Das Marienstüberl feiert im Dezember seinen 20. Geburtstag. Mit Herz und Hirn leitet Schwester Elisabeth Gruber vom Orden der Barmherzigen Schwestern die gemeinnützige Institution, die Treffpunkt und Anlaufstelle für Menschen ist, die am Rande der Gesellschaft leben.
Zur Mittagszeit haben die Helfenden im Marienstüberl alle Hände voll zu tun. Menschen strömen herein, die Tische sind besetzt, man meint, bereits Mägen knurren zu hören. Verständlich, wenn aus der Küche bereits der Geruch von Suppe und Schnitzel in den großen Raum strömt, der inzwischen zum Bersten voll ist. Mitten in dem bunten Chaos zwischen BesuchernInnen jeder Herkunft, jeden Alters und jeden Geschlechts ist die resolute Schwester Elisabeth zu finden, Schutzherrin und Leiterin des Marienstüberls. Gerade begrüßt sie zwei ankommende Gäste freundlich, zwei Minuten später schimpft sie einen Besucher, der im Eingangsbereich lärmt. „Manchmal sind ‚Spinnerte’ dabei, aber meistens haben wir freundliche Gäste, die sich freuen, hier zu sein“, ruft mir Schwester Elisabeth zu, während sie wieder in den Speisesaal eilt, um das Tischgebet zu sprechen.
Hilfe, wo Hilfe gebraucht wird
Das Marienstüberl wurde 1995 aufgrund der Flüchtlingswelle nach dem Krieg in Jugoslawien gegründet. „Auf einmal waren statt der üblichen dreißig Leute hundert Menschen da, die versorgt werden mussten“, berichtet Schwester Elisabeth von den Anfängen. „Es hat sich schließlich weiterentwickelt, wir sind ein paar Mal umgezogen, und haben nun eine große Basis an Freiwilligen und Spendern.“ Die für Dezember geplante 20-Jahr-Feier musste aufgrund der aktuellen Flüchtlingsthematik ins Frühjahr 2016 verschoben werden – im Festsaal des Marienstüberls sind Flüchtlinge untergebracht. Konflikte zwischen Besuchern und Flüchtlingen gibt es aber kaum. „Alle brauchen Hilfe, und wir machen da keinen Unterschied.“
Die BesucherInnen des Marienstüberls leben größtenteils unter der Armutsgrenze – viele leben in Wohnheimen, übernachten in Notschlafstätten wie dem VinziNest oder im schlimmsten aller Fälle auch in Abbruchhäusern und im Freien. Im Gegensatz dazu nehmen viele ältere Menschen die Angebote gerne wahr um der Einsamkeit zu entkommen.
Hilfe gegen die ärgste Not, aber auch aufmunternde Worte – die Gäste werden in jeder Hinsicht unterstützt. Das Angebot an Hilfeleistungen ist groß: Neben dem Frühstück, das durch Spenden von Bäckereien, Unternehmen und Privatpersonen ermöglicht wird, werden ab zwölf Uhr auch warme Mahlzeiten für etwa 200 Personen serviert, die von der Stadt Graz finanziert werden. Ebenso gibt es Waschmöglichkeiten und eine Sozialberatung, die bei Wohnungs- und Arbeitssuche Hilfestellungen anbietet.
In Kooperation mit der Marienambulanz entstand außerdem ein medizinisches Betreuungs- und Beratungsprogramm. „Viele hier sind ja nicht einmal versichert, die können gar nicht zum Arzt gehen. Die Marienambulanz hat auch schon Leben gerettet“ erzählt Schwester Elisabeth. „Letzte Woche hatte Toni, einer unserer Stammgäste, während dem Mittagessen Nasenbluten. Er ist dann rauf in die Ambulanz und schließlich ins Krankenhaus gebracht worden, weil er starken Bluthochdruck hatte. Gerade eben hat er angerufen, er wird heute entlassen und es geht ihm wieder gut.“
Für Familien in Geldnöten gibt es drei Mal in der Woche eine Lebensmittelausgabe, die ebenfalls durch Spenden ermöglicht wird. Das gesamte Projekt gelingt durch eine Zusammenarbeit der Barmherzigen Schwestern, der Caritas, der Stadt Graz, die das Essen bereitstellt, und der Grazer Pfarren, aus denen die bis zu 100 freiwilligen HelferInnen kommen.
„Einer schätze den Anderen höher ein, als sich selbst“
„Für uns Barmherzige Schwestern ist es Pflicht, denjenigen zu helfen, die Hilfe benötigen“, erzählt die 60-jährige Schwester, die bereits seit zwölf Jahren das Stüberl leitet, und beruft sich auf den Ausspruch des heiligen Vinzenz, Schutzpatron des Ordens: „Liebe sei Tat“. Die Menschen kommen aus unterschiedlichsten Gründen, obwohl vielen Schicksalen die gleichen Probleme zugrunde liegen – Scheidungen, Krankheiten, Jobverlust, Suchtkrankheiten – in die Armutsfalle gerät man leicht. Im Marienstüberl ist die Vergangenheit nebensächlich. Wichtig ist, dass die Gäste hier einen Rückzugsort haben, wo Austausch mit anderen und Entspannung möglich sind.
Verhaltensregeln gibt es natürlich trotzdem: Handelt jemand respektlos, stiehlt oder randaliert, wird er aus dem Marienstüberl verwiesen. An der Tagesordnung ist dies jedoch nicht, der Umgang der Menschen miteinander ist durchwegs höflich und respektvoll. Schwester Elisabeth predigt es – „Einer schätze den Anderen höher ein als sich selbst“, die Gäste leben es schließlich auch. „Im Gespräch mit den anderen werden sie hilfsbereit und das eigene Schicksal erscheint ihnen oft weniger schlimm“.