Aktivismus für mehr Vielfalt: Gender- und Sexualaufklärung in Graz

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Ein Hauch von Gender-Gerechtigkeit: Wie der experimentelle Store Himal Hemp, eine Kinderbuchautorin, kunterbunte Vulven und ein feministischer Verein für Aufklärung sorgen.

Spaziert man über die Mariahilferstraße im Lend, so sticht ein Schaufenster ganz besonders ins Auge – die Auslage ist geschmückt mit bunten Gipsabdrücken von unterschiedlichen Vulven. Neben einer goldglänzenden Statue sieht man ein Schild, „Vulvarium“ steht in bunten Buchstaben darauf. Das Geschäft, welches sich hinter dem Fenster verbirgt, ist „Himal Hemp“. Geschäftsführer Andreas Kramer erklärt,  er kooperiert seit der Pandemie mit Vulvarium. Seitdem gibt es die Vulven-Ausstellung, welche vor allem den Dialog anregen soll. Und meistens schaffen die Statuen das auch: „Immer wieder bleiben Menschen stehen“, sagt Kramer. Die Reaktionen seien grundsätzlich positiv, Ausreißer gibt es aber. Für einen Herrn, der kürzlich stehen blieb, „hatte das eine pornografische Ästhetik. Wir haben uns dann unterhalten, ich habe ihm erklärt, dass das Projekt keinen Menschen diskriminiert oder bloßstellt“, erinnert sich Kramer. „Später ist er hinausspaziert und war zufrieden.“

Andreas Kramer vor dem Geschäft Himal Hemp – Foto: Alisa Schwarz

Mit Vulven-Statuen für mehr Akzeptanz

Hinter den kunterbunten Vulven steckt Viktoria Krug. Die gebürtige Kärntnerin lebt schon seit zehn Jahren in Graz. Sie hat hier ihren Bachelor in Biologie abgeschlossen und studiert zur Zeit auch Biologie und Englisch auf Lehramt. Erst 2020 hat sie „mit 27 Jahren, mit Bio-Bachelor, als junge offene Frau“ bemerkt, dass Vulven unterschiedlich aussehen können. „Das hat mich voll schockiert und daraus ist die erste Statue entstanden“, erklärt sie im Interview mit der Annenpost. Heute ist Krugs Werkstatt in Graz prall gefüllt mit Vulva-Statuen. 

Auf der gelben Couch, neben dem flackernden Feuer im Kamin, haben schon viele Menschen mit Vulva mit Krug geplaudert. Die älteste Kundin war 72 und die jüngste 17. Die Beweggründe, warum man die eigene Vulva verewigen will, sind so bunt wie die Statuen selbst. „Das geht wirklich von „ich bin jetzt schwanger und möchte meine Vulva verewigen“ über „ich kann keine Kinder kriegen“ und „ich habe Kinder verloren“, bis hin zu „mein Körper gehört nicht mehr mir, weil die Kinder den Vorrang hatten“ und gesundheitlichen Aspekten, zählt Krug auf. Auch Themen wie (Queere)-Identität sind Gründe. Grundsätzlich möchte Krug die Vulven enttabuisieren und Menschen helfen, mit sich ins Reine zu kommen. Für sie ist es schön, die Reaktionen der Kund:innen zu sehen, denn “das erste Mal die Vulva in so einer Art und Weise zu sehen, ist natürlich berührend”. 

Vulven-Statuen im Schaufenster von Himal Hemp – Foto: Alisa Schwarz

Sexualaufklärung in Schulen

Krug und Andreas Kramer arbeiten aber auch an einem Pädagogik-Projekt, das bei der Sexualaufklärung in Schulen helfen soll. Dafür standen sie auch in Kontakt mit dem feministischen Verein Mafalda. Konkret soll es eine Box mit fünf kleinen Vulven werden, die aktiv im Sexualkundeunterricht verwendet werden sollen. Die Boxen erscheinen noch dieses Jahr, wobei man auf eine Förderung vom Bund hofft.

