Die Künstlerinnen und Kuratorinnen versammelt im Grazer Kunstzentrum .

Geschichten von bedrohten Heimaten – zwischen Diyarbakir und Graz

Lesezeit: 3 Minuten

In der Ausstellung „Sediment“ im <rotor> zeigt eine Gruppe internationaler Künstlerinnen, wie sich ihre kurdische, mazedonische und österreichische Heimat durch menschliche Eingriffe verändert hat und was all diese Orte gemeinsam haben.

Johanna Seebacher und Isabella Wiesler 

Ein Teppich aus Schutt, Texturen aus getrocknetem Gemüse, giftige Knospen, die eigentlich gar nicht giftig sind. Kunstwerke aus ungewöhnlichem Material findet man derzeit in der Ausstellung “Sedimemt” im Kunstzentrum <rotor>. So fallen einem, wenn man den ersten Ausstellungsraum betritt, sofort die Stofffragmente auf, die über ein Baugerüst gehängt sind. Die einen sind leuchtend grün, die anderen wirken wie vergilbtes Pergament. Wie auf einer Wäscheleine sind sie am Gerüst über den ganzen Raum hinweg drapiert.

Überreste eine zerstörten Idylle

Gestaltet wurde diese Arbeit von der Künstlerin Rozelin Akgün und sie beschäftigt sich mit den Hevsel-Gärten. Jahrelang beobachtete und dokumentierte die kurdische Künstlerin die Landschaft in der Nähe der kurdisch geprägten Großstadt Diyarbakir im Südosten der Türkei. Zwangsumsiedlungen und die Zerstörung von kurdischen Lebensräumen, aber auch die Industrialisierung der Landwirtschaft haben dort ihre Spuren hinterlassen: Die Gärten, die einst von den Einheimischen gepflegt wurden, verwandelten sich in riesige Monokultur-Felder. “Gärten und Stadt haben früher zusammengepasst wie yin und yang”, sagt Rozelin. “Die Bewohner:innen ernährten sich von der eigenen Ernte.” Aber nach den Vertreibungen sei niemand mehr dagewesen, der sich um die Gärten kümmern hätte können. Die grün-braunen Fetzen stellte Rozelin selbst aus Sand, Mais, Baumwollresten und Gemüse aus der Region her. „Damit will ich die verflochtene Beziehung zwischen der Natur und dem menschlichen Eingriff darstellen”, meint Rozelin.

Künstlerin Rozelin Akgün vor ihrem Werk aus Texturen, die aus nicht mehr verwertbarem Mais, Baumwollresten und Sand gemacht sind.
Die Künstlerin Rozelin Akgün vor Texturen aus nicht mehr verwertbarem Mais, Baumwollresten und Sand.

Von Diyarbakir bis nach Graz

Der Ausstellungstitel „Sediment” soll auf die Schichten verweisen, als Metapher für die vielschichtigen Herausforderungen der kurdischen Gesellschaft dienen. Dicle Beştaş, Architektin und Programmkoordinatorin des Kunstraums Loading in Diyarbakir, hat die Ausstellung gemeinsam mit Başak Şenova kuratiert. „Wir wollen darstellen, wie neoliberale Politik und menschlicher Eingriff unsere Umwelt beeinflussen”, erklärt sie die zugrunde liegende Idee.
Diese Idee sei in Kooperation mit dem Loading-Kollektiv entstanden, von dort sind vier Künstlerinnen – außer Rozelin Akgün noch Leyla Keskin, Aylin Kizil und Rojda Tugrul – an dem Projekt beteiligt.

Trotz Visa-Problemen und vieler anderer Hürden gelang es, sie alle nach Graz zu holen.  Gemeinsam gestalten sie im <rotor> eine Ausstellung, die einen Einblick in die Welt der Kurd:innen gibt – ihre Bräuche ebenso wie ihre Geschichte, die von Krieg und Vertreibung geprägt sind. In Graz luden die Kuratorinnen zwei weitere Künstlerinnen ein: Hristina Ivanoska aus Skopje und Barbara Schmid aus Graz. „Ich wollte eine künstlerische Beziehung zwischen Diyarbakir und Graz herstellen und einen gemeinsamen Diskussionsraum schaffen”, erzählt Dicle.

Vielschichtiger Rundgang durch die Ausstellung

Barbara Schmid versucht, diese Verbindung erlebbar zu machen, indem sie Wurzeln einer Sonnenblumenart aus Keramik nachformte, die sowohl in Graz als auch in Diyarbakir wachsen. In den kurdischen Gebieten werden diese von den Einheimischen in ihren Gärten gepflückt und gegessen. In Österreich wird diese Knolle aber als giftig angesehen, weil sie Schwermetalle absorbiert. 

Mit einem Wesen anderer Art beschäftigt sich Rojda Tugrul. Sie macht anhand einer gezeichneten und animierten Schildkröte auf die Veränderung der Gewässer Mesopotamiens aufmerksam. Ihre zweite Videoarbeit spielt in einem Nationalpark, in dem nun eine Militärbasis gebaut wird.

Ein Fluss in Mazedonien steht im Mittelpunkt des nächsten Raums und soll dem Gefühl eines Spaziergangs am Fluss Vardar in Skopje nachempfunden werden. Die Künstlerin Hristina Ivanoskas zeigt mit „Walking by the River” die Veränderungen von Stadt- und Naturlandschaften. In dem vierten und letzten Raum wird ein Kurzfilm von Leyla Keskin gezeigt, in dem der stark veränderte Lebensraum von Fischen und anderen Lebewesen im Tigris dargestellt werden, an dem Diyarbakir liegt. 

Konflikt als Inspiration 

Dem Loading-Kollektiv war es außerdem wichtig, den Fokus vor allem auf weibliche Künstlerinnen zu legen. „Es ist eine männlich dominierte Gesellschaft, auch in der Künstlerszene. Weibliche Künstlerinnen aus Diyarbakir sind leider viel weniger bekannt. Und wenn ihnen eine Bühne gegeben wird, werden sie oft ungewollt in eine Opferrolle gedrängt. Das wollten wir ändern”, erzählt Dicle.

Außerdem sollen die täglichen Herausforderungen der Kurd:innen sichtbar werden. Denn sie sind eine ethnische Gruppe ohne eigenen Staat, die Region Kurdistan erstreckt sich über fünf Länder, hauptsächlich über die Türkei, den Iran und Syrien. Überall sind sie mit Konflikten, Kriegen und Unterdrückung konfrontiert, insbesondere durch die Türkei. Eine Lösung für diese Situation ist bislang nicht in Sicht. „Ich spüre die Gewalten und Unterdrückung schon mein Leben lang”, berichtet Dicle. „Seit meiner Kindheit wird es immer schlimmer“.

 

Titelbild: Die Künstlerinnen und Kuratorinnen versammelt im Grazer Kunstzentrum <rotor>. – Foto: Johanna Seebacher

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