Zeller klettert einen Schwierigkeitsgrad fünf
Zeller klettert einen Schwierigkeitsgrad fünf

Wer hoch hinaus will, muss daran glauben

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Das dreijährige Projekt „alleklettern“ der Naturfreunde Steiermark ermöglicht inklusives Klettern für Menschen mit und ohne Beeinträchtigung. Nun bieten sie erstmals einen Boulderkurs dieser Art an. Leiterin Johanna Kolousek über Erfolge und Herausforderungen in der inklusiven Sportbranche.

In Österreich leben über 759.000 Menschen mit registrierter Beeinträchtigung – das sind laut der aktuellsten Zahlen von Statistik Austria von Ende 2022 mehr als acht Prozent der Bevölkerung. Dennoch sind inklusive Sportangebote eine Seltenheit, was viele Betroffene vom Breitensport ausschließt. Um dem entgegenzuwirken, startete das Sportministerium 2022 eine Langzeitinitiative zur Förderung des Behindertenbreitensports. Bis 2026 sollen 1,37 Millionen Euro in Bewegungs- und Informationscoaches fließen, die als Bindeglied zwischen Teilnehmenden und Sportverbänden fungieren.

Doch nicht nur von ganz oben kommt Unterstützung: In der Nähe der Grazer Innenstadt arbeitet ein kleines, engagiertes sechsköpfiges Team an der Vision einer Kletterwand für alle.

Vom Meister lernen

Ägydigasse 18, Newton Boulderhalle: Im weiten Raum der Kletterhalle herrscht plötzlich eine gespannte Stille. Alle Augen sind auf Angelino Zeller gerichtet. Der österreichische Paraclimbing-Weltmeister erhebt sich aus seinem Rollstuhl, sein Blick voller Entschlossenheit. Langsam legt er die Hände an die ersten Griffe der weißen Boulderroute – Schwierigkeitsgrad 5, eine Herausforderung selbst für erfahrene Kletterer. Die weißen, runden Griffe sind schwer zu fassen, doch Zeller lässt sich nicht beirren. Ein Raunen geht durch die Menge, dann hallen motivierende Rufe: „Weiter so!“, „Du schaffst das!“ und „Easy!“ erfüllen den Raum. Kurz vor dem Top-Griff verharrt er einen Moment. Alle Blicke sind auf ihn gerichtet.

Zeller kurz vor dem Top-Griff
Zeller kurz vor dem Top-Griff – Foto: Cheyenne Schröfl

Angelino Zeller ist seit einem Gleitschirmsprung im Jahr 2017 querschnittsgelähmt und klettert seither ausschließlich mit seinen Händen. Die Begeisterung für das inklusive Projekt kann man ihm aus dem Gesicht ablesen: „Normalerweise trainiere ich ja fast ausschließlich im Nationalteam”, erzählt er breit grinsend, „aber bei einer solch familiären Stimmung, bin ich nur zu gerne vertreten.”

Jeder Griff zählt

“Ich kann nicht gehen, wie soll ich dann klettern?”. Diese Frage hört Johanna Kolousek, Leiterin des Projektes „alleklettern“ oft. Ihre Antwort ist klar: „Man muss nicht gehen, um klettern zu können!“ Mit dem erstmaligen Start im Februar 2023, richtet sie sich an alle – von Blinden über Querschnittsgelähmte bis hin zu Personen aus dem Autismusspektrum. Auf die Frage nach dem aktuellen Stand des österreichischen Breitensportes, spricht sich Johanna klar für mehr solcher Projekte aus, um Inklusion langfristig zu einem selbstverständlichen Bestandteil zu machen.

Der Fokus lag zunächst auf Seilklettern, doch in Zusammenarbeit mit der Newton-Boulderhalle wagte das Team einen neuen Schritt: Bouldern wird mithilfe spezieller Toprope-Sicherung – einer Sicherung von oben – und geschulter Trainer inklusiv gestaltet. Abhängig vom individuellen Schweregrad der Beeinträchtigung und den spezifischen Bedürfnissen der betroffenen Personen können die Trainer:innen auch unmittelbar während des Kletterns unterstützend eingreifen: Dabei positionieren sie die Hände und Füße der Kletternden gezielt, um mehr Sicherheit während der Fortbewegung zu gewährleisten.

 „Wir wagen den Boulderkurs zum ersten Mal, daher konnten wir auf keine Erfahrungswerte zurückgreifen“, betont Johanna, das Feedback seitens der Teilnehmer:innen sei jedoch „durchweg positiv“.Weiter bekräftigt die Leiterin: „Inklusion bedeutet für viele ‚nur für Personen mit Beeinträchtigung‘ – aber so soll es eben nicht sein.Wir wollen ein Miteinander von verschiedenen Menschen, die sich gegenseitig unterstützen.“

"Ich sehe lieber mein Projekt im Vordergrund als mich", Johanna Kolousek
„Ich sehe lieber mein Projekt im Vordergrund als mich“, Johanna Kolousek. – Foto: Cheyenne Schröfl

Das Projekt braucht neue Sponsoren

Dank der Unterstützung von „Licht ins Dunkel“ mit 120.000 Euro und der kostenlosen Einkleidung durch die Sportmarke Chillaz konnte das Inklusionsprojekt  2023 erfolgreich gestartet werden. Das Team sieht sich in den nächsten Monaten einer enormen finanziellen Herausforderung, da die Förderung durch „Licht ins Dunkel“ am 1. Februar 2026 ausläuft. „Dann ist es von heute auf morgen vorbei mit dem Geld“, warnt Johanna.

Trotzdem zeigt sie sich zuversichtlich: „Das Ziel war immer, das Projekt langfristig eigenständiger zu finanzieren.“ Konkrete Pläne will sie noch nicht verraten. Förderungen blieben für „alleklettern“ sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene schwierig, da etablierte Projekte oft weniger Mittel erhalten als neue Initiativen. Auch im Bezug auf die vergangene Landtagswahl, mit klarem Sieg der FPÖ, könnte sich das Fördervolumen verändern. Eine klare Aussage will Johanna dazu nicht abgeben, dennoch zieht sich ein verzweifelter Blick durch den Raum. Doch an ein Scheitern denkt die Leiterin noch lange nicht: „Das Projekt wird jedenfalls weiterlaufen – die Frage ist nur wie.“

 

Infobox

Bis 21. Dezember findet jeden Freitag von 8 bis 9:30 Uhr in der Newton Boulderhalle ein inklusiver Boulderkurs statt. Personen mit Beeinträchtigung sind ebenso willkommen wie Personen ohne Beeinträchtigung. Kontakt direkt über Newton unter 0316 716443 oder über die Naturfreunde mit Ansprechpartnerin Johanna Kolousek

Ursprünglich aus der Obersteiermark, zog es mich in das große Dorf Graz. Eine erste Anlaufstelle bot die KF Universität Graz. Nach einem vollen Jahr als Soziologiestudentin, musste Praxisluft her. Nun angekommen der FH Joanneum bietet Journalismus und PR das, wonach ich auf der Suche war.

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