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Andreja Hribernik: „Die Kunst ist der Seismograf für die Erdbeben, die kommen“

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Andreja Hribernik, seit dem 1. Januar 2023 Direktorin des Kunsthauses Graz, spricht über die Rolle der Kunst in der Gesellschaft und teilt persönliche Gedanken zu ihrer Arbeit im Annenviertel.

Andreja Hribernik studierte Internationale Beziehungen und Politikwissenschaft an der Universität Ljubljana. 2016 promovierte sie am Institut für humanistische Wissenschaften in Ljubljana.  Als Kuratorin arbeitete Hribernik unter anderem für die Galerie für Zeitgenössische Kunst in Leipzig und die Moderna Galerija in Ljubljana. Das Gespräch mit der 1978 geborenen Slowenin zeigt die Leidenschaft für ihre Arbeit, von Reflexionen über die Vergangenheit bis zu Plänen für zukünftige Ausstellungen.

Annenpost: Auf welche Projekte freuen Sie sich 2024 am meisten?

Hribernik: Symbolisch zum 1. Mai haben wir eine Ausstellung zum Thema „Arbeit“ eröffnet, die sich aus verschiedenen Blickwinkeln mit Arbeitsbedingungen und Fragen rund um „Fairpay“, „New Work“ und dem Sinn der Arbeit beziehungsweise Veränderungen in der Arbeitswelt durch neue Technologien auseinandersetzt. Angesichts der Debatten in Österreich und weltweit ist das ein sehr aktuelles Thema. Am 4. Juli eröffnen wir eine Ausstellung von Azra Akšamija, einer bosnisch-österreichischen Künstlerin, und im November die Gruppenausstellung „Poetics of Power“, die thematisch schon ins Jahr 2025 weist, der Schwerpunkt wird auf Machtasymmetrien und ihren Konsequenzen liegen.

Annenpost: Sie haben sich im April 2023 stark dafür eingesetzt, dass das Ausstellungsbudget valorisiert wird. So erhält das Kunsthaus Graz nun eine jährliche Einmalzahlung von Stadt und Land. Haben Sie schon konkrete Pläne für neue Projekte?

Hribernik: Diese zusätzliche Finanzierung ermöglicht, dass wir trotz hoher Inflation ein adäquates Ausstellungsbudget sicherstellen können, da die Zuschüsse für das Kunsthaus in den letzten zwei Jahren nicht an die Inflation angepasst worden sind. Wir sind bereits in der Planung für neue Ausstellungsprojekte 2026. Das Programm für 2025 werden wird Ende des Jahres präsentieren.

Annenpost: Wie sehen Sie die Rolle von Kunst und Kultur in der heutigen Gesellschaft?

Andreja Hribernik: Es gibt ja diesen Spruch, dass die Kunst der Gesellschaft als Spiegel dient. Ich denke, dass das wirklich wahr ist und dass man mit der Kunst die Komplexität unserer Zeit besser verstehen kann. Kunst fungiert wie ein Seismograf, sie lässt uns Veränderungen in der Gesellschaft erahnen, bevor sie überhaupt passieren. Also so wie ein Seismograf für die Erdbeben, die kommen.

Annenpost: Wie schwer war es, sich in der Vergangenheit immer wieder neu orientieren zu müssen, zuerst in Slowenien, dann in Deutschland und nun in Österreich?

Hribernik: Der Wechsel von einem kulturellen Umfeld in ein anderes ist oft schwieriger als die Arbeit selbst oder die damit verbundenen Herausforderungen. Ich habe in der Moderna Galerija und in Leipzig inhaltlich als Kuratorin oder Projektleiterin gearbeitet. Das ist aber anders, als wenn man die Leitung in einer Institution übernimmt. Ein Unterschied liegt natürlich auch in der Sprache. Meine Muttersprache ist Slowenisch. In der Muttersprache zu arbeiten ist einfach anders als jetzt auf Deutsch.

Annenpost: Haben Sie auch in der Kunstszene Unterschiede zwischen den Ländern bemerkt?

Hribernik: Ja, in Slowenien ist die Kunstsphäre sehr stark von öffentlichen Mitteln abhängig. Fast alle Institutionen sind öffentlich und es gibt weniger Privatinitiativen als in Österreich oder Deutschland. Ich will da nicht werten, was besser und was schlechter ist. Ich kann nur sagen, dass es einfach ganz anders ist. Und das  habe ich nicht so stark erwartet.

Annenpost: Manche haben in den letzten Jahren von stagnierenden Besucher:innenzahlen im Kunsthaus gesprochen, auch Ex-Bürgermeister Nagl. Was entgegnen Sie? 

Hribernik: Die Zahlen stagnierten in den Jahren der Coronapandemie, aber schon vor diesen Ausnahmejahren und auch jetzt sind die Besucher*innenzahlen steigend. Natürlich wollen wir viele Menschen mit unseren Themen und Ausstellungen erreichen, aber der stetige Drang nach Wachstum, nach immer steigenden Besuchszahlen, ist nicht nachhaltig.

Annenpost: Die Architektur und die Ausstellungsräume des Kunsthauses unterscheiden sich stark vom traditionellen „White Cube“-Prinzip der Museen. Sie sind geschwungen, organisch, farbig. Viele finden es schwer bespielbar. Wie geht es Ihnen damit?

Hribernik: Die Architektur des Kunsthauses polarisiert: Sie gefällt oder missfällt. Doch die markante „Blase“ hat sich zweifellos zu einem Wahrzeichen der Stadt entwickelt. Persönlich finde ich die Architektur – sowohl innen als auch außen – spannend. Die Ausstellungsräume regen zu neuen Überlegungen im Bereich der Kuratierung und wir brauchen als Gesellschaft Räume, die uns inspirieren, Dinge neu zu denken und zu diskutieren.

Annenpost: Wie gefällt Ihnen Graz bisher?

Hribernik: Ich liebe Graz. Die Stadt ist nicht zu groß, sie ist aber auch nicht zu klein. Sie hat ein interessantes kulturelles Leben, man hat immer was zu tun. Wenn ich ins Stadtzentrum gehe, habe ich das Gefühl, die Stadt gehört noch immer den Menschen, die hier leben. Ich finde besonders das Annenviertel äußerst lebendig, divers und interessant. Als Newcomerin bin ich von den verschiedenen Initiativen hier und auch der kreativen Nutzung der Räume noch immer beeindruckt. Das Annenviertel ist der multikulturelle Teil der Stadt und ich mag das.

 

 

Titelbild: Kunsthausdirektorin Andreja Hribernik im Eingangsbereich des Kunsthaus Graz. Foto: Kunsthaus Graz/J.J. Kucek

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