Das legislative Theaterprojekt – MEHR.WERT, beleuchtet die prekären Arbeits- und Lebensbedingungen von Kunst- und Kulturschaffenden. Theatermacher Michael Wrentschur erklärt, welche Auswirkungen der Wahlsieg der FPÖ haben könnte.
Im Raum im Grazer Kunsthaus hängt eine glänzende, goldene Karotte von der Decke, so hoch, dass sie unerreichbar bleibt. Ein Sinnbild für den Traum vieler Kunst- und Kulturschaffenden: Die Karotte symbolisiert die Hoffnung auf den großen Durchbruch, der immer knapp außer Reichweite ist, aber Leidenschaft und Hingabe weiter antreibt.
Michael Wrentschur und seine Theaterwerkstatt InterACT arbeiten seit vielen Jahren an Themen wie sozialer Ungleichheit, Arbeit, Armut oder Wohnen. Immer wieder geht es dabei auch um Menschen, die trotz Arbeit nicht genug verdienen, um ein existenzsicheres Leben zu führen, sogenannte “working poor”. „Die Corona Pandemie hat ein wenig mehr Sichtbarkeit auf prekäre Arbeitsverhältnisse gelenkt“, erklärt Wrentschur. Dies habe InterACT dazu motiviert, sich intensiver mit den Herausforderungen in verschiedenen Branchen zu beschäftigen. Zuletzt thematisierte die Theaterwerkstatt die Arbeitsbedingungen von Fahrradboten. Mit dem Stück MEHR.WERT, das an diesem Tag im Kunsthaus zu sehen ist, wollen sie Aufmerksamkeit auf die Arbeits- und Lebensbedingungen von Kunst- und Kulturschaffenden lenken.
Ein Raum für Dialog und Veränderung
Die sind bei InterACT seit 2022 Thema. MEHR.WERT ist als legislatives Theaterprojekt angelegt. Es schafft einen öffentlichen Raum für Dialog und Beteiligung und erprobt mögliche Problemlösungen in verschiedensten Szenarien. Der Fokus liegt dabei auf dem Tun, dem Ausprobieren und der damit verbundenen Suche nach Veränderung. MEHR.WERT wurde bereits im Theater am Lend und an der Kunstuniversität Graz gezeigt, außerdem im steirischen Landtag und im Grazer Rathaus vor politischen Vertreter:innen. Nun ist das Stück im Kunsthaus gelandet. Bis Jänner ist dort die thematisch passende Ausstellung “24/7 – Arbeit zwischen Sinnstiftung und Entgrenzung” zu sehen.
Armut trotz Arbeit: Realität in der Kulturszene
Wie es um die Arbeitsbedingungen in der Kulturszene bestellt ist, ist gut erforscht. Schon 2018 hat eine Studie zur sozialen Lage von Künstler:innen im Auftrag des Bundeskanzleramts ergeben, dass gut ein Drittel der Kunst- und Kulturschaffenden in Österreich armutsgefährdet ist. Etwa 50% der Befragten gaben an, weniger als 5000 Euro netto im Jahr mit ihrer Kunst zu verdienen. Weniger als 60% waren in den vergangenen zehn Jahren durchgehend sozialversichert. Über 75% der Selbstständigen hatten keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld.
„Kunst und Kulturarbeit ist ein Beruf, für den man oft einen zweiten Beruf braucht, um ihn überhaupt ausüben zu können“, erklärt Wrentschur, der InterACT vor 25 Jahren mitgegründet hat. Viele würden zu Beginn nicht an die Bezahlung denken, doch spätestens mit einer Familie werde die Unsicherheit zur Belastung. Dazu kommen die Budgetkürzungen, die die oftmals schon missliche Lage vieler Menschen in dieser Branche zusätzlich verschärfen. „Das finanzielle Kämpfen ist bei den meisten ein Tabuthema, weil es nicht zum Image passt“, so Wrentschur.
