Zwei Tage lang haben Architekturstudierende und Künstler:innen im Rahmen der „Banale Potenziale“ darüber gebrütet, wie man Stadt & Straße ganz neu denken kann und haben rege über Gstettn, Spaziergänge und Belästigung im öffentlichen Raum diskutiert.
Mittwoch, 16 Uhr. Draußen regnet es in Strömen. Auf der Annenstraße sind nur wenige Menschen anzutreffen. Nicht so im Büro zur Rettung der Welt. Besucher: innen in dem kleinen, schwach beleuchteten Raum betrachten Bücher und Karten, die dort aufliegen. In einer Ecke haben sich junge Leute in weißen Laborkitteln eingefunden. Es sind Architekturstudierende der Zeichensäle der TU-Graz, die hier die „Banale Potenziale” organisiert haben. Einer von ihnen ist Jonah Burgsteiner, der heuer gemeinsam mit Max Benjamin Spamer diese zweitägige Denkfabrik leitet. „Das primäre Ziel ist, wie wir so ambitiös proklamieren, dass wir Potenziale der Straße erforschen”, erklärt Burgsteiner.
Die „Banale” ist eine traditionsreiche Veranstaltung, die ihren Ursprung in den 90er Jahren hat und als Werkschau für Studierende diente. Seitdem findet sie in unregelmäßigen Abständen statt und wird jedes Mal von Studierenden jüngeren Semesters übernommen. Heuer steht das zweitägige Event ganz unter dem Thema „Potenziale der Straße erforschen“. Wie das konkret ausschauen kann, zeigen verschiedene Beiträge, die auch an zwei weiteren Orten stattfinden: im Volksgartenpavillon und im „Gasthaus Gehringer”. Auch die dort gezeigten Arbeiten denken auf humoristische, künstlerische Weise über Möglichkeiten der Belebung der Stadt nach.
Im Diskurs
Im Büro zur Rettung der Welt drehen sich die Köpfe der Besucher:innen zum Beamer. An der Wand wird Nicole Pruckermayrs Gesicht per Videocall sichtbar. Die freischaffende Künstlerin, die sich intensiv mit Architektur und Kunst im öffentlichen Raum auseinandersetzt, beginnt ihren Vortrag „Lücken im urbanen Raum”. Sie spricht über die Revitalisierung von Gebäuden als Alternative zum Abriss. „Mich interessiert meistens der Raum dazwischen mehr als die Architektur an sich. Dieses Dazwischen ist oft nicht zugänglich, weil es hinter Plakatwänden oder Absperrgittern verschwindet”, sagt Pruckermayr im Videocall. Eine ihrer Herzensangelegenheiten sind die „Gstettn“, also leerstehende Baugründe zwischen Gebäuden im städtischen Raum. Diese befinden sich in einer „Warteposition”. In der Zwischenzeit könnten sie als „Lieblingsgstettn“ genutzt werden, oder dienen als Aufenthaltsort für obdachlose Menschen.
In einem weiteren Vortrag stellte Markus Gönitzer vom Forum Stadtpark Spaziergänge als Werkzeug zur Wiederentdeckung verdrängter oder vergessener Ereignisse vor: Graz sei eine Stadt, in der Deutschnationalismus vorherrschend gewesen sei. „Anderes sei dadurch traumatisch verdrängt, verschüttet oder zerschlagen”, sagte Gönitzer, und meinte damit die Migrationsgeschichte und die Geschichte der Proteste in der Stadt, insbesondere die der Arbeiterbewegung. Auch das Annenviertel ist von diesem Teil der Geschichte gezeichnet, wie Gönitzer im Gespräch ergänzte.
Die „Catcalls of Graz“ sind ein Verein zur Anti-sexistischen Bewusstseinsbildung – Foto: Albert Formanek
Nur eine Straße weiter vom Büro, im Volksgartenpavillon, hat sich der Verein „Catcalls of Graz” versammelt. „Wir wollen Bewusstsein schaffen, was Catcalling ist: Nämlich verbale, sexuelle Belästigung“, erklärt Lara Amhofer, stellvertretende Obfrau des Vereins. Die Sensibilisierung dafür sei in der Gesellschaft noch nicht genug verankert und es brauche ein Gesetzt, dass Täter zur Rechenschaft gezogen werden.
Titelbild: Auf dem Büchertisch können sich Besucher:innen in verschiedene Themenaspekte einlesen – Foto: Albert Formanek