Mafalda für die Gleichstellung der Geschlechter

Apropos Mafalda: Blickt man bei Himal Hemp nur ein Schaufenster neben Krugs Statuen, findet man eine Ausstellung des feministischen Vereines Mafalda. Diese gemeinnützige Organisation unterstützt junge Mädchen und Frauen in ihrer Selbstbestimmung und Gleichberechtigung. Auch in diesem Fenster sind Figuren von Geschlechtsteilen zu sehen. Diese sind aber keine realen Abformungen und auch nicht immer Vulven. In einem Kreis ist das komplette Spektrum von menschlichen Geschlechtsteilen aufgelegt. „Von stereotypisch weiblich bis stereotypisch männlich und dazwischen Beispiele von intergeschlechtlichen Organen,“ erklärt Jana Westreicher, eine Mitarbeiterin von Mafalda. „Mafalda ist ein feministischer Verein mit Fokus auf Frauen, aber da ist immer ein Sternchen dabei.“ Denn in der Geschlechter-Aufklärung und Sexualpädagogik sei es wichtig, alle Menschen miteinzubeziehen. Trans*-Personen werden zu oft in der Geschlechter-Debatte übersehen. Deshalb ist das Schaufenster diesmal ihnen gewidmet. Ausgeschmückt mit Fragen und kurzen Texten rund um das Thema Trans*, soll die Auslage zur Aufklärung der Passant:innen beitragen.

Westreicher ist auch oft im Außendienst unterwegs. Sie macht Workshops in Schulen, in welchen Themen wie Frauenarztbesuche oder Verhütungsmittel besprochen werden. Im gemeinsamen Sesselkreis gibt es aber auch Platz für Dialog. Die Mädchen würden sich in diesem Setting trauen, verschiedenste Fragen zu stellen, denn mit Westreicher als außenstehende Person sei es für die Kinder einfacher, sich zu öffnen.

Schaufenster von Mafalda bei Himal Hemp – Foto: Alisa Schwarz

Ein Kinderbuch gegen Geschlechterklischees

Wo manche Menschen zu kurz kommen, wird anderen in Sachen Gender zu viel Aufmerksamkeit geschenkt. Als Felicitas Fröhlich ihrer Nichte ein Kinderbuch in einer Buchhandlung kaufen will, ist die erste Frage der Verkäuferin, ob es denn ein Bub oder ein Mädchen ist. „Das Kind ist 4“, entgegnete Fröhlich, die irritiert von der Frage war, damals. “Diese Beratung hat mich nicht mehr losgelassen”, darauf beschließt sie prompt, einfach selbst ein Buch für den Geburtstag der Nichte zu verfassen. So will sie unter anderem der Kategorisierung von Jungen und Mädchen entgegenwirken. 

“Alex fängt das Echo ein” – Foto: Alisa Schwarz

Im Buch „Alex fängt das Echo ein“, welches auch online zum Download bereitgestellt wird, geht es um ein Kind, welches Fledermäuse mag. Der Clou ist, Alex wird kein Geschlecht zugeschrieben. Es trägt alle Farben, Röcke und Hosen und wird nie mit einem Pronomen angesprochen. Den Kindern fällt das gar nicht auf – Alex mag einfach Fledermäuse. Lediglich die Erwachsenen stutzen manchmal: „Bei Lesungen kommt es schon vor, dass die Eltern fragen, was jetzt das Pronomen von Alex ist.” Um diese Irritation aufzuklären, spricht Fröhlich bei ihren Lesungen gerne mit den Eltern über Geschlechterrollen und Gender-Aufklärung, während die Kinder basteln dürfen. Außerdem findet man in jedem ihrer drei Bücher ein eigenes Kapitel, welches für die Erwachsenen bestimmt ist. Fröhlichs Bücher sind für Kinder, sollen aber auch den Eltern helfen, sexualpädagogisch aufgeklärt zu werden. „Eigentlich muss man Erwachsenen etwas so erklären, als würde es in einem Kinderbuch stehen, dann funktioniert es auch“, lacht Felicitas Fröhlich.

 

Titelbild: Viktoria Krug in ihrer Werkstatt – Foto: Alisa Schwarz

 

 

 

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