Ein Fluss als Grenze – in Hamburg ist es die Elbe © wilhelmsburgonline.de

Vorgestellt: Wilhelmsburg Online – die Hamburger Annenpost

Lesezeit: 4 Minuten
Viertel-Blogs wie die Annenpost gibt es in vielen Städten. In Hamburg zum Beispiel. Wir haben mit Annabel Trautwein, Chefredakteurin und Herausgeberin von „wilhelmsburgonline.de“ über Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den beiden Stadtvierteln gesprochen.

Der Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg liegt auf der Elbinsel und hat eine Geschichte, die der des Annenviertels nicht unähnlich ist: Wilhelmsburg war einst jener Bezirk, der all das aufnehmen sollte, was der Rest der Stadt nicht haben wollte. Mülldeponien und Verbrennungsanlagen wurden besonders gerne für den flächenmäßig größten Stadtteil Hamburgs geplant. In den 60er- und 70er-Jahren fanden im Zuge der ersten Welle der Arbeitsmigration viele Gastarbeiter auf der Elbinsel eine neue Heimat. Vor allem weil sie in den schöneren Wohngegenden Hamburgs niemand haben wollte. „Ein Fluss hat eine psychologische Wirkung auf Menschen. So wird automatisch eine größere Distanz zu einem anderen Stadtteil hergestellt“, sagt Annabel Trautwein über die geographische Lage von Wilhelmsburg.

In der Murvorstadt, also den Bezirken Lend und Gries in Graz, war es nicht viel anders. Schlachthöfe, Krankenhäuser und Friedhöfe wurden bevorzugt am rechten Murufer gebaut, damit die Bürger der Innenstadt ihre Ruhe hatten. Das Annenviertel war und ist Arbeiterviertel, Transitbezirk und heute Ankunftsstadt für viele Neu-Grazer, die in den letzten 50 Jahren zugezogen sind. Die Annenstraße selbst erlebte zwischendurch mehrere Hochblüten als Einkaufsmeile – historische Phasen, an die sich alteingesessene Bewohner gerne mit etwas Wehmut erinnern.

Ein Fluss als Grenze – in Hamburg ist es die Elbe © wilhelmsburgonline.de
Ein Fluss als Grenze – in Hamburg ist es die Elbe © wilhelmsburgonline.de

Zusammen in einem Boot

Was das Annenviertel und Wilhelmsburg miteinander verbindet ist in jedem Fall die Diversität der Viertel. Die Bevölkerung im Hamburger Stadtteil ist nicht nur sehr jung – knapp die Hälfte ist um die 18 Jahre alt – sondern setzt sich auch aus vielen Nationalitäten zusammen. Vor allem Menschen aus der Türkei, Portugal und Polen haben dort einen neuen Ort zum Wohnen und Arbeiten gefunden. „Migrationshintergrund ist hier schon Normalfall. Mehr als die Hälfte der Wilhelmsburger sind nicht deutschstämmig“, erklärt die Herausgeberin von wilhelmsburgonline.de. Viele in den 60er-Jahren angesiedelte Gastarbeiter sind in Wilhelmsburg sesshaft geworden und haben dort Familien gegründet. Diese Vielseitigkeit lässt sich hier ganz einfach vor der Haustür entdecken. Neben Cafés aller Herren und Damen Länder, Obst- und Gemüseläden, haben auch Bands mit Musik von Blues über Jazz bis hin zu Indie-Pop und soziale Einrichtungen wie zum Beispiel eine Suchtberatungsstelle mit mehrsprachigen Beratern einen Platz im größten Stadtteil Hamburgs gefunden.
„Ich habe den Eindruck, dass sich alle Wilhelmsburger als lokale Gruppe sehen, die zusammen in einem Boot sitzt“, beschreibt Trautwein den Zusammenhalt der Stadtteilbewohner trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft.


Die Grenze der Viertels

Durch den starken Bevölkerungszuwachs und den Mangel an Raum entwickelte die Stadt Hamburg das Programm „Sprung über die Elbe“ mit welchem die Stadtteile südlich des Flusses mehr an die nördlichen angeschlossen werden sollten. Dieses hat auch zum Ziel, dass vor allem Studenten, junge und kreative Menschen und Künstler den „Sprung“ wagen und ihren Wohnsitz nach Wilhelmsburg verlegen. Von diesen erhofft man sich, dass sie in die Rolle von Pionieren schlüpfen und den Stadtteil mit ihrer Kreativität „von alleine“ aufblühen lassen. Wilhelmsburg soll so nach und nach bunter, attraktiver und gemütlicher gestaltet werden. Der Lendwirbel lässt grüßen.


