„Hauptsache ein Dach über’m Schädel!“

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Im ‚Team On‘Haus in der Rankengasse 22 wohnen sie – die Menschen, die man gern als „am Rand unserer Gesellschaft“ bezeichnet. ‚Abgestürzte‘, Süchtige, Obdachlose finden hier ein Zuhause, aber vor allem auch eine zweite Chance. 

Hemlut
Helmut Schwab: „Ich wohne gerne hier, aber mit einem Lotto-Sechser würde ich mir sofort eine Eigentumswohnung kaufen.“

Helmut Schwab nimmt einen langen Zug von seiner elektrischen Zigarette. Seit seinem elften Lebensjahr raucht er, jetzt will er es sich endlich abgewöhnen. Auf ein halbes Packerl pro Tag ist er schon herunter, erzählt er stolz. Helmut war einer der ersten Bewohner im ‚Team On‘-Haus, 1997 ist er hier eingezogen und bis heute geblieben. „Meine Freundin, mit der ich zusammengelebt hab, is mir damals abgehaun und allein hab ich’s nicht mehr dapackt. Delogierung und so weiter. Alles Scheiße halt. Und dann ist der Harry Krenn kommen und hat mir vom Projekt ‚Team On‘ erzählt. Ich müsse halt mithelfen. Und ich hab gsagt: ‚Ja guat, das mach ma’“, erzählt der gelernte Maler. Die Männer begannen das Haus aufzubauen, Wasserleitungen zu legen und Böden zu erneuern. „Die Caritas hat nichts zahlen können, aber das war ja egal. Hauptsache ein Dach über´m Schädel!“

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Sozialarbeiterin Eva Lenger ist die Herrin des Hauses, sie hat die über 50 Bewohner im Griff. (Foto: Archiv Team On)

Vom Fußballteam zum Sozialprojekt

1994 gründete Harry Krenn mit seinem Freundeskreis das Team On. Er begann die „alten Sandler vom Hauptplatz aufzusammeln“ und gründete mit den Männern eine Fußballmannschaft – das ‚Team Ohne Nest‘. Zusammen nahmen sie an österreichweiten Obdachlosenmeisterschaften teil, zum Beispiel in St. Pölten oder Wien. „Dann ist der Harry einmal zur Stadt Graz und hat zuerst hier im Haus fünf extreme Substandard-Wohnungen bekommen. Gemeinsam mit den Bewohnern hat er dann begonnen, das Haus zu sanieren“, erklärt Eva Lenger. „Und immer wenn ein Altmieter aus dem Haus ausgezogen ist, hat das ‚Team ON‘ die Wohnung übernommen.“ Die taffe Sozialarbeiterin war von Anfang an dabei und schmeißt seit über 20 Jahren den Laden – so gut wie alleine. Probleme, sich gegen die, großteils männlichen, Bewohner durchzusetzen habe sie nie gehabt. „Welches Kind würde schon die eigene Mutter fressen?“, fragt sie lachend.

„Wir halten zamm‘ im Haus!“

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Das Haus Nummer 22 musste komplett saniert werden. Duschen gab es vorerst nur am Gang, mittlerweile in jedem Zimmer.

Denn Eva Lenger ist mehr als nur Organisatorin. Als einer ihrer Klienten erzählt, er würde Rad fahren gehen, mahnt sie ihn besorgt, genug zu trinken. Einer der Bewohner erzählt, er möchte im Haus wohnen bleiben, so lange die Eva da ist. „Wir sind mehr eine große Familie als ein Wohnhaus“, erklärt sie. Bevor es die Hauskrankenpflege gab, hätte der eine einfach den anderen gepflegt und der eine dafür auf den anderen geschaut. „Wir haben einen gehabt, der war wegen Krebs vier Jahre bettlägerig und die anderen Bewohner haben ihn gepflegt. Ein Arzt ist regelmäßig gekommen, um ihn einzuspritzen, alles andere haben die Klienten gemacht. Weil’s halt einfach zammhalten im Haus!“ Viele würden sich auch noch aus der Jugend kennen, ein Großteil der Bewohner sei im Heim aufgewachsen. „Man hat sich dann halt wieder getroffen, auf der Straße oder hier im Haus. Aber vom Alter haben wir schon von 20 aufwärts bis unendlich gehabt. Und auch vom kleinsten Arbeiter bis zum Journalisten haben wir hier alles.“

