Seit 2005 setzt sich das Arbeitsprojekt Heidenspass dafür ein, dass Jugendliche, die durch Migrationshintergründe, Drogen-, und/oder Geldprobleme, mangelnde Ausbildung und wenig Erfahrung in der Arbeitswelt benachteiligt sind, eine Chance bekommen, ins Verdienstleben einzutauchen. Die Annenpost durfte zwei heidenspassige Tage in der frisch von der Griesgasse in die Herrengasse übersiedelten Open Kitchen und der Taschen-Werkstatt verbringen.
Heidenspassig, das ist keine Übertreibung, denn so vielseitig wie die Jugendlichen, die hier arbeiten, sind auch die Aufgaben, die Tag für Tag bewältigt werden: In der Design-Werkstatt und der Open Kitchen im bemalten Haus in der Herrengasse 3, sowie im neuen Shop in der Griesgasse 8, wird fleißig designt, genäht, gebastelt, gekocht, getischlert, gebaut, geschraubt und verkauft.
Neuerdings ist auch noch das Bloggen hinzugekommen, weswegen mich Heidenspass-Mitbegründerin und Obfrau Silvia Jölli als kleine Unterstützung für das neu gegründete Bloggerteam eingeladen hat.
Im Gegenzug darf ich hinter die Kulissen des erfolgreichen Sozialprojekts, das sich mittlerweile zu fast einem Drittel selbst finanziert, blicken und mit Hilfe einiger Jugendlicher eine Annenpost-Tasche herstellen, die es während des diesjährigen Lendwirbels zu gewinnen gibt.
„Heidenspass macht einfach Heidenspass“,
„Heidenspass ist eine zweite Chance“, steht auf einer Liste, die Zoe aufgehängt hat. Die 17-Jährige, die gerne schreibt, fotografiert und filmt, arbeitet bei Heidenspass und kümmert sich gerade um ein PR-Video zum Projekt.
Zoe übernimmt am liebsten die kreativen Arbeiten, die bei Heidenspass anfallen.
Jeder Jugendliche soll sich dazu einen Satz einfallen lassen, der Heidenspass seiner Meinung nach am besten beschreibt. Und nicht nur in einem Video sollen die Jungs und Mädchen hier sagen dürfen, was sie denken. Der neu eingerichtete Heidenspassblog „soll ein Sprachrohr für die Jugendlichen sein, in dem sie von dem berichten, was sie hier tagtäglich beschäftigt“, sagt Betreuerin Alex, die Chefredakteurin des neuen Blogs.
„So, diese Woche haben wir echt viel zu berichten“, sagt Alex schmunzelnd bei dem Blogger-Coaching, das ich heute mitgestalte. „Wir haben die Shop-Eröffnung in den endlich ebenen Geschäftsräumen in der Griesgasse, den Aufbau der Küche hier im dritten Stock neben der Werkstatt und die ersten Gäste in der Open Kitchen sind auch schon angemeldet“, fasst die Betreuerin die Themenliste zusammen.
„Uh da müssen wir uns mit der Küche echt beeilen“, meinen die 21-jährige Tatjana und die 19-jährige Aleks, die gemeinsam mit Alex und Zoe vor kurzer Zeit den Heidenspassblog auf die Beine gestellt haben. In der Küche stehen die Gläser mittlerweile schon ordentlich aufgereiht in den oberen Regalen, die schon aufgebaut sind. „Unten fehlen noch ein paar Kästen und Laden, das müssen wir noch organisieren“, merkt Zoe in der Küche an. Gegenüber türmen sich volle Pappkartons mit allen möglichen Dingen, die während des Umbaus sicher verwahrt wurden.
Arbeiten mit Bob Marley und Bloggen ohne Plugins
Während die anderen Jugendlichen eifrig zu „Buffalo Soldier“ den Gang vor der Open Kitchen ausmalen und die Fenster putzen, stellen die drei Heidenspass-Bloggerinnen viele Fragen, wollen den Blog mit allen Hilfsmitteln perfekt gestalten und sowieso alles, was ich über Blogs Wissenswertes weiß, erfahren.
Auch die PR ist ihnen wichtig: „Dass Leute unseren Blog besuchen, ist ein großer Ansporn für uns. Wie schaffen wir das am besten?“, fragt mich Aleks. Das perfekte Rezept dafür hat leider noch niemand gefunden.
„Passende SEO-Einstellungen, damit die Leute den Blog finden, gute Themen ansprechen, die man interessant aufbereitet, und einfach Spaß am Bloggen haben“, rate ich den Mädchen.
