Kerstin Eberhard steht neben ihrem steirischen Panther

Kerstin Eberhard: „Wir brauchen schöne Dinge”

Lesezeit: 6 Minuten

Schwerpunkt ANNsichtssache. Seit vierzehn Jahren betreibt Kerstin Eberhard die Galerie “Blaues Atelier” in der Annenstraße. Über ihre Erfahrungen als Galeristin und freischaffende Künstlerin, die Entwicklung der Annenstraße und wie diese durch kreative Projekte zu einem inspirierenden Ort werden kann.

Es klingelt, als wir das Gebäude mit der Nummer 33 in der Annenstraße betreten. Im Inneren: ein Second-Hand-Shop und eine Kunstgalerie. Wir treffen die Inhaberin Kerstin Eberhard, die uns über eine Stiege nach unten ins Atelier führt. Dort gibt es neben zahlreichen Büchern, Bildern und Kunstobjekten auch einen Tisch, an den wir uns setzen. Bei einer Tasse Tee einigen wir uns auf das Du“.

Annenpost: Welchen bekannten Künstler oder welche bekannte Künstlerin würdest du gerne einmal in deinem „Blauen Atelier“ ausstellen?

Kerstin Eberhard: Mein Mann und ich schätzen Maria Lassnig sehr, weil sie ungewöhnlich ist für eine Kärntner Künstlerin. Sie hat lange gebraucht, um sich zu etablieren. Das lag nicht daran, dass sie nicht besonders gut und auffällig gewesen ist, sondern, dass männliche Künstler in Österreich doch sehr im Vordergrund stehen. Sie hat erst spät in ihrem Leben den Erfolg zugesprochen bekommen, der ihr zusteht. Ich stehe auch sehr auf Jean-Michel Basquiat. Er spricht mich wahrscheinlich so an, weil er sehr wilde Akzente hat und ganz tief aus seinem Unbewussten geschöpft hat. Das ist etwas, das für mich auch sehr bedeutsam ist. Dass man frei bleibt, sich nicht daran orientiert, was man als Künstler tun sollte oder dass man wegen des Wiedererkennungswerts nur noch das gleiche macht. Ich bin in meiner Künstlerpersönlichkeit total breit angelegt und würde mich langweilen, wenn ich nicht immer wieder neuen Ideen nachgehen könnte.

Es gibt in der Annenstraße einige weitere Kunstvereine – Rhizom (AS 52) oder die Galerie des Künstlerbundes (AS 56). Tauscht ihr euch aus?

Nein, eigentlich nicht wirklich. Als wir hier mit unserer Galerie einzelne Künstler:innen und Künstlergruppen ausgestellt und viele Literaturprojekte gemacht haben, war ich sicherlich bei fast allen Galerien, die es hier gegeben hat. Ich war auch vor Jahren auf mehreren Ausstellungen beim Rhizom und beim Künstlerbund und ich kenne teilweise Leute aus diesen Gruppen, aber es ist nicht so, dass wir miteinander kooperieren. Ich bin jemand, der zu den anderen geht, die anderen machen das nicht so. Sie bleiben eher in ihrem kleinen Kreis, wie das in Graz überhaupt üblich ist. Das ist hier ganz eigen.

Wie tickt die Nachbarschaft sonst so? Wer kommt zu dir?

Zu uns kommen relativ viele Student:innen und Leute aus der Nachbarschaft. Und es kommen auch Tourist:innen. Ich habe keine Probleme mit irgendjemandem. Im Großen und Ganzen: Nett und höflich, aber es ist nicht so, dass die Leute hier das Bedürfnis haben, sich auf ein „Packel“ zu hauen und zu sagen, komm, jetzt machen wir mal was. Die Einzige, die da ein bisschen initiativ geworden ist, ist Sabine Reininghaus. Sie ist bei den NEOS im Gemeinderat und wollte beispielsweise einen Weihnachtsmarkt veranstalten. Sie hat mir aber erzählt, dass die Resonanz einfach gefehlt hat. Ich finde es auch sehr schade, dass hier nicht viel passiert.

Das Atelier beherbergt auch einen Second-Hand-Shop, der, wie du der Annenpost einmal erzählt hast, die Hemmschwelle senken soll. Warum trauen sich viele Menschen nicht, eine Galerie zu besuchen?

Ich höre immer ein und denselben Satz von den Leuten, und es sind immer Grazer, die das sagen: „Ich bin schon so oft vorbeigegangen und habe mich nicht getraut.“ Touristen sagen das nicht. Ich glaube, die Grazer denken, wenn man in eine Galerie geht, dann muss man auch kaufen. So bin ich nicht. Wenn ich in eine Galerie gehe, dann, um zu schauen, ob da etwas Interessantes für mich ist. Wahrscheinlich weil ich einen relativ natürlichen Zugang dazu habe. Aber die anderen Leute hier sind ängstlich und haben scheinbar das Gefühl, sie müssen klug reden können oder etwas fragen und sich damit auseinandersetzen. Oder sie haben Angst davor, dass der Galerist sie dazu nötigt. Keine Ahnung, ich glaube, es ist Angst.

Gibt es da kulturelle Unterschiede – gerade auch in dieser Straße?

Ich finde es interessant, dass bei vielen Geschäften, wo Menschen mit Migrationshintergrund arbeiten und sich etwas aufbauen, nur Männer arbeiten. Und dann frage ich mich, was mit den Frauen ist. Sitzen sie den ganzen Tag zuhause? Gemessen daran, wie viele Menschen hier mit Migrationshintergrund leben müssen und ihren Geschäften nachgehen, sieht man verdammt wenig Frauen mit Migrationshintergrund. Das ist richtig auffällig.

