Für Gabi Medan ist das Annenviertel der bunteste Ort in Graz. Mit ungewöhnlichen Ideen versucht sie seit einem Jahr das Viertel für alle Bewohner und Kulturen attraktiver zu machen.
Von Simone Steurer
Über einen schmalen, dicht umwachsenen Kiesweg gelangt man zu Gabi Medans Wohnung in der Metahofgasse. Hier ist das Annenviertel heimelig und ruhig. Dass man sich mitten in einem der lebendigsten Viertel von Graz befindet, merkt man nicht: keine Stimmen, keine Geräusche aus dem anliegenden Park, kein Lärm von der Straße. Gabi Medan schenkt Tee ein. Sie ist hier geboren, lebt hier und engagiert sich nun auch beruflich für dieses Viertel. Gemeinsam mit Simone Reis vom Stadtbauamt macht sie Stadtteilarbeit, versucht, mit gezielten Aktionen wie dem Annenstraßen-Flohmarkt im Oktober das Viertel zu beleben. Ihre Augen strahlen, als sie zu erzählen beginnt. Dieser Ort ist ihre Welt. Ein Ort, an dem man in duftende, türkische Bäckereien treten und im Park mit Persern Schach spielen kann. Ganz privat übernimmt sie übrigens in Kürze die traditionsreiche Spezialsamenhandlung Köller am Südtirolerplatz.
Wie erleben Sie das Annenviertel?
Gabi Medan: Früher war es einfach mein Viertel. Seit meiner Kindheit lebe ich hier. Mein Vater hat hier früher eine Firma gehabt. Wenn ich mit ihm durchs Viertel gegangen bin, hat ihn jeder gekannt, und ich habe mich wie eine Prinzessin gefühlt. Es ist einfach schön hier, es ist sehr bunt. Und in den kleinen Geschäften pflegen die Leute einen sehr liebevollen Umgang.
Gibt es im Annenviertel etwas, das Sie stört?
Gabi Medan: Ich finde es schade, dass so viele Geschäfte leer stehen. Ich verstehe es, aber es ist schade. Angeblich sind die Mieten schon ein bisschen billiger geworden und so hoffe ich, dass wir alle Geschäftslokale irgendwie vermitteln können.
Was hat sich in den letzten Jahren im Annenviertel verändert?
Gabi Medan: Es kommen viele junge Leute ins Viertel. Und wir haben viele Migranten. Jetzt ist es eigentlich ein Großstadtviertel. Das einzige Grazer Viertel, das aufgrund der Einwohner ein bisschen an eine Großstadt erinnern könnte.
Warum ziehen die Migranten genau hier her?
Gabi Medan: Weil es günstig ist. Und ich denke, die meisten würden in anderen Vierteln auch keine Wohnung bekommen, zum Beispiel in Geidorf. Da wohnt eine andere Art von Leuten.
Würden Sie sagen, dass die Leute hier offener sind?
Gabi Medan: Das glaub ich nicht. Ich denke, das hat sich einfach so aus der Not ergeben. Die Wohnungen, die nicht vermietet wurden, hat man eben Migranten gegeben. Ein Teil ist natürlich schon offener hier, die jungen Leute zum Beispiel. Aber die Migranten bringen auch Spannungen, die verschiedenen Lebensarten, die aufeinander treffen. Da verstehe ich schon, dass das manche Leute nicht wollen.
Was würden Sie im Annenviertel verbessern oder ändern, wenn Sie könnten?
Gabi Medan: Von Bedeutung für mich ist, dass die Geschäfte nicht nur mit 1-Euro-Shops voll werden. Das Viertel soll belebt werden mit Menschen, die Ideen haben. Ich hätte gerne eine Gartenfläche, die die Stadt den Bewohnern hier zur Verfügung stellt, damit sie zusammen etwas pflanzen können. Das würde nichts kosten sondern selbst organisiert laufen. Außerdem habe ich angeregt, dass zwei Tischtennistische in den Park kommen. Ein Schachbrett im Park wäre auch gut, weil es viele Migranten gibt, die oft Schach spielen. Am schönsten wäre natürlich, wenn wir den Volksgarten-Pavillon haben könnten, um dort ein Café einzurichten. Das wäre ideal für Mütter mit Kindern, da es direkt am Park wäre.