Aber da gibt’s noch mehr. Und das wird im Laufe des Vormittags besprochen und ausprobiert. Dabei lassen sich Tatjana, Aleks und Zoe weder von nicht auffindbaren Plugins, noch von zufälligerweise lustig am Blog herumspringenden Beitragsbildern abschrecken.
Sie überwinden eine Hürde nach der anderen
Wenn man die drei Mädchen etwas besser kennenlernt, merkt man, dass sie Erfahrung darin haben, sich mit Widrigkeiten herumzuschlagen. Sie wegen finanzieller Probleme oder schnell wechselnden Ambitionen in eine Schublade zu stecken, wäre dennoch absolut fehl am Platz.
Dafür haben sie einfach viel zu viele Facetten: Die ruhige Tatjana mit dem hübschen Puppengesicht und der angenehmen Stimme, mit der man stundenlang über ethische Fragen diskutieren kann, die schlagfertige Zoe mit der kreativen Ader, die sich eine alte Schreibmaschine zum Schreiben bestellt hat, während für einen neuen Laptop einfach das Geld fehlt, oder die hilfsbereite Aleks mit dem gutmütigen Lächeln, die sich auch gerne anhört, was andere zu sagen haben und sich selbst nicht in den Mittelpunkt drängen muss.
Die wissbegierige Aleks arbeitet prinzipiell mit einem Lächeln im Gesicht.
Bei Heidenspass scheinen die drei wie mittlerweile an die vierzig andere Jugendliche einen Ort gefunden zu haben, an dem sie ausprobieren können, wer sie sind, was sie ausmacht, was sie schaffen und was sie sich für die Zukunft wünschen.
Hier arbeiten sie maximal vier Stunden am Tag, vormittags oder nachmittags zu je sechs Euro pro Stunde.
Durch den Verkauf finanziert sich Heidenspass mittlerweile zu gut 30% selbst. Die restlichen Kosten werden unter anderem vom Europäischen Sozialfonds, dem Land Steiermark und der Stadt Graz übernommen.
„Die Arbeit ist angenehm, macht Spaß und wenn man einen Termin hat, kann man sich seine Arbeitszeit dementsprechend einteilen“, sagt Tatjana, bevor Alex zu ihr kommt und mit ihr den Arbeitsplan für die nächste Woche bespricht.
Tatjana hat schon einen neuen Job gefunden, sie wird ab Mai Fahrräder reparieren, vielleicht später sogar studieren. Sie will nur keine Vorschriften, die ihr sagen, was sie zu tragen, wann sie zu lächeln hat. Dann ist sie schon zufrieden.
Tatjana in der Shopbox am Eingang zur Werkstatt.
„Ich darf dann schon noch ab und zu bei euch vorbeikommen und mit euch essen, oder?“, fragt Tatjana Alex, die daraufhin lächelnd nickt. Das Essen bei Heidenspass ist für die Jugendlichen, die dort angestellt sind, kostenlos. Ein Küchenteam, bestehend aus zwei bis drei Jugendlichen von Heidenspass, kauft jeden Tag frisch ein, kocht und räumt alles wieder auf. Wer gerne selbst einmal bei Heidenspass seine Freunde bekochen möchte, kann die Open Kitchen in der Herrengasse mieten, eine Mitgliedschaft bei Heidenspass ist dafür nicht notwendig.
„Die letzten Regeln stehen noch nicht fest“,
prangt ein Schild in der Heidenspass-Werkstatt, in der ich mit Tatjana und Zoe am nächsten Tag arbeite.
Tatjana sitzt im hinteren Bereich an einer Collage, aus der ein Kosmetiktäschchen werden soll. Abwechselnd schneidet sie Bilder aus Zeitschriften aus oder zieht sie mit kleinen Tixostreifen ab, die dadurch, je nach Farbton des Bildes, eine besondere Färbung bekommen.
Die bunten Streifen und Bildschnipsel fixiert sie auf einer Plastikfolie, die sie anschließend mit großen Klebestreifen festigt und foliert.
Mit einem Stanleymesser wird die Collage dann vom Tisch geschnitten und später als Täschchen zusammengenäht. Zoe arbeitet an einer Collage für Chiala, einem afrikanischen Verein, der einige Taschen mit Afrika-Symbolen, Flaggen und anderen Dingen, die den Kontinent ausmachen, bestellt hat.