Vom Stück zur Diskussion
Der Abend im Kunsthaus war in drei Teile gegliedert: Zunächst wurde ein Stück aufgeführt, das in drei Szenenfolgen verschiedene Aspekte problematischer Arbeitsbedingungen im Kunst- und Kulturbereich darstellte. Im anschließenden interaktiven Forum-Teil konnten sich die Zuschauer:innen intensiv mit den Szenen auseinandersetzen und gemeinsam Handlungsspielräume ausloten sowie mögliche Lösungen entwickeln. Der Abend endete mit einer sogenannten Fishbowl-Diskussion. Dabei hatte das Publikum die Möglichkeit, mit den anwesenden Expert:innen ins Gespräch zu kommen. Unter ihnen waren Sibylle Dienesch, Leiterin des Graz-Museums, Jannik Franzen, einer der Verfasser des Leitfadens für faire Bezahlung in der bildenden Kunst (“fair pay”), sowie die Künstler:innen Christoph Schwarz und Lisa Großkopf, die mit Werken in der Ausstellung 24/7 vertreten sind.
Ein Vorschlag von Sibylle Dienesch veranschaulicht, wie Fairness in kulturellen Institutionen gelebt werden kann: Im Graz Museum wird derzeit ein Prozess vorangetrieben, der zunächst die internen Strukturen demokratisieren und dann auch nach außen tragen soll. Die geladenen Fachleute waren sich einig, dass vor allem Solidarität und Netzwerken essenziell sind, um den Forderungen nach fairer Bezahlung und Anerkennung mehr Gewicht zu verleihen. „Es geht darum, die Kräfte zu bündeln, gemeinsam laut zu werden und sich Gehör zu verschaffen“, sagte eine Mitarbeiterin der IG Kultur Steiermark.
Die Vorschläge werden in einer weiteren Diskussion mit Projektmitwirkenden, Expert:innen und Interessensvertretungen vertieft und überarbeitet, bevor schließlich darüber entschieden wird. Die bisher zusammengetragenen Forderungen reichen von fairer Bezahlung und wirksamen sozialen Absicherungen über Maßnahmen gegen Machtmissbrauch und bessere Kinderbetreuung bis hin zu unbürokratischen und gerechten Förderverfahren. Das Stück hat in der Vergangenheit bereits Wirkung gezeigt: Im Grazer Gemeinderat wird derzeit eine Fairnessverpflichtung diskutiert. Diese sieht vor, dass Förderungen an die Einhaltung gerechter Arbeits- und Bezahlungsbedingungen geknüpft werden.
Wrentschur fasst konkrete Ansätze zur Überwindung der Prekariatsfalle zusammen: „Ein gut durchgesetztes Fair-Pay-System, das von staatlicher Seite unterstützt wird, sowie entsprechende Budgets sind essenziell.“ Künstler:innen und Kulturarbeiter:innen müssten nicht nur Anerkennung für ihre Arbeit erhalten, sondern auch eine angemessene Entlohnung, die es ihnen ermöglicht, davon zu leben.
Eine ungewisse Zukunft
Mit den neuen politischen Verhältnissen im Land mag all das nun schwieriger werden. Die Steiermärkische Landesregierung hat in der Vergangenheit zwar Fair Pay als Teil ihrer Kulturstrategie bis 2030 aufgenommen, doch der Wahlsieg der FPÖ stellt eine neue Herausforderung dar. So lehnt die Partei in ihrem Wahlprogramm unter anderem das Konzept Fair Pay ab, das sie als Vorgriff auf ein bedingungsloses Grundeinkommen für Künstler:innen interpretiert. Darüber hinaus kritisiert sie die Förderung von Projekten, die ihrer Ansicht nach nicht dem kulturellen Erbe und der „heimischen Leitkultur“ entsprechen. Die FPÖ setzt sich vielmehr für eine Neuausrichtung des Kulturförderwesens ein, die kulturelle Experimentierfreude zugunsten von traditionellen Konzepten zurückdrängen soll.
Die Zukunft sieht Wrentschur daher mit gemischten Gefühlen: „Es wird davon abhängen, wie die Koalitionsverhandlungen ausgehen. Die Freiheitliche Partei hat in ihrem Wahlprogramm festgehalten, die Fördermittel für die freie Szene drastisch zu kürzen und kein Fair Pay mehr zu unterstützen. Förderungen sollen nur noch an jene gehen, die sich „regierungskonform“ verhalten. Das würde zu einer weiteren Verschärfung der prekären Lage führen.“ Doch eines ist für Michael Wrentschur klar: „InterACT wird seine Kulturarbeit fortsetzen, die an Menschenrechten, Antidiskriminierung und Teilhabe orientiert ist.“
Titelbild: Veranstaltung MEHR.WERT: Fishbowl-Diskussion. – Foto: Katharina Fromm