Nach dem von der Polizei behaupteten „Schlag gegen die Drogenszene“ im September nimmt sich nun ein privater Verein des Drogenproblems im Volksgarten unter Führung des früheren Stadtrats Werner Miedl an. Er will bei den sozialen Ursachen des Dealens ansetzen und das subjektive Sicherheitsgefühl der Menschen erhöhen.
Es ist keinen Monat her, dass der Polizei ein großer „Schlag“ gegen die Drogenszene im Volksgarten gelang, wie es in einer Presseaussendung hieß. Ganz zerschlagen scheint sie nicht zu sein, denn man sieht nach wie vor Dealer im Park ihre Runden ziehen. Jetzt will der neue Verein „Sicher leben in Graz“ nicht nur die Symptome des Drogenhotspots bekämpfen, sondern langfristige Lösungen für die Probleme suchen.
Ursachenforschung als Alternative
„Wir haben im Volksgarten eine Gruppe von Menschen, die aus verschiedenen Gründen aus ihrer Heimat geflohen sind, zum Teil sehr junge Menschen, und es ist keiner da, der ein begleitendes Auge auf sie wirft“, sagt Werner Miedl, Geschäftsführer von „Sicher leben in Graz“, einem Verein der am 8.Oktober dieses Jahres seine Arbeit aufnahm, und das Lösen von Sicherheitsfragen und sozialen Problemen zum Ziel hat. Im Vorstand sind neben Miedl bekannte Persönlichkeiten aus Graz, wie der Gastronom Franz Grossauer, Bezirksschulinspektor Schnitzler oder der Arzt und Psychotherapeut Klaus Gstirner. „Die Polizei wird erst dann gerufen, wenn es schon relativ spät ist“, ergänzt Miedl. Um aber eine Begleitfunktion erfüllen zu können, hätte die Polizei laut Miedl zu wenig Beamte. Außerdem weist der ehemalige Kulturstadtrat (ÖVP), der in den letzten Jahren immer wieder auch als Lobbyist, etwa gegen das Shoppingcenter ECE, tätig wurde, darauf hin, dass sie für diese Aufgabe gar nicht vorgesehen ist. „Die Polizei ist ihrem Wesen nach ein repressives Element. Sie hat zwar den Auftrag der Prävention und kommt ihm auch nach, aber es ist nicht ihre Aufgabe, Sozialarbeiter, Eltern und Lehrer zu ersetzen. Das alles fehlt aber.“
Durchgriffe würden den Drogenfahndern aber immer wieder gelingen, da man ständig daran arbeite die Großverdiener der Drogenszene auszuforschen, erklärt Miedl. Doch diese „Schläge“ bekämpfen nicht die Ursache des Problems. Für viele Zuwanderer gäbe es momentan keine realistische Alternative zum Drogenhandel, um Geld zum Überleben zu verdienen. Verantwortlich für den florierenden Drogenhandel sind für Miedl aber genauso die Kunden, die das Rauschgift kaufen.
Auch sein schlechtes Image in den Medien macht dem Volksgarten zu schaffen. Wahrscheinlich fühlen sich auch die GrazerInnen insgesamt in ihrer Stadt, aber vor allem im Volksgarten unsicherer als früher. Objektiv gibt es dennoch nicht mehr Verbrechen als zuvor. Dass sich das subjektive Sicherheitsbefinden aber verschlechtert hat, stellte Miedl anhand der Studie zum Lebensqualitätsindex 2013 der Stadt Graz fest. Aus dieser Erkenntnis entstand die Idee zu handeln. Der Verein „Sicher leben in Graz“ wurde gegründet.
Neue Lösungen gesucht
„Mir wurde aber ganz klar vermittelt: Die Polizei kann den Volksgarten innerhalb weniger Tage clean machen. Es wurde nur dazu gesagt: Dann haben wir das Problem eben woanders“, sagt Miedl. Das war für ihn keine Lösung. „Wir haben dann im Einvernehmen mit der Polizei beschlossen, einen anderen Prozess zu versuchen. Genau dort haben wir auch unseren Platz gefunden, als Verein helfen zu können. “Zusammen mit dem Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS) Wien wurde der DESSI-Prozess Graz gestartet. Doch was ist diese Initiative und was kann man von ihr erwarten?
DESSI steht für „Decision Support on Security Investment“. Es ist eine wissenschaftliche Methode um Probleme an bestimmten Orten, wie zum Beispiel dem Volksgarten, zu analysieren und Lösungsvorschläge zu erarbeiten. In Wels wurde der Prozess erstmals in Österreich erprobt und die Ergebnisse als Empfehlungskatalog präsentiert. „In diesem Prozess ist völlig neu, dass Polizei, Behörden, Betroffene und NGOs zusammensitzen und man interdisziplinär nach neuen Wegen sucht“, sagt Miedl. Man will möglichst viele Betroffene einbeziehen und für die Menschen im Volksgarten realistische Optionen für ein besseres Leben finden. Neben Vereinen, Bildungseinrichtungen und Gewerbebetrieben sollen deshalb vor allem auch BürgerInnen an den Lösungen mitarbeiten. „Es ist entscheidend, dass wir auch das Image des Volkgartens verbessern“, meint Alexander Neumann, der DESSI-Leiter vom Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie.