Irgendein Politiker meint, die Kurden müssen am Sonntag ihre Geschäfte zusperren. Aber das ist ja das Schöne an diesem Viertel. Das habe ich nur hier.
Welche Ideen konnten Sie außerdem schon verwirklichen?
Gabi Medan: Im September haben wir einen Flohmarkt in der Annenstraße organisiert. Wir wussten nicht, ob überhaupt jemand kommen würde. Aber es war ein richtiger Erfolg. Es gab sogar Leute, die dem Bürgermeister ein Mail geschrieben haben, wie toll das war und dass er das doch bitte öfters machen soll. Im März werden wir wieder einen machen, bevor die Annenstraße umgebaut wird. Neu ist auch das „Annenviertel“, das wir kreiert haben. Dazu gehören ein roter und ein weißer Bio-Wein und Apfelsaft im Viertelliterflascherl. Und gerade bin ich dabei, einen Häkelabend im Café „Das Fotograf“ zu organisieren, damit wir unsere Weihnachtsgeschenke selbst häkeln können. Gute alte Topflappen, warme Socken, kuschelige Schals.
Welche Initiative gab es vorher schon, um das Viertel zu stärken?
Gabi Medan: Die Caritas und Simone Reis hatten im Volksgarten-Pavillon ein Stadtteiltreff eingerichtet, der einmal die Woche für fünf Stunden geöffnet war. Aber es kam niemand. Ich habe mir gedacht, es geht nicht, dass man einfach nur da sitzt und wartet. Man muss hinaus und auf die Leute zugehen, sie ansprechen.
Privat übernehmen Sie in Kürze den Traditionsladen Samen Köller. Was bedeutet der Laden für Sie und für das Viertel?
Gabi Medan: Es ist toll, dass ich den Laden haben kann. Früher gab es mehrere Standorte: einen in Maria Zell, einen in Bruck an der Mur und drei in Graz. Vor 40 Jahren hatten sie auch noch 50 Angestellte. Jetzt ist nur mehr diese eine Handlung übriggeblieben. Für mich bedeutet das auch, dass ich viele meiner Ideen verwirklichen kann. Ich sehe das Leben so, dass jeder die Grundsteine in seinem Leben selbst legt. Also das, was du säst, wirst du ernten. Daher lautet mein Arbeitstitel „seeds“. Als für den Samen Köller ein Besitzer gesucht wurde und mein Bruder ihn mit mir gemeinsam übernehmen wollte, passte das also sehr gut zusammen. Ich werde auf biologisches Saatgut umstellen, Raritäten und biologische Spritzmittel, aber auch Leckereien, die mit Samen zu tun haben, anbieten. Ich würde auch gerne Lesungen veranstalten.
Wie oder wo sehen Sie das Annenviertel in zehn oder zwanzig Jahren?
Gabi Medan: Ich glaube, dass es mit jedem Jahr spannender wird, nachdem ich sehe, was in diesem Jahr schon alles passiert ist. Wenn man ein Viertel ein bisschen in die Hand nimmt, aufhebt und ein Stück trägt, dann geht es alleine weiter. Wenn man aber immer nur jammert, kann nichts verbessert werden. Das Lendviertel war früher genauso öd, aber durch die Ideen der Leute hat es sich gewandelt. Das Annenviertel ist etwas in Verruf geraten. Natürlich gibt es hier mehr Spannungsfelder als in einem Villenviertel, das ist klar. Aber ich bin hier so nahe am Leben. Es ist Stadtleben, es tut sich was.