„In der Nacht sind’s durchgraschelt und haben Leute gesucht!“

Viele Bewohner kommen über Sozialarbeiter oder aber von selber, um zu fragen, ob was frei ist. Mittlerweile sind 50 der 60 Wohneinheiten Teil des Projektes. „Es gibt aber eine relativ geringe Fluktuation, ich bekomme maximal drei bis vier im Jahr weiter in Gemeindewohnungen. Das ist dann aber schon viel. Und wenn niemand stirbt und niemand auszieht, wird halt nix frei. Außer es geht grad wer in Haft“, sagt Eva Lenger. Vor allem am Anfang hätte es eine hohe Polizeipräsenz im Haus gegeben. „Da sind’s in der Nacht durchgraschelt und haben Leute gesucht.“ Das habe sich im Lauf der Zeit aber gelegt. Widerstand von den Altmietern hätte es trotzdem kaum gegeben. Ein paar alte Damen hätten das Projekt misstrauisch beäugt, sich dann aber damit abgefunden.

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Mord und Totschlag wurde Eva Lenger am Beginn des Projektes prophezeit, bis jetzt gab es aber noch keine gröberen Vorkommnisse.

Ohne Konzept

„Ob es Betreuung gibt? Jein“, versucht Eva Lenger zu erklären. Denn es gibt kein Konzept, auf das aufgebaut wird. Grundsätzlich ist jeder für sich selbst verantwortlich: „Ich werde keinem, der 50 Jahre sauft erklären, er darf jetzt keinen Alkohol mehr trinken! Wir haben aber für diejenigen, die selber dazu nicht mehr in der Lage sind aufzuräumen, Putzpersonal.“ Jeder Bewohner muss Miete für die um die 18 m2 großen Zimmer zahlen. Mit diesem Geld, Spenden und über die Caritas wird das „Team On“ finanziert. Außerdem müssen alle Bewohner im Haus mithelfen. „Das kann mal Semmeln reiben sein, damit wir Brösel verteilen können oder Gemüse für’s Frühstück klein schneiden.“ Denn bei 35 Euro im Monat ist das Essen, das gemeinsam zubereitet wird, inkludiert. Die Lebensmittel stammen großteils von der Ausgabestelle im Erdgeschoß des Hauses.

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Das Stiegenhaus ist rund um die Uhr zugänglich, damit Brot und Semmeln geholt werden können.

„Zwei Ehrenamtliche fahren zweimal in der Woche die Läden ab und sammeln Lebensmittel, die nicht mehr verkauft werden können. Auch Brot vom Merkur bekommen wir  täglich.“ Das Brot steht frei zugänglich im Vorhaus, bis abends sei es meistens weg. „Es gibt aber auch Leute, die sich genieren was zu holen. Die kommen in der Nacht, wenn es finster ist, und gehen dann mit den Sackerln heim.“ Im Keller der Rankengasse 22 stapeln sich keine Lebensmittel, dafür aber Geschirr und alte Möbel – Übriggebliebenes aus Wohnungen. „Zwei- bis dreimal veranstalten wir einen Flohmarkt, um ein bisschen Geld herein zu bringen.“ Nicht nur an Geld, vor allem auch an Unterstützung von Freiwilligen mangle es aber.

„Es fehlt an Helfern!“

Hof
Viel Zeit verbringen die Bewohner des Hauses im Garten, den sie selbst bepflanzen.

Fußball gespielt wird heute nicht mehr. „Wir haben die Landesturnhalle gehabt, einmal in der Woche für zwei Stunden. Es hat angefangen, dass Leute aus meiner Mannschaft gstorben sind oder halt nicht mehr können haben. Und dann sind die Jungen nachgekommen. Und die Jungen und die Alten, das passt halt net zammen.“ Alle 14 Tage käme ein Freiwilliger, der mit den Bewohnern spazieren oder wandern gehen würde. „Insgesamt fehlt es uns aber halt einfach an Ehrenamtlichen, die sich mit den Leuten beschäftigen. Die einmal mit ihnen Kino gehen oder ein Eis essen. Mir fehlt einfach die Zeit dazu. Falls wer kommt, der ehrenamtlich helfen will, der ist jeder Zeit herzlich willkommen!“ Wieso sie nach all den Jahren noch hier ist, weiß Eva Lenger selbst nicht genau, sagt sie. Aber ohne sie wäre das Team wohl immer noch ohne Nest.

 

 

 

Wenn Eva nicht gerade im Annenviertel recherchiert, steckt sie ihre Nasen am liebsten in Bücher, geht ins Theater oder verreist. In ein paar Jahren wahrscheinlich in Berlin anzutreffen.

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