Woher kommt eigentlich der Name „Blaues Atelier”?

Aus der Sackstraße, weil ich dort damals ein sehr kleines Atelier angeboten bekommen habe. Es hatte große Schaufensterscheiben und alles rundherum war blau. Dort kamen auch ganz viele Künstlerinnen und Künstler zu mir und wollten in diesem winzigen Raum ausstellen und so bin ich letztendlich Galeristin geworden. Das war eigentlich nicht geplant. Der zweite Standort war am Dietrichsteinplatz in der Schörgelgasse. Diese Location war außen rum auch blau angepinselt und dann ist der Name so geblieben. Blau ist auch meine Lieblingsfarbe!

Was macht die Annenstraße als Geschäftsstandort besonders?

Darüber denke ich schon lange nach und lache jetzt darüber, weil ich denke immer, das eigentliche Highlight sind ja wir! Es ist total interessant: Wenn sich Menschen hier rein trauen, sind sie immer total geflasht, wie groß und schön es ist und was es hier alles gibt. Von außen nimmt man das natürlich nicht so wahr, weil man von den ganzen „Wagerln“, die wir für unsere Bücher gebaut haben, erstmal abgelenkt ist. Was mir auch total gut gefällt, ist der Barbershop weiter vorne. Im Winter hatte er lebensgroße Kaiserpinguine und große Eisbären, die sich bewegt haben. Der macht immer eine ganz tolle Schaufensterdeko. Es gab hier auch einmal ein Gewürzgeschäft, das total gut war. Solche besonderen Geschäfte brauchen wir hier, um Leute aus der Innenstadt reinzuholen.

Kerstin Eberhard in ihrem Atelier
Kerstin Eberhard im Interview mit der Annenpost. – Foto: Anna Ganzer

Manche hier klagen, dass es zu wenige Parkplätze gibt, andere wünschen sich eine Fußgängerzone – wie ist das bei dir?

Ich bin auch ein Fußgängerzonen-Mensch, auf jeden Fall! Das ist das Einzige, was der Annenstraße erstmal wirklich helfen würde. Ich beobachte in anderen Städten, aber auch in der Herrengasse, dass alle am liebsten kreuz und quer laufen. Man sieht mal hier, mal da was und das ist schön! Wir müssen uns langsam daran gewöhnen, dass mehr und mehr Asphalt wegkommt, weil es einfach viel zu heiß werden wird. Ich denke, dass Autos weder die Annenstraße noch die Innenstadt retten. Ganz im Gegenteil. Das wird auch nicht gut gehen mit dem Klimawandel, ganz gewiss nicht.

In den letzten Jahren sind viele Leerstände in der Annenstraße entstanden. Welche Auswirkungen hat dieser Wandel auf dein Geschäft?

Wir sind jetzt seit 2011 hier und kamen in der Phase, wo die gesamte Annenstraße aufgerissen worden ist, damit das Gleissystem für die Bims erneuert werden kann. Zwei Jahre war es da also schon verdammt schwer und da ging das auch mit den Leerständen so richtig los. In der Hochzeit hatten wir 22 Leerstände. Jetzt will man die Leerstandsabgabe wieder abschaffen [vgl. zum Leerstand diesen Annenpost-Text]. Ich war froh, dass sie endlich gekommen ist! Das ist alles eine total ungute Entwicklung und wirkt sich so aus, dass die Annenstraße ein wahnsinnig schwieriger Standort geworden ist. Es gibt jedoch von der Stadt Graz eine ganz tolle Förderung für Start-ups. Das ist eine super Sache, weil man sich damit Geld sparen kann und dann wirklich in Ruhe anfangen kann, sich etwas aufzubauen.

Welche zukünftigen Entwicklungen würdest du dir in der Annenstraße wünschen?

Ich wünsche mir, dass die Asphalträume aufgemacht und bepflanzt werden. Ich bin froh über diese tollen Rostkübel [Pflanzenkästen, Anm.], die jetzt vor unserer Tür stehen. Die Bänke werden auch gut von den Menschen angenommen. Die sind wichtig, weil die Straße lang ist und wenn man seine Einkaufssackerl trägt, setzt man sich gerne hin. Zwischen Bahnhof und Roseggerhaus sind die Bürgersteige relativ breit. Trotzdem ist noch Luft nach oben bezüglich der Bepflanzung. Wenn ich Geld hätte, würde ich dort, wo die Straßenbahn vom Bahnhof rauskommt, einen Eyecatcher platzieren. Es müsste nicht dieses Objekt sein, trotzdem würde mein steirischer Panther Sinn machen. Wenn man 20 Stück davon in Beton gießt und sie auf beiden Seiten der Straße aufteilt, hätte man einen Eyecatcher. Wir brauchen schöne Dinge, gerade bei diesen Krisen, die uns lange begleiten werden. Wir müssen uns mit Dingen umgeben, die signalisieren: Es gibt Leute, die Hoffnung haben und sich engagieren.

 

 

Titelbild: Kerstin Eberhard mit ihrem steirischen Panther. – Foto: Anna Ganzer

 

Infobox
Die Mietförderung der Stadt Graz für Jungunternehmen wurde am 31.12.2023 aufgelöst. Ähnliche Förderprogramme sind bis Ende 2025 verfügbar.

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Ich bin 2005 in der Oststeiermark geboren und habe 2024 in Graz maturiert. Gleich danach habe ich mich entschlossen in die Medienwelt einzutauchen und bin für mein Studium in die Stadt gezogen. Neben dem Schreiben für die Annenpost beschäftige ich mich gerne mit Literatur, Geschichte und meinen Katzen.

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