Sicherheitsproblem oder soziale Frage?
Der Prozess besteht aus drei Teilschritten. „Im Oktober treffen sich Vertreter der Zivilgesellschaft, also Anrainervertreter, Vertreter von Religionsgemeinschaften, sozialen und kulturellen Vereinen, um zentrale Fragestellungen rund um den Volksgarten zu diskutieren. Im zweiten Schritt suchen Experten zum Beispiel aus der Bildung, dem Gewerbe und der Kunst im November nach möglichen Problemlösungen“, erzählt Neumann. Im Gegensatz zu den ersten beiden Terminen ist der dritte im Dezember öffentlich. „Es wäre begrüßenswert, wenn Anrainer und Anrainerinnen, die den Park auch tagtäglich nützen, schon die Lösungen mitformulieren könnten“, empfiehlt Margarethe Makovec vom Kunstzentrum <rotor> , die beim ersten Treffen dabei war. Außerdem betont sie: „Schlussendlich sind es oft keine Sicherheitsfragen, sondern soziale Fragen der Gesellschaft.“
Um aber Lösungsvorschläge für gesellschaftliche Fragen umsetzen zu können, braucht es die Politik. Genau das könnte beim DESSI-Prozess allerdings ein Problem werden, da die Initiative von einem Verein ausgeht und keine Politiker miteinbezogen sind. „Die verschiedenen Fraktionen in der Politik müssen sich immer von der Meinung und der Haltung der anderen abgrenzen“ begründet Miedl die Entscheidung, die gemeinsam mit dem Stadtsenat getroffen wurde, der den Verein aber mit 130.000 Euro unterstützt. Allerdings wird der Empfehlungskatalog mit den Lösungsvorschlägen am Ende des DESSI-Prozesses der Politik vorgelegt. Ob und wie viel sie davon umsetzen wird, ist völlig offen. Der Verein ist dennoch zuversichtlich, genügend Druck seitens der Öffentlichkeit aufbauen zu können, um Veränderungen durchzusetzen. „Worst Case wäre für mich wenn wir mit den Lösungsansätzen und Projektvorschlägen, die aus dem DESSI Prozess entstehen sollen, nicht anschlussfähig für die Politik sein sollten. Darauf werden wir aber bei der Ergebnispräsentation im Dezember achten“, sagt Alexander Neumann. Als Ergebnis würde er sich wünschen: „Durch die Schaffung von realistischen und vernünftigen Angeboten für eine Tagesstruktur wollen wir mit dem DESSI Prozess Alternativen zur Gestaltung des Alltags für afghanische und tschetschenische Jugendliche aufzeigen. Dem Einstieg in die Drogenkriminalität gilt es entgegenzuwirken.“
Bewusstsein bilden, Netze knüpfen
Einerseits will man sich für die Bewusstseinsbildung bei den BürgerInnen zu sozialen Themen engagieren, andererseits aber auch in konkreten Sicherheitsfragen tätig werden. Durch Broschüren und direkte Gespräche von Vereinsmitgliedern mit BürgerInnen will der Verein in Kooperation mit der Polizei bei Veränderungen von Verbrechensmustern besser aufklären. Um für seine Arbeit aber genügend Gehör zu finden, bedarf es angesichts der etwa 200 Likes der Facebook-Seite noch etwas Arbeit.
Bei all den vielen Projekten und Zielen ist es sehr schwierig zu sagen, ob der Verein diese auch wirklich alle umsetzten kann. „Ich glaube an kleine Schritte und langfristige Perspektive um etwas zu verändern“, meint Margarethe Makovec. Im Verein ist man sich aber bewusst, dass es langfristiger Arbeit bedarf, um seine Ziele zu erreichen. Überprüft werden soll die Arbeit des Vereins von Sigfried Beer, Professor an der Universität Graz, um eine externe Qualitätskontrolle zu sichern.
Für die Idee zum Verein war für Miedl neben dem steigenden Unsicherheitsgefühl der BürgerInnen auch sein persönlicher Bezug zum Annenviertel ein wichtiger Faktor. „Das Annenviertel hat mich als ganz junger Polizist geprägt“, sagt der frühere Beamte, der einst am Lendplatz auf Streife ging. „Ich habe das Annenviertel wirklich lieben gelernt. Mir ist es einfach nicht wurscht, was sich dort tut!“