeckt. Er projiziert seinen Selbsthass und die Scham über die eigene Sexualität auf seinen Sohn. Die Situation eskaliert und der Vater wird handgreiflich. Doch was würde passieren, wenn man die Szene noch einmal spielt und den Zuschauern die Möglichkeit gibt etwas zu verändern? Der Zuspielende Josef Matscheko schreitet ein. Er sucht sich die Rolle eines Therapeuten aus, der versucht, die harte Schale des Vaters zu knacken. Später sagt Matscheko, diese Intervention war ,,maßlos überfordernd und deswegen so reizvoll. Am Anfang war man noch Konsument und dann Teil eines ,Wirs´, das gemeinsam gewachsen ist.“
Forumtheater
Und genau das ist das Ziel dieses Konzepts. ,,Forumtheater stellt Fragen, auf die wir Schauspielenden keine Antwort haben“, erklärt Schauspieler Caleb Zöttl, der das Stück leitet. Er ist Teil des Theaters der Unterdrückten Wien, in dessen Rahmen das Gastspiel im feel free am 4.11.2023 stattgefunden hat. Das Theater der Unterdrückten hat Augusto Boal in den 1950ern in Brasilien entwickelt. Auch in der Grazer Theaterszene werden seine Methoden heute benutzt, vor allem durch die Theaterinitiative InterACT. Es ist eine Probe für die Realität und bietet den Zuschauenden die Möglichkeit, sich in einem geschützten Raum auszuprobieren. Sie können auf die Bühne gehen, wenn dort etwas für sie falsch läuft und sie nicht mehr zusehen können. ,,Forumtheater ist eine gute Möglichkeit, sich zu überlegen: Was sind meine Handlungsmöglichkeiten?“, erzählt die Zuspielende Ursula Zöttl. ,,Man tut eher was, wenn man es vorher in einem gesicherten Raum ausprobieren konnte.“
Das etwa 30-minütigen Stück ,,internalisierte Queerphobie“ behandelt Situationen aus dem Alltag. Zum Beispiel erfahren Eltern, dass ihr Sohn eigentlich ein Mädchen ist. Sie rufen sofort den Pfarrer und schicken den Sohn auf ein Jungeninternat. Die Schauspielenden wechseln ständig zwischen verschiedenen Rollen. Einmal sind sie Opfer, dann Täter und dann wieder Bystander. ,,Es ist interessant, dass Opfer- und Täterrollen sehr ähnliche Gefühle auslösen. Auch Täter dürfen nicht einfach so fallen gelassen werden“, erzählt Schauspielende Hannah Brillinger.
Internalisierte Queerphobie
Für die drei Schauspielenden ist jede Aufführung eine sehr persönliche Erfahrung. Bei den Proben und Aufführungen weinen sie oft, weil ,,etwas so schönes, wie die queere Lebensweise, trotzdem mit so viel Schmerz verbunden ist“, meint Schauspielerin Ida Bürgermeister. Caleb Zöttl, der selbst trans ist, kämpft heute noch mit internalisierter Queerphobie und zweifelt selbst manchmal daran, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Über das Forumtheater sagt er: ,,Man arbeitet viel auf dadurch, dass man mit eigenen Traumata, Unsicherheiten und gefährlichen Situationen konfrontiert wird.“
Titelbild: Die Schauspielenden des Forumtheaters. – Foto: Julia Schuhmacher