Schweinsbraten für alle

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Die Herbergssuche spielt eine zentrale Rolle in der Weihnachtsgeschichte. Doch wie verbringen Obdachlose im Jahr 2014 den Heiligen Abend? August Eisner von der Notschlafstelle VinziNest gibt Einblick in ein Weihnachtsfest ohne Kitsch, Konsum und Krippe.

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„Gustl“ Eisner engagiert sich seit mehr als 20 Jahren ehrenamtlich im VinziNest.

 

Im Hinterhof

Hinter der Eingangstür, die sich kaum von der Tür jedes anderen Mehrparteienwohnhauses unterscheidet, blickt ein älterer, etwas grantig wirkender Herr hervor: „Wir kaufen Nichts.“ Im nächsten Augenblick grinst Herr Eisner vom VinziNest, der Notschlafstelle in der Kernstockgasse, schelmisch und öffnet, wie schon so viele Male zuvor, das Tor zu seinem „Paradies“.  „Gehen wir woanders hin, hier stinkt‘s nach Arbeit“, sagt Eisner. Hinter einer langen Fensterfront im Innenhof sieht man rund 40 Stockbetten und mindestens so viele Männer auf engem Raum. Im hintersten Abschnitt des Hofes hängt bunte, nasse Wäsche an einem Geländer. Diese Wäsche gehört den Bewohnerinnen der Notschlafstelle. „24 Frauen schlafen heute hier“, sagt Eisner, auf dem Weg in den Speisesaal. An der Ecke hängt ein Kreuz, die Stühle sind verkehrt herum auf die Tische gestellt. Am Tisch beginnt „Gustl“ mit seiner Weihnachtsgeschichte.

 

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Die Notschlafstelle in der Kernstockgasse bietet jedem Hilfesuchenden ein Dach über dem Kopf und eine warme Mahlzeit.

 

So geht Weihnachten in einer Notschlafstelle

Am Heiligen Abend suchen jedes Jahr zwischen 50 und 60 Menschen Unterschlupf im „Nest“, erzählt Eisner. „Der Toni“, ein langjähriger Bewohner, besucht mit allen, die wollen, am Nachmittag die St. Lukas Kirche. Gemeinsam verbringen sie den 24. Dezember bei Würstel und Tee. „Am Christtag dürfen ausnahmsweise alle bis acht Uhr schlafen“, lacht August Eisner, der sonst darauf achtet, dass seine Gäste um sieben Uhr auf der Straße sind. Diesen Tag verbringen die Menschen vom VinziNest im Marienstüberl, wo es „gemütlich und warm“ ist und gejausnet wird.

Der Stefanitag ist ein besonderer Tag. Der pensionierte Fleischhacker steht extra früh auf und bereitet bis zu 40 Kilo Schweinsbraten zu: „Jeder kann solange und so viel essen, wie er will.“ Nach dem Festessen bleibt für „Gustl“ nichts mehr zu tun: „Ich musste noch nie einen Besen in die Hand nehmen“. Die Bewohnerinnen und Bewohner reinigen die Tische und wischen den Boden.

 

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„Der ist satt und ich schlaf besser“, sagt Eisner über seine Motivation zur ehrenamtlichen Arbeit.

 

Ein Tag wie jeder andere?

„Man merkt zu Weihnachten schon, dass die Leute lieber daheim wären“, sagt August Eisner. In der Heimat der Vinzi-Bewohner warten oft Kinder, die fragen, „warum der Papa kein Geld geschickt hat“. Für viele ist die Weihnachtszeit aber trotzdem etwas Besonderes. „Bewohner fragen mich am 24. nach einem Rasierapparat, sie wollen sich für den Heiligen Abend herausputzen“, so Eisner.

Wer genug gespart hat, fährt über Weihnachten nach Hause. Die Leute organisieren sich meistens Fahrgemeinschaften und bleiben, bis ihnen das Geld wieder ausgeht: „Manche stehen schon am 26. Dezember wieder vor der Tür.“

 

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Bis zu 130 Menschen übernachten hier in der kalten Jahreszeit.

 

Das VinziNest und seine BewohnerInnen

Die Notschlafstelle bietet jedem Menschen, der kein Dach über dem Kopf hat, für 28 Tage im Monat ein Bett und etwas Warmes zu essen. Ein rumänisches Ehepaar bekocht mit gespendeten Lebensmitteln seit über 15 Jahren das „Nest“. Normalerweise sind bis zu 100 Männer und an die 30 Frauen hier untergebracht. Die Männer sind 20 bis 70 Jahre alt, die Frauen 40 bis 50 Jahre. Ein Großteil von ihnen kommt aus der Ostslowakei: aus Rimavska oder aus Hostice. Die Menschen wollen in Österreich Geld verdienen, weil sie in ihrer Heimat keine Chance auf einen Arbeitsplatz haben, die meisten von ihnen versuchen, den Grazern auf der Straße ein paar Euro abzubetteln. „Wenn sie 200 Euro zusammen gespart haben, fahren sie heim“, fügt „Gustl“ bei.

 

Dankbarkeit als Motivation

Auf unsere Frage, was den 79-Jährigen seit 22 Jahren antreibt, das VinziNest zu schaukeln, antwortet Eisner spontan: „Ich weiß es nicht.“ Nach längeren Überlegungen ergänzt er schließlich: „Ich glaube es ist Dankbarkeit: Ich habe alles, was ich mir wünschen kann. Vor allem eine Familie und eine Frau, die meine Arbeit verstehen.“ Es beruhige ihn, anderen zu helfen: „Der ist satt, und ich schlaf besser.“

 

von Sara Noémie Plassnig und Paul Krisai

 

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Diese Geschichte gehört zu einer dreiteiligen Annenpost-Serie über Weihnachten und ist in einer Kurzform auch auf S. 26/27 der Kleinen Zeitung vom 20.12.14 erschienen. Weitere Beiträge:

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Reist am liebsten auf zwei Rädern, liest Zeitung, Non-Fiction und Reisepass, jongliert mit Buchstaben, Keulen und Drumsticks. Prinzipiell skeptisch-interessiert. Kaffeegourmet.

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