Nebenbei hilft sie mir bei der Collage für die Annenpost-Tasche, die heute in vier Stunden gefertigt werden soll. Die Bilder, die ich schon zu Hause ausgesucht habe, werden auf einem Laserdrucker ausgedruckt, damit die Farbe nicht verwischt. Dann geht es ans Ausschneiden und Collagieren. „Du entscheidest, wann dir die Collage passt und du fertig bist. Deswegen gefällt mir das Collagieren sogar noch besser als das Nähen“, sagt Zoe.
Obwohl die Arbeit ganz gezielt erledigt wird, gibt’s immer wieder etwas zu lachen, und wenn es auch nur mein Kampf mit dem Klebeband beim Collagieren ist.
Nachdem die Annenpost-Collage vom Tisch geschnitten worden ist, suchen wir die Taschenfarbe aus. Einige vorgefertigte Taschen in den verschiedensten Farben liegen dafür schon bereit und Alex und ich entscheiden uns für einen cremigen Weißton. „Schaut doch total edel aus, so im Retrostil, oder?“, fragt sie und ich kann nur zustimmen.
Und schon geht’s ans Nähen
„Es gibt manchmal richtige Naturtalente an der Nähmaschine, die zaubern die schönsten Taschen! Wichtig dabei ist aber auch, dass die Jugendlichen Spaß haben, so wie beim Bloggen“, meint Alex mit einem Augenzwinkern.
Viele der Jugendlichen bei Heidenspass hatten anfangs überhaupt keine Vorkenntnisse, haben das Nähen dann aber schnell erlernt und entwerfen mittlerweile erfolgreich selbst Taschen, Schüttelpennale, Geldtaschen oder Armbänder aus recycelten Materialien, die sonst einfach auf dem Müll landen würden. Fahrradschläuche, LKW-Planen, sogar alte Bücher, Lampen oder Schallplatten, die Kunden zum Tausch gegen Heidenspass-Gutscheine vorbeibringen können, finden hier wieder vollkommen neue Verwendung.
Ein Jugendlicher bei Heidenspass, der vor allem LKW-Planen mit Hilfe der Nähmaschine recycelt, ist Najeeb, ohne dessen große Hilfe die Annenpost-Tasche nie so gut verarbeitet worden wäre. Als er mir die Arbeit abnimmt, meint er: „Nicht traurig sein, für meine erste Tasche habe ich zwei Tage gebraucht, und die wurde dann nicht so schön, weil ich ja noch ungeübt war.“
Eigentlich sollte Najeeb gerade Regale aufbauen. Stattdessen hilft mir der Gentleman.
Anders als heute, denn Najeeb fädelt schnell und geschickt den blauen Faden ein, der die Collage an der Tasche festmachen wird, während ich den späteren Saum an den Seiten der Collage vorbiege. Dann geht es los: Najeeb schaltet die Nähmaschine ein und näht Collage und Saum an. Schließlich werden noch die Taschenseiten zusammengenäht und die Annenpost-Tasche ist fertig.
Eine Prise Frauenpower zum Abschluss
Nicht ganz, denn eine Aufgabe fehlt noch: Das Umdrehen der Tasche nach dem Nähen. „Das geht ganz schwer. Probier mal“, sagt Alex und reicht mir die auf die Innenseite gedrehte Tasche. Und sie hat recht. Najeeb grinst mich an: „Darf ich dir helfen? Oder gibt`s Frauenpower?“ Ich entscheide mich für Letzteres und halte nach der Anstrengung dann endlich die fixfertige Annenpost-Tasche in der Hand.
„Doch Frauenpower!“, beim finalen Umdrehen der Annenpost-Tasche
Alex zupft noch die Enden zurecht und alle betrachten stolz das Ergebnis.
„Man wird schon melancholisch, wenn man seine Taschen dann hergeben muss, aber man macht ja wieder neue“, meint Tatjana und Zoe fügt hinzu: „Ja, und das macht dann wieder Spaß. Außerdem freue ich mich jedes Mal, wenn jemandem meine Taschen gefallen und sie verkauft werden. Und die erste, die wir machen, dürfen wir ja eh behalten.“
Tadaa! Wer die Annenpost-Tasche behalten wird, wird sich am diesjährigen Lendwirbel zeigen.
Was man gerne macht, macht man gut. Egal ob man diese alte Weisheit aufs Nähen oder aufs Bloggen bezieht: Die Jugendlichen hier sind ein richtig gutes Beispiel dafür und beweisen, dass mit ein wenig Motivation und Ehrgeiz auch ganz alltägliche Arbeiten wie Kochen oder Nähen einen Heidenspass machen können.