Die Stadt greift ein

In Wilhelmsburg wurde im Sommer 2013 der Neubau einer wichtigen Straße, der Wilhelmsburger Reichsstraße, begonnen. Das traf, wie auch im Annenviertel, auf viele Befürworter, aber auch einige Gegner. Die Stadtplaner erhofften sich dadurch eine bessere Verkehrsanbindung und wirtschaftlichen Aufschwung. Mit der Ansiedelung großer internationaler Veranstaltungen kamen mehr Menschen ins Hamburger Wilhelmsburg als je zuvor. Die „Internationale Bauausstellung“ war Grund für viele Nicht-Wilhelmsburger einmal auf die Elbinsel zu fahren und den dortigen Stadtteil zu besuchen, wo viele neue Gebäude errichtet wurden. Dank der „Internationalen Gartenschau“ ist im früheren „Abstellbezirk“ Hamburgs nun auf hundert Hektar ein großer und gepflegter Park mit Kinderspielplätzen und Sportanlagen entstanden, erklärt Trautwein.

Annabel Trautwein ist nicht nur im Büro, sondern auch mitten in Wilhelmsburg auf der Suche nach neuen Geschichten.
Annabel Trautwein ist nicht nur im Büro, sondern auch mitten in Wilhelmsburg auf der Suche nach neuen Geschichten. © wilhelmsburgonline.de

Schon vor ihrer Zeit beim Stadtteil-Blog war Annabel Trautwein unter anderem bei einer Tageszeitung sowie als freie Journalistin tätig. In Wilhelmsburg traf sie dann genau auf das, was sie schon immer interessierte: verschiedene Kulturen mit ihren Sprachen und Menschen aus aller Welt in nur einem Viertel. Da es auf der Elbinsel noch keine Lokalzeitung gab, sah sie darin eine Gelegenheit und machte sich mit wilhelmsburgonline.de selbstständig. Schon nach kurzer Zeit traf sie damit bei den Wilhelmsburgern auf große Sympathie. Der Gedanke hinter dem Viertel-Blog ist die Menschen auf der Elbinsel mit lokalen Neuigkeiten zu versorgen. Berichtet wird sowohl über Politik mit unter anderem lokalen Wahlergebnissen, die nur auf wilhelmsburgonline.de zu finden sind und über Meinungen der Bürger über den Stadtteil selbst, als auch die „Nachbarschaft“, wie sich eine Rubrik auf dem Blog nennt, die das tägliche Leben der Wilhelmsburger beschreibt. Mit Livetickern und kurzen Videos ist man auch bei jedem Stadtteilfest dabei. Im Oktober 2014 wurde auf dem TV-Kanal Tide auch die erste Folge „Inselflimmern – Fernsehen aus Wilhelmsburg“ ausgestrahlt.

Trotz zahlreicher Unterschiede und der großen Entfernung von knapp 1100 Kilometer zwischen den beiden Stadtteilen  sind sie sich irgendwie auch sehr ähnlich. Viele Hamburger und Grazer, die außerhalb von Wilhelmsburg und dem Annenviertel wohnen, meiden manche zu Unrecht „verschrienen“ Orte im Viertel oft. Den genauen Grund kennen die meisten dafür vielleicht gar nicht. Es ist einfach so, weil es so ist.
„Eigentlich ist Wilhelmsburg auf dem Weg vom vernachlässigten ‚Problemstadtteil‘ hin zu einem aufstrebenden, jungen und attraktiven Teil der Stadt. Bei diesem Prozess muss man allerdings noch abwarten ob alles so läuft, wie sich die Stadt das auch erhofft“, sagt Annabel Trautwein.

Geboren und aufgewachsen in Graz – jetzt will Max hier zum Sportjournalisten reifen. Das Annenviertel erlebt der 20-jährige bei der Annenpost nun erstmals von innen. Die Vielfältigkeit des Stadtteils hat ihn beeindruckt.

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