Das Viertel zum Klingen bringen

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Chris Magerl erzählt in seinen Songs vom Leben zwischen Hauptbahnhof und Mur. Seinen neuen Song „Raise a Question“ bietet er zum „Charity Download“ an, um Flüchtlingen zu helfen.

An zwei Abenden wurde „Raise a Question“ aufgenommen. Foto: Chris Magerl

Von Bühnen in Kanada und ganz Europa zurück nach Graz. Zurück ins Annenviertel. Diesen Schritt machte Chris Magerl im Jahr 2008, als er sein Soloprojekt startete. Zuvor stand „Hardcore“ und „Powerpop” mit seinen Bands „Sick of Silence“ und „Once Tasted Life“ auf dem Programm. Laut, plakativ und sehr politisch. Politisch im großen Rahmen, in seinen Songtexten behandelte er Unrecht in aller Welt.  Seit über sieben Jahren zoomt er – was den Inhalt seiner Songs betrifft – viel näher heran. Er bezieht sich auf sein Umfeld und erzählt Geschichten, die vor seiner Haustür liegen. Lange Zeit war Chris Magerls Umfeld der Griesplatz in Graz. Das Ergebnis seiner Eindrücke war sein erstes Soloalbum „A New Season“.

“There’s an old man drinking in front of my window
I saw him before just a few days ago
Back then he looked desperate but way better than now
Telling the story of a frown”

Tagtäglich auf dem Weg zur Arbeit begegneten Chris Magerl dieselben Menschen, manche fielen ihm besonders auf. „Da hab ich mir dann gedacht: Da ist wahrscheinlich die Lebensplanung anders verlaufen als das Leben“, erzählt Chris Magerl. Er erinnert sich an einen Mann, den er jeden Morgen mit einem Tetra Pak Wein spazieren sah. Ein zweiter sammelte Holzsteigen vor den Geschäften – er brauchte Heizmaterial für seine Wohnung. Im Song „Old Man“ aus dem Album „Places“ erzählt Chris Magerl von diesen Begegnungen. Es gehe in dem Song auch darum, dass viele Leute Wunschvorstellungen davon haben, wie ihr Leben verlaufen soll. „Manche erreichen den Zustand eher als andere“, so der Musiker.

„And if I stay for too long I might become just one of them
So I’d better run while I still can”

Sein Glück erkennen, wissen, wo man hin will und Möglichkeiten nutzen, die sich bieten – der zweite Vers ist vielschichtig lesbar. „I’d better run while I still can“ setzte Chris Magerl dann auch im wahrsten Sinne des Wortes um: „In meinem Fall ist es ein bisschen zynisch, weil ich wirklich vom Griesplatz weggezogen bin.“ Es war aber nicht die Gegend an sich, die ihn unglücklich machte, er fand sie immer interessant. Die Wohnung war mies und seine Situation dort begann ihn zu frustrieren. „Ich war aber in der glücklichen Lage, dass ich sag’, ich zieh’ woanders hin.“

Der Umzug bedeutete für ihn aber nicht, das Annenviertel zu verlassen. Jeden Tag verbringt er viele Stunden als Sozialarbeiter in einer Jugendeinrichtung im Viertel. Er steht in Kontakt mit Personen, die hier leben, wohnen und aktiv sind. „Ich interessiere mich sehr stark dafür, welche Geschichten die Leute mitbringen, was sie erzählen, welche Lebensumstände sie haben.“

Das Coverbild von „Raise a Question“ zeichnete Chris Magerl selbst.

