Eine „Cloud“ im echten Leben

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Mit dem AllerLEIHLaden hat im Annenviertel eine Initiative Platz gefunden, die sich um Ressourcenschonung bemüht. Christian Sprung und Tibor Jermendy, zwei der vier GründerInnen, zeigen vor, wie der Konsum der Zukunft funktionieren könnte.

Chris und Tibor

Die Regale im Büro der Nachbarschaften am Andrä-Platz sind vollgeräumt. Von Werkzeug über Spiele, Küchengeräte, Schi, bis hin zu einer Sushimaschine findet man hier nützliche, aber auch skurrile Leihgegenstände. An den Wänden hängen große Plakate mit Wunschlisten. Der Katalog der Wünsche ist vielseitig: „A guate Nähmaschin“, wünscht sich einer; Hochzeitskleider, ein Lächeln, aber auch Leih-Omas werden gesucht. Um im AllerLEIHLaden  etwas auszuleihen, gibt es einen einfachen Drei-Punkte-Plan: reinkommen, Leihausweis abholen, ausborgen. Der Leihausweis und die damit verbundene Vereinsmitgliedschaft sind die Voraussetzungen zum Leihen.

Idee erntet Anerkennung

„Die Entwicklungen durch das Internet haben dem Leihen eine Renaissance verpasst“, glauben Chris und Tibor. Musik- und Videosammlungen könne man zwar in der Cloud mit anderen teilen. Für Werkzeug oder andere Dinge des täglichen Gebrauchs funktioniert das aber natürlich nicht so gut.

Bereits Anfang des Jahres hatten die vier Verantwortlichen daher die Idee, es den in Berlin oder Wien bereits gut funktionierenden Leihläden gleichzumachen. Im Mai 2015 war es dann endlich so weit. Im Rahmen des Lendwirbels fand die Eröffnung des AllerLEIHLadens statt.  Seit der Eröffnung hat sich einiges getan. Vor allem weil das Projekt im Oktober einen der drei Elevate Awards gewann. „Wir haben jetzt mehr Vereinsmitglieder, es wurde im Socialmedia-Bereich wesentlich mehr rumort, ab diesem Zeitpunkt wurden auch mehr Sachen ausgeliehen. Und das Fernsehen ist danach auch gekommen“, erzählt Tibor stolz über die Veränderungen im letzten Monat.

Die Öffentlichkeit auf das Projekt aufmerksam zu machen, war auch Ziel der Elevate Festival Organisatoren, die den AllerLEIHLaden unter die Finalistenprojekte für den Award gewählt haben. „Es ist ein Projekt, das im Alltagsleben ansetzt und dort aktiv für Kooperation und das Teilen von Gegenständen eintritt. Das finden wir gut“, sagt Elevate-Gründer Daniel Erlacher. Ähnlicher Meinung ist auch die Grüne Stadträtin für Kultur, Umwelt und Gesundheit der Stadt Graz, Lisa Rücker. Sie ist selbst Mitglied und möchte die Möglichkeit des Teilens in Zukunft noch mehr nutzen. „Es geht immer darum, wie man morgen in dieser Stadt leben will. Wir wissen, dass die Wachstumsgesellschaft an ihre Grenzen gerät. Ewiger Konsum hat nicht zum Ergebnis, dass jeder glücklich ist.“

Viel mehr als nur ein Leihladen

Während man sich im Laden aufhält, spürt man die Verbundenheit zur Nachbarschaft. Ein Mann geht am großen Schaufenster vorbei und winkt. Er öffnet die Tür und fragt mit freundlicher Stimme, ob alles in Ordnung ist. „Das ist normal hier, wir kennen uns alle“, meint Tibor. Dass der AllerLEIHLaden in den Räumen des Büros der Nachbarschaften untergebracht ist, sei ein großer Vorteil: „Den Standort gibt es schon lange, so ist man mit den Leuten in Kontakt. Vertrauen gibt es schon und wir sind keine Fremdkörper im Viertel.“

Chris und Tibor haben sichtlich Spaß bei der „Arbeit“.
Chris und Tibor haben sichtlich Spaß bei der „Arbeit“.

Die vom AllerLEIH-Team erhobenen Statistiken zeigen, dass die typische Besucherin eine Frau zwischen 20 und 30 Jahren ist und in Gries oder Lend lebt. Mittlerweile zählt der Leihladen mehr als 70 Mitglieder, jeder und jede von ihnen mit anderen Erwartungen. „Es gibt Leute, die – vor allem auf Facebook – sagen, dass das Projekt cool ist. Und es gibt jene, die von der Idee überzeugt sind und wirklich vorbeikommen und leihen oder etwas bringen“, stellt Tibor immer wieder fest. „Wir hatten auch schon Leute, die ihren Keller entrümpeln und nicht zur Sperrmüllsammlung fahren wollten.“ Aber egal ob AllgemeinmedizinerIn oder BauarbeiterIn, die NutzerInnen des Leihladens sind eben genauso vielschichtig und vielseitig wie das Angebot. Ein paar mehr könnten es aber freilich noch werden.

Das Lieblingsstück der LeiherInnen: die Bohrmaschine, mit persönlicher Anleitung.
Das Lieblingsstück der LeiherInnen: die Bohrmaschine, mit persönlicher Anleitung.

Zukunftsmusik

„Es ist wie in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, als nur wenige im Dorf eine Sense hatten und es normal war, dass Nachbarinnen und Nachbarn sie sich ausborgten.“ Damit fasst Tibor Sharing als Praxis zusammen, die heute und in Zukunft wieder größere Bedeutung bekomme. Lisa Rücker ist davon überzeugt, dass diese Art zu „konsumieren“ die Zukunft ist. „Es machen auch schon viele ein Geschäft damit. Beim Allerleihladen wissen wir aber, dass das auf gemeinnütziger Basis passiert. Es geht um den Mehrwert, den die Gesellschaft hat und nicht nur das individuelle Interesse.“

Genau hier liegt aber das Problem. Denn es fehlt den BetreiberInnen des AllerLEIHLadens an Ressourcen. Obwohl Chris auch im Büro der Nachbarschaften tätig und somit vor Ort ist, können sie es nicht leisten, den Laden von Dienstag bis Donnerstag länger als drei Stunden am Tag offenzuhalten. Die MitarbeiterInnen sind alle voll beschäftigt und haben teilweise 60-Stunden-Wochen zu bewältigen. Aber sie nehmen die Mühe gerne auf sich, denn einer ihrer Zukunftswünsche ist es, „mit dem Leihladen noch mehr Menschen glücklich zu machen.“

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Der AllerLEIHLaden steht zur Wahl des „Steirer Newcomer des Jahres“  beim Kleine Zeitung Voting.

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Trägt das Herz auf der Zunge, Reden ist eine ihrer größten Leidenschaften. Die Exilkärntnerin verliebt sich jeden Tag aufs Neue in ihre aktuelle Heimatstadt. Von der Wanderlust getrieben, findet man die Perfektionistin jedoch regelmäßig auf "ihren" Kärntner Bergen und allen interessanten Orten dieser Welt.

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