Auch sechs Jahrzehnte nach der berühmten Rede von Martin Luther King Jr. scheint sein Traum von einer Welt frei von Rassismus in weiter Ferne. Das bestätigt auch eine aktuelle Studie der EU-Grundrechteagentur. Eine Fotoausstellung am Europaplatz ruft zu mehr Gleichberechtigung und Vielfalt auf.
Von: Larissa Buchriegler und Lena Battyan
“I have a dream that my four little children will one day live in a nation where they will not be judged by the color of their skin but by the content of their character.” Diese Worte von Martin Luther King Jr. gingen vor 60 Jahren um die Welt. Bis zum heutigen Tag inspiriert er mit seiner Anti-Rassismus-Rede, die er am 28. August 1968 beim Marsch auf Washington vor 250.000 Menschen hielt.
Anlässlich dieses Jahrestags ist am Europaplatz am Bahnhof noch bis zum 18. November die Ausstellung #wehaveadream zu sehen. Im Fokus: zehn Steier:innen, die Martin Luther Kings Traum teilen. Zu übersehen sind sie schwer, denn sie sind auf 2 mal 3 Meter großen Cubes montiert und stellen sich wortwörtlich in den Weg. Die Porträts zeigen Menschen, die als Fernsehmoderatorin, Präsident oder Anwalt dargestellt sind. Der Hintergrund wurde mit KI gestaltet, um die Träume der Fotografierten darzustellen. Fotografiert hat Maryam Mohammadi, die das Projekt gemeinsam mit Joachim Hainzl (Verein XENOS) verwirklicht hat.
Die Ausstellung ist eine Fortführung der beiden „WIR“-Fotoausstellungen 2020 und 2021. Damals wie heute sind sich die Kurator:innen einig: „Uns ist ganz wichtig, das Wir zu betonen – ein Wir, das inkludiert”, erklärt Hainzl im Gespräch. Für die beiden war bedeutsam, die Fotografierten nicht nur für künstlerische Zwecke abzubilden, sondern ihnen eine Stimme zu geben. Auch sollten die Porträtierten nicht als Opfer gezeigt werden. „Uns war ganz wichtig, eine starke Performance von Menschen zu zeigen, die etwas zu sagen haben”, erzählt Hainzl. Ausgewählt haben die beiden daher Personen, die in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen aktiv sind. Godswill Eyawo zum Beispiel, der die Geschäftsstelle des Grazer Migrant:innenbeirats leitet. Sein Wunsch – „Eine faire, chancengerechte Gesellschaft für alle!“ – wird auf dem Bild durch KI-generierte, imposante Wolken und die Göttin für Gerechtigkeit im Hintergrund noch eindringlicher.
Vielfalt sichtbar machen
Eine der Porträtierten ist Pauline Riesel-Soumaré. Auf dem Plakat ist sie als Moderatorin in einem Fernsehstudio zu sehen, begleitet von den Worten „Meine Hautfarbe darf kein Aufreger sein“. Das Bild erinnert an eine persönliche Erfahrung von Riesel-Soumaré, bei der sie für ihr Mitwirken in einer steirischen Fernseh-Talkshow rassistisch beschimpft wurde. Anfang der 90er Jahre kam sie im Rahmen ihres Germanistik Studiums aus Senegal nach Graz. Heute arbeitet sie seit elf Jahren bei der Antidiskriminierungsstelle Steiermark. Für sie ist es besonders wichtig, dass die Ausstellung im öffentlichen Raum gezeigt wird – und nicht “nur” in einem Atelier. Im öffentlichen Leben oder in Ämtern sei die reale gesellschaftliche Vielfalt nämlich noch zu wenig repräsentiert. „Die Stadt Graz ist einfach vielfältig geworden und diese Vielfalt sieht man nicht in vielen Bereichen“, meint Riesel-Soumaré.
Doch wie sieht der Fortschritt der Antirassismusbewegung in den letzten Jahren aus? Ist die Hautfarbe immer noch ein Grund für Rassismus? Darüber diskutierten am 9.11. neben Pauline Riesel-Soumaré auch Edith Abawe, Leiterin des Info-Cafés palaver und Mitarbeiterin beim Verein Frauenservice Graz, und Fred Ohenhen, Lehrer und Projektleiter für interkulturelle Bildungsarbeit bei ISOP. Obwohl es sich um ein ernstes Thema handelt, berichteten die drei Redner:innen mit viel Humor von ihren persönlichen Erfahrungen als Schwarze Personen in Graz. Von damals, aus den 90er-Jahren. Da habe es oft geheißen „Schwarzer Mann ist gleich Drogendealer“, wie Edith Abawe erzählte. Mehrmals wurde auch erwähnt, dass es nach wie vor zu Diskriminierungen bei der Wohnungs- und Arbeitssuche kommt. Das wird auch von der neuen Studie der EU-Grundrechteagentur bestätigt. Bei der Arbeitssuche schneidet Österreich im EU-Vergleich der 13 befragten Länder besonders schlecht ab. Laut der Studie würden sich 59 Prozent der Befragten benachteiligt fühlen. Im EU-Durchschnitt beträgt diese Zahl „nur“ 34 Prozent.
Noch lange nicht am Ziel
Insgesamt, so der Tenor der Diskussion, habe sich die Situation in Österreich verbessert. Dennoch sei der Traum von Martin Luther King Jr. noch lange nicht Realität. Dass Rassismus nach wie vor im Alltag passiert, schildert ein Besucher, der ebenfalls einer der Porträtierten ist. Der in Nigeria geborene Künstler Samson Ogiamien erzählt von seiner Tochter, die im Kindergarten rassistisch beschimpft worden sei. Sie sei geschockt und traumatisiert gewesen und musste danach den Kindergarten wechseln. Von der Pädagogin habe es nur wenig Unterstützung gegeben.
Was kann nun jede:r von uns machen, um die Situation zu verbessern? Ein wichtiger Schritt sei es, die Erzählungen der Betroffenen nicht anzuzweifeln, wie Pauline Riesel-Soumaré erklärt. „Die Leute sollen anfangen, den Menschen zu glauben, wenn sie sagen, es gibt Rassismus, oder mir ist das und das passiert.“ Immer noch würden Rassismus-Vorfälle banalisiert. Zum Abschluss der Diskussionsrunde stellt Joachim Hainzl den dreien noch eine letzte Frage: „Was ist euer Traum?“ „Ich habe den gleichen Traum wie Martin Luther King Jr.”, sagt Fred Ohenhen. „Dass meine Kinder nicht nach ihrem Aussehen beurteilt werden, sondern danach, was sie tun und leisten.“
- 16. November 2023, 18 Uhr; Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark, Marienplatz 1/I, 8020 Graz – Samson Ogiamien: Iaygbon’s Spiegel. Restitution geraubter Kunst Afrikas
- 30. November 2023, 18 Uhr; Chiala, Griesplatz 13, 8020 Graz – Präsentation des Magazins „AfriGraz Map 2023“ von Kamdem Moh Pou á Hom
Ein weiteres Teilprojekt zum Thema Kolonialgeschichte wird im Dezember zu sehen sein.