Die Primär-Versorgungseinrichtung Gesundheitsdrehscheibe Graz berät, behandelt und unterstützt Grazer:innen seit der Eröffnung im September in allen Gesundheitsfragen. Ihr Ziel: Die Menschlichkeit in die Medizin zurückzubringen. Leiter Christoph Pammer erzählt von der Anfangszeit und gibt einen Einblick in die bisherigen Erfolge.
Die Gesundheitsdrehscheibe zog im September mitsamt vier Community-Nurses, einer Physio- sowie einer Psychotherapeutin und zwei Sozialarbeiter:innen in der Annenstraße ein. Denn dort herrschte, laut Pammer, besonderer Bedarf an einer kostenlosen Primärversorgung. „Die Dichte an allgemeinmedizinischen Arztpraxen ist auf der linken Seite der Mur nämlich fast doppelt so groß wie auf der rechten“, erklärt der Leiter der Drehscheibe. Kranke gibt es allerdings hier wie da. Diese Problematik fiel der Stadt Graz schnell ins Auge und sie rief die Gesundheitsdrehscheibe ins Leben. Der Unterschied zu anderen Einrichtungen besteht darin, soziale Fragen zu priorisieren, ohne einen Leistungsabrechner im Hintergrund stehen zu haben. Die Reform im ambulanten Bereich ist weit fortgeschritten, dennoch betont Pammer: „Spitzenmedizin alleine macht die Menschen nicht gesünder.“
Auf Angebot folgt Nachfrage
Mit 1200 Patient:innen stoßen die Programme der Drehscheibe auf starkes Interesse. Die Zielgruppe: jede:r und zwar wirklich jede:r. Es gilt als großes Problem im Gesundheitswesen, dass Leute mit geringerem Einkommen viel seltener einen Arzt oder eine Ärztin aufsuchen und sich Hilfe holen. Die Gesundheitsdrehscheibe hilft, ohne zwischen Herkunft, Versicherung oder Einkommen zu unterscheiden. Trotzdem grenzt Christoph Pammer die Organisation stark von den Begriffen “Armenprojekt” und “Integrationseinrichtung” ab. Ihm ist es wichtig, alle Menschen in die Krankenbehandlung zu integrieren. So möchte er einer Instrumentalisierung der Einrichtung vorbeugen. Durch die Dauer-Finanzierung der Stadt Graz ist die Drehscheibe schon lange nicht mehr nur ein Projekt. Viel eher besteht die Hoffnung, zu einer Regelversorgungseinrichtung zu werden und in jeder größeren Ortschaft die Möglichkeit liefern zu können, sich kostenlos beraten zu lassen.
Doch mit welchen Problemen und Beschwerden kann ich mich nun an die Einrichtung wenden? Die Gesundheitsdrehscheibe verfügt über vier klassische Projekte. Neben Psychotherapie, Physiotherapie und den Diensten der Sozialarbeiter:innen bieten sie auch das Community-Nurses-Programm an. Diese führen unter anderem Hausbesuche durch, um vor Ort zu helfen und Patient:innen, die sich vor dem Arztbesuch fürchten, die nötige medizinische Versorgung zukommen zu lassen. Außerdem besteht enge Zusammenarbeit mit Hausärzten und Hausärztinnen, deren Patient:innen oft auf das Angebot der Psychotherapie zurückgreifen.
Psychische Gesundheit als Herausforderung
“Der Begriff Gesundheitsdrehscheibe vermittelt oftmals ein verfälschtes Bild”, schmunzelt Pammer. Man wird nicht wie in einer Drehscheibe nach einem einmaligen Termin wieder herausgeschleudert, viel eher haben sich die Patient:innen und die Angestellten zu einer eigenen Familie verbunden, in der es immer ein offenes Ohr gibt. So konnten schon jetzt zahlreiche Leben in eine andere Richtung gelenkt und den Menschen eine neue Perspektive gegeben werden. Auch wenn das Helfen sehr erfüllend sein kann, ist die emotionale Belastung der Mitarbeiter:innen nicht zu unterschätzen. Christoph Pammer bezieht sich auf ein Zitat des Pfarrers Wolfgang Pucher, in dem er über die “hässliche Armut” spricht. “Wenn es weh tut hinzusehen, sehen wir trotzdem noch hin“, ergänzt er. Diese psychischen Herausforderungen der Angestellten bekämpft er mit flachen Hierarchien innerhalb der Organisation sowie Nachbesprechungen, in denen sich die Mitarbeiter:innen gegenseitig austauschen, denn zu einem funktionierenden System gehört ein starkes Team.
Kein Mangel an Innovation
In diesem Jahr stehen einige neue Projekte und Ideen auf dem Plan. Angeboten werden Workshops zur Pflege von Angehörigen auf Türkisch und Arabisch. Auch Infoveranstaltungen über den Pflegegeldbezug auf Ukrainisch sind geplant. Diese Ideen leiten die Mitarbeiter:innen von alltäglichen Begegnungen ab, bei denen sich der Bedarf feststellen lässt. Über die Kontaktmöglichkeiten informiert die Webseite der Stadt Graz.
Foto: Clara Stubenrauch