Gentrifizierung: Das Annenviertel in der Hipster-Falle?

Lesezeit: 2 Minuten

Auf einem Spaziergang durch den Lend wird über das Thema Gentrifizierung, deren Ursachen, Nebenwirkungen und einer möglichen Gegen-Medizin mit dem Historiker und Aktivisten Leo Kühberger geplaudert.

Gentrifi-Dingsbums-Spaziergang

 

Den Treffpunkt „Kunsthaus“ hat Leo Kühberger, der selbst seit über 15 Jahren auf der rechten Murseite wohnt, bewusst gewählt. Die Eröffnung 2003 sei einer der Motoren der Gentrifizierung, der Aufwertung des Stadtviertels mit der möglicherweise die Verdrängung alteingesessener Viertelbewohner einhergeht, gewesen. Seither werde das Annenviertel anders als zuvor wahrgenommen: nämlich als kreativ, dynamisch und jung. Jüngstes Beispiel dafür ist die neue Use-it-Map von Graz, in der die Gegend hinter dem Kunsthaus als „Hipster-Neighbourhood“ bezeichnet wird. Dieses Bild wollen laut Kühberger vor allem Investoren nutzen, um teure Immobilien zu vermieten oder neue Anlegerwohnungen am Markt zu platzieren.

Dafür hat der Historiker beim nächsten Stopp des Rundgangs auch ein Beispiel parat: die Luxuswohnungen im von den Architekten Günther Domenig und Gerhard Wallner entworfenen „The Elephant“, die „urban chic living“ in der ehemaligen Zentrale des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) verheißen. Eine Teilnehmerin erzählt über ihre persönliche Erfahrung mit ImmobilienentwicklerInnen, die mit der Aufwertung des Viertels spekulierten: Ihre Wohnung sei mit „Trend im Lend“ beworben gewesen, die Realität sah weniger nach einem trendigen Apartment, sondern vielmehr nach einer überteuerten Schimmelbude aus.

Ein Problem sei laut Christoph Laimer, der gemeinsam mit Elke Rauth das Stadtforschungsmagazin „Dérive“ herausgibt, dass es keine Daten über Mieterhöhungen im Annenviertel gäbe. „Diese Zahlen müssen unbedingt eruiert werden, um festzustellen ob tatsächlich Verdrängung passiert.“ Klassische Anzeichen für den Prozess der Gentrifizierung sind für Laimer mit dem Lendwirbel und dem Kunsthaus klar zu erkennen. Laut Kühberger kann von Gentrifizierung im sozioökonomischen Sinn ausgegangen werden, das heißt Menschen ziehen aus finanziellen Gründen oder aufgrund von Verlust ihres sozialen, kulturellen Umfelds weg. Der politische Aspekt, sprich ein öffentlicher Diskurs über Gentrifizierung, sowie in Folge eine Mobilisierung dagegen, bleibe jedoch aus. Die Kernfrage beim Thema ist für Kühberger die Verdrängung.

Gentrifizierung

Die Veränderung des Annenviertels führe auch zum langsamen Identitätsverlust eines historisch wichtigen Stadtteils, so Kühberger. Denn das rechte Murufer steht auch für die ArbeiterInnenbewegung und damit für den Widerstand gegen den Austrofaschismus und den Nationalsozialismus. Sichtbar ist das noch in manchen Straßennamen, dem Standort der Arbeiterkammer und dem ehemaligen Sitz des ÖGB. Wird jedoch über das Viertel diskutiert, dann beinahe ausschließlich im Zusammenhang mit MigrantInnen, die hier wohnen. Dass aber immer noch hauptsächlich ArbeiterInnen hier wohnhaft sind, deren Herkunft politisch gesehen keine Rolle spiele, sei selten Thema. Leo Kühberger meint auch, dass die Aufwertung des Annenviertels den Eindruck „KünstlerInnen küssen den Stadtteil wach“ vermittle, der die Geschichte über die ArbeiterInnenbewegung in den Hintergrund stellt.

KünstlerInnen und AktivistInnen nehmen innerhalb des Gentrifizierungsprozesses eine ambivalente Rolle ein. Jene verstehen sich häufig als eine Art soziale Bewegung und setzen sich vermehrt für eine Öffnung des Stadtraums ein, haben sich bis dato aber nicht mit dem verbindenden Thema der meisten BewohnerInnen, teureren Mieten, auseinandergesetzt, so Kühberger. Maria Reiner, die beim Lendwirbel involviert war und jetzt im Stadtteilprojekt Verein Annenviertel aktiv ist, kontert: „Mir ist es ein großes Anliegen, dass sich BewohnerInnen austauschen und Eigenermächtigung lernen. Sie zu mobilisieren ist allerdings tatsächlich nicht einfach.“

Lendplatz

Bei der letzten Station des Rundgangs, am Lendplatz, erzählt Leo Kühberger vom Trödler „Fast Neu Hasiba“, der hier vor einigen Jahren der Cocktailbar „Pierre´s“ weichen musste. „Nun kostet hier ein Cocktail vermutlich gleich viel wie einst ein Radio“, vermutet Kühberger. Um dieser Form von Stadtteilveränderung entgegenzuwirken, gäbe es unterschiedliche Ansätze: einen breiten Diskurs und politischen Druck auch durch Aktionen. In Hamburg beispielsweise gingen AktivistInnen von Tür zu Tür, um ein Stimmungsbild der Betroffenen zu eruieren und diese zu mobilisieren. Welche Formen Aktionen annehmen können, darauf geben die Recht-auf-Stadt-Initiativen in Hamburg einige Hinweise. Es muss ja nicht gleich Kaviar regnen. In Graz gab es das Projekt „Recht auf Stadt“, das sich mit diesem Thema auseinandersetze.
[box]Der nächste Gentrifi-Dingsbums-Spaziergang mit Leo Kühberger, veranstaltet von der Kommunistischen Jugend, findet am 21. Oktober statt. Treffpunkt: 16 Uhr bei der Haltestelle am Südtirolerplatz.[/box]

Rasende Reporterin. Konsequent kritisch. Liest. Schreibt. Koffein in den Adern. Buchstabensalat im Kopf. @saplanot

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.

16 + 5 =

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Vorherige Geschichte

Die Annenpost-Printausgabe ist da!

Nächste Geschichte

Neue Chance für den Volksgarten?

Letzter Post in VIERTEL(ER)LEBEN