In der Annenstraße fand im Rahmen des Eröffnungsfestes zur Neugestaltung der bekannte und beliebte ANNENVIERTELflohmarkt statt, welcher viel Publikum in das Viertel lockte. Die Annenpost war auch diesmal dabei – und hatte sogar einen eigenen Stand.
Sehr früh am Morgen. Es ist kalt. Die Annenstraße ist trotz der Ankündigung auf der Programmübersicht, der Flohmarkt würde erst um 09:00 Uhr beginnen, voll. Stand reiht sich an Stand, in der Nähe der Zweiten Sparkasse ist noch eine kleine Lücke frei. Die Standnachbarin zur Rechten wird höflichst gefragt, ob man sich da noch dazwischen drängen dürfte. Man darf. Der Stand ist schnell aufgebaut, die Ware, ein Mix aus Ramsch, Kitsch, DVD’s, Gewand, Geschirr und Nippes wartet darauf, von der neugierigen Menge betrachtet und gekauft zu werden.
Professionelle Händler, die ihre Abertausenden von Warenstücken strategisch gut in der Annenstraße platziert haben, diskutieren mit Annenviertlern. Letztere finden vor lauter professionellen Händlern keinen Platz. Zwei junge Frauen quetschen sich in eine kleine Lücke und beginnen Kleidungsstücke auf einen Haufen zu werfen. „Das ist etwas unglücklich gelöst“, meint Maria Reiner vom Stadtteilmanagement Annenviertel. „Im nächsten Jahr lassen wir uns aber diesbezüglich etwas einfallen.“ Damit die Annenviertler gute Plätze bekommen und allzu fleißige Händler in die Schranken gewiesen werden.
„Ich bettle mir meine Sachen immer zusammen“, meint eine Standnachbarin im Cindy aus Marzahn-Outfit, während sie aufgelegte Ware durchwühlt und genau inspiziert. Zeitgleich mustert ein Herr in Lederjacke die DVD’s, während er einem den Rauch seiner Zigarette ins Gesicht bläst. Händler bewegen sich in einem Flohmarkt sehr selbstsicher, geübt betasten ihre Hände Schäden an interessanten Dingen, werden Preise gekonnt und gnadenlos heruntergehandelt. Schmuck, Smartphones und Nazi-Abzeichen sind an unserem Stand dennoch nicht zu holen, da nicht vorhanden.
Irgendwann am Vormittag. Eine Straßenbahn schleicht vorbei, als die 40-Loch Springerstiefel den Besitzer wechseln. „Mir wurde die Brieftasche gerade gestohlen“, ächzt eine kleine Frau gerade in diesem Moment. Beileidsbekundungen werden gemurmelt, Cindy aus dem Annenviertel erkundigt sich, wie es denn genau passiert sei. Eine Dame mit Adidasjacke, Haare rot gefärbt, schwungvolle Augenbrauen, blättert sich durch Strickmusterhefte. Ihr gefällt, was sie sieht – die Hefte wandern in ein Plastiksackerl und werden davongetragen.
Ein älterer Herr im langen schwarzen Mantel und mit Haaren, die ihm aus den Ohren sprießen, bleibt interessiert stehen, sofort wandern seine Augen über das doch recht große DVD Angebot. „Da muss ich jetzt aber nachsehen, einen Moment bitte“ brummt er nach kurzer Zeit, öffnet eine Aktentasche und holt eine Mappe heraus. „Meine Inventarliste. Damit ich nichts doppelt kaufe.“ Er ist Sammler, begeisterter Sammler, und nennt, so schätzt er, schon 3000 digitale vielseitige Scheiben sein Eigen.
Verwandte besaßen früher mehrere Kinos, und so wurde er mit Filmen groß: „Nach der Hitler-Zeit wollte ich so gern die Glenn Miller Story sehen. Bei uns waren aber die Russen, keine Amerikaner, dennoch bin ich einmal in ein Kino von denen. Was glauben Sie, haben die da gespielt? Die Glenn Miller Story mit Untertiteln!“, lacht er. Die auserkorene DVD hat er laut Liste schon, er bedankt sich schwungvoll für das Gespräch und stapft davon.
Ziemlich genau zu Mittag. Eine Dame mit schütterem Haar durchsucht den Stapel mit den bunten Klamotten, mit denen jeder Hippie seine Freude hätte. Die Frau scheint auch nicht abgeneigt, besonders gefällt ihr ein mit Farbtupfern übersätes Hemd. Mittlerweile tönen Saxophonklänge durch die Annenstraße, der Besucherstrom hat stetig zugenommen, viele Familien flanieren mit ihren Kindern. Die Sonne scheint, und zwei Ordensschwestern trippeln vorbei. Schnell den blauen Blazer hochgehalten, wäre der nichts? „Nein nein, wir haben unsere eigene Tracht!“, ruft die Ältere der beiden, von der Farbe her hätte der Blazer jedoch gut gepasst.
Cindy aus dem Annenviertel, die eigentlich Karin heißt und seit ihrem 14. Lebensjahr auf Flohmärkten unterwegs ist, zeigt ihre Beine her. „Ich bin noch gesund, Thrombosen habe ich zum Beispiel keine.“ Eine junge schwarze Frau sieht sich die DVDs an. Ein Film ist nur in französischer Spracheinstellung zu erwerben. „Super“, sie lächelt freundlich, „das spreche ich nämlich auch noch.“ Sie verschwindet mit der DVD in der Menge, eine große Gruppe alternativ angezogener „Hipster“ zieht lachend und neugierig dreinblickend vorbei. Ein kleines Kind mit Vokuhila wird von der Mutter an der Hand hinterhergeschleift. Es weint, das rote Matchboxauto hätte es wohl zu gern haben wollen.
Nachmittag. Eine Großmutter mit gelben Sonnenbrillen tritt mit ihrem Enkel an den Stand heran. Letzterer betrachtet staunend die zahlreichen VHS-Kassetten. „Kennst du überhaupt noch einen VHS-Recorder?“, wird der Kleine gefragt. Er schüttelt den Kopf. Den Film „Troja“ mit der Altersfreigabe FSK16 kennt er aber sehr wohl. „Den habe ich schon gesehen!“
Nach einiger Zeit wurden die meisten DVDs, einiges an Geschirr, Schuhe, Nippes und andere Kleinigkeiten an Flohmarktbesucher verkauft. „Was sie jetzt noch anbieten, kauft ja keiner mehr“, meint ein Herr geringschätzig. Es wird ihm zugestimmt, er bekommt eine geschenkte Nippesfigur in die Hand gedrückt und schließlich macht man sich, müde von dem vielen Stehen, von dannen.
Die zahlreichen Begegnungen mit Menschen, mit denen man plaudert, ins Gespräch kommt, von denen man lustige und traurige Geschichten hört, die einem freundlich, aufgeschlossen, aber auch geheimnisvoll begegnen, zeigen, dass der ANNENVIERTELflohmarkt unter anderem eines ist: wunderbar einzigartig und auf alle Fälle einen Besuch wert. Bis zum nächsten Mal.
Noch mehr Fotos findet man im folgenden Flickr-Stream:
[…] “Vergangenheit zum Verkauf“, ein Bericht zum letztjährigen Flohmarkt auf Annenpost.at […]