„Beim Essen kommen die Leute zusammen“, meint die Historikerin Margit Franz. Das gilt auch für das Projekt „Flucht sichtbar machen“ von KiG und CLIO. Die Annenpost hat der „Küche im Volxhaus“ einen erneuten Besuch abgestattet und die Geschichte eines afghanischen Flüchtlings erfahren.
Drei junge Männer stehen in der Küche des Volkshaus Graz. Einer schneidet Tomaten klein, der andere rührt im dampfenden Kochtopf, der Dritte wäscht den Salat. Der Duft von frischen Karotten, Ingwer, gekochtem Fleisch und Reis erfüllt die Luft.
Die drei jungen Männer sind Abdulwali Karamalli und seine beiden Mitbewohner Mohammad Ghaleb Ghanizada und Omid Ghafori. Sie sind Flüchtlinge, die wegen des Kriegs ihr Heimatland Afghanistan verlassen mussten und in Graz gelandet sind, wo sie nun seit ein paar Jahren leben.
Das Kochen und anschließende Essen bilden den Rahmen für das Projekt „Flucht sichtbar machen!“ – eine Zusammenarbeit von Kultur in Graz (KiG) und dem Verein CLIO. „Seit zwei Jahren gibt es jetzt die Küche im Volxhaus“, erklärt Florian Rüdisser von KiG. „Die Idee zur Veranstaltungsreihe entstammt ähnlichen Volksküchen, die es bereits in anderen Großstädten gibt.“ Jeden ersten Dienstag im Monat findet die „Küche im Volxhaus“ statt.
Diesmal hat die Moderatorin Margit Franz von CLIO Abdulwalli Karamalli eingeladen, um zu kochen und über seine Geschichte zu sprechen. Sie selbst erzählt von Emanuel Schlesinger, einem österreichischen Hutfabrikanten, der 1939 aufgrund seiner jüdischen Abstammung vom NS-Regime enteignet wurde und nach Indien ausreisen musste. „Ich habe versucht eine Verbindung herzustellen, zwischen der Geschichte aus der NS-Zeit und der von heute“, sagt Franz, von der die Idee zum Projekt stammt. „Entweder über das Land, in das früher Österreicher geflüchtet sind und von dem heute Flüchtlinge herkommen“, sagt sie, „oder mittels eines übergeordneten Themas, wie es in diesem Fall Enteignung und Vertreibung sind.“
Gemeinsam mit Barbara, die schon einmal in der Küche im Volxhaus mitgekocht hat, bereiten die drei Männer nun das traditionelle Kabuli Polau, eine afghanisches Reisgericht zu. Für Barbara sind es „die Lust am Kochen und das Zusammensein mit lieben Menschen“, die sie dazu bewegen hier mitzukochen. Denn nicht nur bei der Gesprächsrunde und beim gemeinsamen Essen darf jede und jeder sich beteiligen, sondern auch beim Kochen selbst. „Es macht umso mehr Spaß je mehr mitkochen!“, meint Ghanizada.
Auch zuhause kochen die drei öfters gemeinsam. „Wir sind wie eine Familie“, sagt Karamalli „alleine ist es schwer hier.“ Kurz huscht ein bedrückter Blick über sein Gesicht.
Mohammad Ghaleb Ghanizada hat eine Präsentation über Afghanistan vorbereitet, um allen das Land näher zu bringen. Sehr interessant sind die Vorher-/Nachher-Fotos von Kriegsschauplätzen oder von Studentinnen aus Kabul – in den 70ern mit kurzen Röcken und offenem Haar, im Jahr 2013 mit einer Burka. „Ich habe im Internet gesehen, dass früher die Frauen in Afghanistan kein Kopftuch trugen, während viele Österreicherinnen eines auf hatten. Heute ist es genau umgekehrt!“, meint Ghanizada augenzwinkernd.
In der Gesprächsrunde erzählt Abdulwali Karamalli seine Geschichte. „Ich komme aus Nordafghanistan und bin seit fünf Jahren hier. Als wir nach Pakistan fliehen mussten, war ich erst acht Jahre alt“, sagt der 23-Jährige, dessen Familie von den Taliban und einem anderen Nomadenstamm mit dem Tod bedroht und enteignet wurde. „Auch im dortigen Flüchtlingslager war die Situation schwierig, denn in Pakistan spricht man eine völlig andere Sprache, als in meinem Heimatland.“
Schließlich kam er nach Österreich, wo er dreieinhalb Jahre auf ein Visum wartete. Währenddessen starb sein Vater im Flüchtlingslager. „Aber ich konnte mich nicht von ihm verabschieden, ich durfte noch nicht ausreisen.“ Seine Mutter, sein jüngerer Bruder, seine Frau und sein fünfjähriger Sohn sind nun auf ihn angewiesen. Als ältester Sohn trägt Karamalli die Verantwortung und muss allein für das Geld sorgen.
Die Familie verlor viele Grundstücke, die sie bis jetzt nicht wiederbekommen hat.
„Die Taliban wurden vertrieben, aber nun hat die Zentralregierung sich das Land unter den Nagel gerissen. Alle, die weg sind, werden de facto nicht zwangsenteignet, aber sind enteignet“, erklärt Norbert Prettenthaler die Situation. Der Filmemacher hat Karamalli und auch viele andere Flüchtlinge in Deutschkursen unterrichtet und unterstützt sie auch in rechtlichen Belangen, beispielsweise bei der Übersetzung von Dokumenten für die Behörden. „Mittlerweile hat sich eine richtige Freundschaft zwischen uns entwickelt.“
Karamallis Wunsch wäre es, als Elektriker oder Installationstechniker zu arbeiten. „Aber das Geld, das man als Lehrling bekommt reicht nicht aus, um allein eine fünfköpfige Familie zu ernähren“, weiß er aus eigener Erfahrung. Derzeit jobbt er in einem Café. Monatlich schickt er ca. 300 Euro der Familie, einmal jährlich fliegt er nach Pakistan.
„Ich kann aber nicht meine gesamte Familie hierher bringen, es ist zu teuer und zu gefährlich.“ Während des Gesprächs beraten sich einige Gäste, wie Karamalli in seiner Situation geholfen werden könnte.
In einem anderen Fall brachte ein Fluchtgespräch die Dinge ins Rollen und ein junger Mann erhielt vor kurzem die Rot-Weiß-Rot-Karte – Plus. Auch er ist diesmal zu Gast. Lächelnd zeigt er die Karte in die Runde.