Am Mittwoch feierte „Kissin‘ in Yoruba Movies“ im Grazer Volkshaus Premiere. Die neue Produktion des Theater im Bahnhof erzählt, was Österreich und Nigeria in Sachen Film, Liebe oder Business eint und trennt.
Eine leidenschaftliche Kussszene aus einer „Brenner“-Verfilmung flimmert über die Leinwand, da springt Gafar Alau schockiert auf. „Nonsense!“ sei das, ruft er, so etwas könne man doch nicht in der Öffentlichkeit zeigen. Ob die Schauspielerin auch im wahren Leben eine Prostituierte sei, will er von seinem Gegenpart Rupert Lehofer wissen. Im Dialog zwischen den beiden wird schnell klar, dass es weder im nigerianischen Film, noch auf den Straßen von Lagos öffentliche Küsse gibt. Oder nur sehr verhaltene. Und das ist nicht der einzige Unterschied, auf den die beiden Schauspieler im unterhaltsamen Schlagabtausch stoßen, während sie Ausschnitte aus Filmen, in denen die Darsteller mitwirkten, analysieren oder gleich einen Crashkurs im nigerianischen Streetdance absolvieren. Der Umgang mit Geld zum Beispiel sei ganz anders. Oder das Flirtverhalten, das sich durch das fast prüde Verhalten vom österreichischen unterschiedet.
Die Idee zu dem Projekt „Kissin‘ in Yoruba Movies“ kam Regisseur Ed Hauswirth während der Recherche für einen Dokumentarfilm in Nigeria, als er Gafar Alau kennenlernte und dieser ihm vom Tabu des öffentlichen Kusses erzählte. Alau und sein Darstellerkollege Rupert Lehofer sammelten mehrere von diesen kleinen Geschichten und verbanden sie zu einem bühnenreifen Stück. Obwohl Theater in Nigeria nicht besonders populär ist, war die Uraufführung in Lagos den Zuschauerzahlen nach zu urteilen überraschend erfolgreich, so Hauswirth. Nun ist „Kissin‘ in Yoruba Movies“ nach Frankfurt auch in Graz zu sehen.
Zu Beginn und Ende der Vorstellung flimmern Impressionen aus Lagos, die mit rund 10 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichste Stadt Nigerias, über die Leinwand: hupende Autos und Motorräder, belebte Märkte, Menschen, die Geschäfte machen wollen. Immer und überall. Business ist in Lagos alles, viele vergleichen es mit New York, London, Bangkok oder Shanghai – und liegen nicht weit daneben. „Lagos fragt nicht, ob du kommen willst. Lagos drückt dir einfach seine Regeln auf, sobald du dort bist. Es herrscht das Recht des Stärkeren“, erklärt Ed Hauswirth.
Doch wie unterschiedlich oder ähnlich sind sich Graz und Lagos nun tatsächlich? Hauswirth meint, dass Lagos viel schnelllebiger sei und man täglich um sein Überleben kämpfen müsse. Der Versuch, öffentliche Ordnung herzustellen, führe oft über Verbote – ähnlich wie in Graz. Rupert Lehofer erzählt, dass die Alltagsorganisation an beiden Orten ähnlich funktioniere, die Menschen in Nigeria handeln und entscheiden jedoch auf einer viel religiöseren Basis.
Ein weiterer Aspekt, der Nigeria von Österreich unterscheidet, ist dessen Filmindustrie. „Nollywood“ blüht und ist hinter „Bollywood“ und noch vor „Hollywood“ auf Platz Zwei der erfolgreichsten Filmindustrien. Jährlich werden mehrere Hundert Filme produziert, die in Nigeria eine besondere Bedeutung haben. Hauswirth erzählt, dass diese, ungleich europäischen, nicht die Bilder die Geschichte erzählen lassen, sondern die Worte. Größtenteils werden die Filme auf Video-CDs verkauft, Kinos gäbe es verhältnismäßig wenige. Auch Gafar Alau ist der Meinung, dass Filme etwas ganz Besonderes sind, sie helfen einem beispielsweise über Liebeskummer hinweg. Durch ein Projekt wie dieses erhofft sich der in Nigeria sehr erfolgreiche Schauspieler, dass es zu mehr Zusammenarbeit und somit zu mehr Verständnis kommt. Nicht nur in der Filmindustrie.
[box style=“rounded“]Interessierte haben am 26. Oktober um 20:00 im Volkshaus Graz noch die Gelegenheit dabei zuzusehen, wie nigerianische und österreichische Gepflogenheiten unter die Lupe und auf die Schaufel genommen werden.[/box]