Die Urban Sketchers Graz treffen sich regelmäßig in der Stadt, um gemeinsam zu zeichnen. Was “urbanes Skizzieren” so besonders macht und welche Motive im Annenviertel besonders fürs Sketching geeignet sind.
Es ist ein sonniger Tag im November, an dem sich Sarah, Christine und eine Gruppe von Menschen unterschiedlichen Alters im Gastgarten der “O Bar” am Mariahilferplatz treffen. Sie breiten ihre Skizzenbücher und Blöcke auf den Tischen aus, legen Aquarellkästen und Stifte zurecht, bestellen Kaffee und Tee, tratschen, beobachten ihre Umgebung genau – und beginnen dann zu zeichnen.
Urban Sketchers in Aktion
Urban Sketching nennen Sarah Löcker, Jana Grabner und Lisa Caligagon diese Tätigkeit. Vom herkömmlichen Zeichnen unterscheidet es sich vor allem durch den sozialen Aspekt. Begonnen haben die drei damit, als sie vor fünf Jahren Gleichgesinnte in Graz und Umgebung suchten, um sich gemeinsam kreativ zu betätigen. Dabei stießen sie auf Urban Sketching, eine weltweite Bewegung, deren Mitglieder sich alle an dieselben Spielregeln halten. So wird nur vor Ort aus direkter Beobachtung gezeichnet – nicht im Nachhinein von einem Foto. Und das so realistisch wie möglich. Zugleich skizziert jede:r in ihrem und seinem eigenen Stil und in der bevorzugten Technik. Am Ende eines Treffens werden alle Skizzen fotografiert und im Internet geteilt.
Sarah, Jana und Lisa beschlossen, ihre eigene Sketchers-Gruppe in Graz zu gründen. Die Bedingungen waren schnell erfüllt. Um als offizielles Chapter anerkannt zu werden, braucht es drei Administrator:innen und eine Gruppe von Interessierten. Außerdem darf es innerhalb einer Autostunde Entfernung keine andere offizielle Gruppe geben. Damals existierte in Österreich nur eine in Wien. „Viele können Urban Sketching praktizieren, aber wir sind das offizielle Chapter in Graz“, sagt Sarah Löcker. Bei der Gründung 2018 zählten sie an die zehn Mitglieder; heute sind es über 400. Zu den Treffen kommen regelmäßig zwischen fünf und 15 Teilnehmer:innen. Das sei eine gute Größe, denn „wir passen in die meisten Lokale und auf Parkbänke“, sagt Sarah, die sich das Sketchen und diverse andere künstlerische Skills selbst beigebracht hat.
Am Mariahilferplatz haben inzwischen alle Sketcher ihr Motiv gefunden: eine Häuserfassade, die Mariahilferkirche, einen Baum oder Strauch oder eine Telefonzelle. Oft werden auch Themen vorgegeben, zum Beispiel gab es schon Monatsthemen wie Innenhöfe, Märkte, Hoffnung oder auch Müll. Passend zu den Weihnachtseinkäufen lautet das Motto im Dezember: „Shop till you drop“.
Urban Sketching schafft Erinnerungen
Wieso zeichnet man seine Umgebung, wenn ein Foto doch die Details genauso gut oder besser einfangen könnte? Um einen Ort zu zeichnen, müsse man sich Zeit nehmen, meint Christine Toyfl, die erst seit Kurzem Teil der Gruppe ist. Ein Foto mache man im Vorbeigehen. „Wenn man die Zeichnungen anschaut, kommen die ganzen Erinnerungen wieder hoch, die man damit verbindet: Was am Nachbartisch gesprochen wurde, was wir getrunken haben oder wie es gerochen hat“, meint Christine Karner, die schon seit drei Jahren regelmäßig zu den Treffen kommt. „Und die Atmosphäre beeinflusst mehr, als man denkt. Man benutzt wärmere Farben, wenn man in der Sonne sitzt und einen guten Kaffee trinkt“, sagt Sarah Löcker. Diese Gefühle werden in den Skizzen eingefangen und bei jeder Betrachtung wieder freigelassen. Eine wichtige Rolle spiele auch der soziale Aspekt: Gleichgesinnte treffen, sich austauschen, einander Tipps geben, tratschen oder neue Kontakte knüpfen.
Die Bewegung geht zurück auf den in Seattle lebenden Journalisten und Illustrator Gabriel Campanario, der 2007 eine Gruppe auf der Onlineplattform Flickr gründete, mit der er das journalistische Zeichnen fördern wollte. Um das wahre Leben so darzustellen, wie es ist. Seit 2010 finden jährlich Symposien mit Sketchers aus aller Welt statt. An jeweils drei Tagen zeichnen sie zusammen, besuchen Workshops, nehmen an Diskussionen teil und vernetzen sich. Das nächste Symposium findet von 9. bis 12. Oktober 2024 in Buenos Aires statt.
Und welche Spots im Annenviertel sind ihnen in Erinnerung geblieben? „Omas Teekanne, Bohemian Soul Beehive, das Kunsthaus natürlich, die kleinen Beete am Mariahilferplatz sind immer ein Hit, der Markt am Lendplatz”, sagt Sarah. “Und natürlich kann man auch am Bahnhof sitzen und die Züge zeichnen, wenn sie ein- oder ausfahren.“
Inzwischen haben die Grazer Sketchers am Mariahilferplatz ihren Kaffee getrunken und betrachten gegenseitig ihre Werke. Wie immer legen sie ihre Skizzenbücher auf den Boden und machen ein Foto, das sie dann auf Facebook und Instagram teilen – ganz wie es die Sketchers-Regeln verlangen.
Titelbild: Sarah Löcker beim Urban Sketching. – Foto: Simone Seifter