„Raise a Question“
Chris Magerl bleibt nach der Arbeit öfter länger im Büro, um Musik zu machen und seine Gedanken, die „in irgendeiner Form rausmüssen“, in Songtexte zu verpacken. So warf er an einem Abend eine musikalische Frage auf. „Raise a Question“ betitelte er den Song, der in etwa einer Stunde geschrieben war. „Für mich ungewöhnlich, normalerweise feile ich voll lang herum.“ Dem Text sollte auch eine Tat folgen – und zwar eine, die Flüchtlingen in Österreich helfen sollte. Umsetzen wollte Chris Magerl das Projekt aber nicht alleine und so stieg Dawner mit ein, ein Freund, der ebenfalls Musiker ist. Das Jugendzentrum wurde zum Aufnahmeort für einen Chor, der aus Grazer Musikern und Musikerinnen besteht, und am Ende des Songs zu hören ist. Seit 29. November steht der Song, der Menschen dazu auffordert, über die Situation von Flüchtlingen nachzudenken und selbst Fragen zu stellen, nun zum „Charity Download“ bereit. „Ich kann die ganze Krise nicht lösen, aber ich kann ganz kleine Teile dazu beitragen, dass es manchen Leuten besser geht“, begründet Chris Magerl seine Entscheidung, die Einnahmen des Songs an Flüchtlinge zu spenden. „Ich wollte damit kein großes politisches Statement aufstellen. Mir ist es darum gegangen, den Fokus auf die Menschlichkeit zu legen.“

Ein Feedback auf den Song gab es sofort, dennoch verläuft die Aktion anders als die Musiker und Musikerinnen es erhofft hatten. „Es verhält sich im Moment sehr ähnlich wie auch sonst mit meiner Musik, nämlich, dass die Leute sehr viel streamen und sehr wenig downloaden“, erzählt Chris Magerl. So ist das Verhältnis zwischen Plays und Downloads „ziemlich krass“.

Neue musikalische Projekte
Chris Magerl arbeitet an mehreren Projekten, auch viele neue Songs sind am Entstehen, für eine EP, die im April 2016 veröffentlicht wird. Der Fokus wird da noch stärker als früher auf Graz liegen, insbesondere auf dem Annenviertel. Touren will er künftig nur mehr durch Österreich. Zwei- oder dreiwöchige Tourneen im Ausland wie mit seinen früheren Bands kann sich Chris Magerl im Moment nicht vorstellen. „Ich habe mittlerweile viele andere Lebensanteile, die es damals nicht gegeben hat.“ So erschien er zum Interview mit seiner Freundin und seinem Hund. Mit seinem 40-Stunden-Job als Sozialarbeiter und seiner Musik fühlt er sich ausgelastet.

Auf die Frage wie er seinen jetzigen Musikstil beschreiben würde, sagt er: „Ich bin Singer-Songwriter mit einem Punkhintergrund.“ Eine Rückkehr zum „Hardcore“ und wieder mit Bands zu proben, ist für den Musiker schwer vorstellbar. Er hat sich in den letzten Jahren daran gewöhnt, dass er flexibel probt und nicht an bestimmten Tagen zu festgelegten Zeiten im Proberaum stehen muss. Die Lust, wieder „Hardcore“ zu machen, ist dennoch manchmal da: „Aber meine Stimme würde das nicht mehr aushalten. Das ist, glaub’ ich, vorbei.“

Chris Magerl war unter anderem beim „Lendwirbel“ und bei „Styrian Sounds“ zu hören. Foto: Fabian Erlach

Wordrap
Musikalische Vorbilder…gibt es in dem Sinn nicht.

Musikalisch beeinflusst haben mich…Weakerthans, Kevin Devine, auch immer mehr Frank Turner, At the Drive-In, Refused.

Ich schreibe meine Songs auf Englisch, weil…ich mich wohler fühle mit der Sprache.

Deutschsprachige Musik finde ich…anspruchsvoll, wenn sie gut umgesetzt ist. Sie wird sehr schnell kitschig. Aber es gibt gute Interpreten auch.

Mit meinen Songs möchte ich…„mein Innerstes nach außen kehren“ klingt sehr kitschig. Aber ich möchte etwas aussagen, sonst würde ich es nicht machen und ich möchte Dinge zum Ausdruck bringen, die mich beschäftigen.

Innerhalb der nächsten fünf Jahre möchte ich…(überlegt) das weiß ich wirklich nicht.

 

[box]INFO: Hier kann der Song „Raise a Question“ gegen eine Spende in beliebiger Höhe heruntergeladen werden[/box]

Vertieft in die Medienwelt. Verrückt nach Musik. Mag Sprachen und Reisen. Bevorzugt Vegetarisches und liebt Kaffee.

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