Vom Kriegsgebiet ins Annenviertel

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Der Journalist Nabeel Taha ist 31 Jahre alt, stammt aus dem Irak und ist nach fast zweimonatiger Flucht vergangenen Mai in Österreich angekommen. Uns hat er geschildert, warum er seine Heimat verlassen musste und wie es ihn nach Österreich verschlug.

Nabeel Taha und sein Freund und Übersetzer
Nabeel Taha und sein Freund und Übersetzer Sabri

Zum Gespräch wird Nabeel Taha, der seit Mai letzten Jahres in Graz lebt, von seinem Freund, er nennt sich Sabri, begleitet. Die beiden haben sich in Graz kennengelernt. Sabri lebt bereits seit 20 Jahren in Österreich und wird Nabeels Geschichte übersetzen – eine Geschichte von Krieg und Terror und der Hoffnung auf ein besseres Leben. Ab und an schält sich ein vertraut klingendes Wort – der Name einer Stadt, „Kalaschnikow“ oder „Daesh“ –  aus der arabischen Erzählung Nabeels. Wenn Nabeel spricht lässt er sich nichts anmerken. Er erzählt von den Ereignissen der vergangenen Monate, als wäre es die Geschichte eines anderen. Erst nach einiger Zeit legt Nabeel die vielleicht auch berufsbedingte Objektivität ab und schildert das Geschehene aus seiner Perspektive:

Nabeel stammt aus der rund 160 km von Bagdad entfernten Stadt Tikrit, der Hauptstadt der Provinz Salah ad-Din. Nach der Matura beginnt er ein Studium am Mediacollege in Bagdad. In seiner Freizeit arbeitet er für einen Radiosender, der von den US-Marines unterstützt wird. Gemeinsam mit seinen Kollegen berichtet Nabeel über den „Neuen Irak“, über Projekte zum Wiederaufbau des Landes. Nachdem die Truppen der USA aus dem Irak abziehen, wird der Radiosender jedoch geschlossen, alle diese „schönen“ Nachrichten über den vermeintlichen Wiederaufbau finden ein plötzliches Ende. Da es danach immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen bewaffneten Gruppen kommt, muss Nabeel auch sein Studium abbrechen.

Auf der Suche nach einem Job findet er eine Anstellung beim Fernsehsender „Alsumaria“ in Bagdad, für den er als Korrespondent aus Tikrit Reportagen über Politik,  Wirtschaft und Kunst produziert. Da sein Vorgänger aus politischen Gründen getötet wurde, arbeitet Nabeel unter falschem Namen und darf sein Gesicht nicht vor der Kamera zeigen. Auch als der Islamische Staat immer größere Regionen des Irak unter seine Kontrolle bringt, arbeitet Nabeel weiter als Korrespondent. Bis er schließlich einen Drohanruf bekommt. Aus Angst um ihren Sohn bewegen Nabeels Eltern ihn dazu, seine Arbeit nicht weiter fortzuführen.

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Nabeel im Büro seines Radiosenders (© Nabeel Taha)

Gemeinsam mit Freunden gründet Nabeel schließlich 2013 einen eigenen lokalen Radiosender in Tikrit. Musik, Kultur, Nachrichten aus der Region und dem ganzen Irak – dieses „weltoffene“ Programm entspricht jedoch nicht den Vorstellungen der religiösen Extremisten der Provinz. Immer wieder stören sie das Signal, um auf dieser Frequenz anstelle der Musik Koransuren zu senden. Sie sind der Ansicht, Nabeels Radio sei eine Gefahr für die gläubige Gesellschaft. Zusätzlich beginnt im Juni 2014 auch der IS die Provinz Salah ad-Din zu bombardieren.

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Auch Regierungsmitglieder besuchen die Eröffnung der Ausstellung. (© Nabeel Taha)

Anfang Februar 2015 organisiert Nabeel, der neben seiner Tätigkeit als Radiojournalist auch Theater schreibt und Karikaturen zeichnet, eine Ausstellung in Balad, einige Kilometer südlich von Tikrit. Viele Besucher, darunter auch Angehörige des Parlaments in Bagdad, kommen, um seine Karikaturen zu sehen. Mit diesen übt Nabeel jedoch Kritik an jenen Extremisten, die ihre oft unmenschlichen Taten mit der Religion zu rechtfertigen versuchen. Diese Kritik wird sich nur kurze Zeit später als Fehler herausstellen.

1. Februar 2015 – Nabeel ist alleine im Büro seines Radiosenders. Ein Terrorist stürmt das Gebäude, setzt ihm eine Waffe an den Kopf und verlangt von Nabeel, seine Arbeit zu beenden. Nur eine Woche später bekommt Nabeel auch einen Drohbrief. Für ihn wird klar, er muss Tikrit verlassen.

Gemeinsam mit seiner Familie flüchtet Nabeel nach Bagdad. Da jedoch auch die Hauptstadt des Iraks nicht von Unruhen verschont bleibt, begibt sich die Familie in die kurdische Hauptstadt Erbil und reist von dort weiter nach Dohuk, eine Stadt im Nordirak nahe der türkischen Grenze. Ein Verwandter der Familie verkauft ihr Grundstück in Tikrit, natürlich um einen Bruchteil dessen, was es eigentlich wert gewesen wäre. Mit einem Teil des Geldes fliegt Nabeel nach Istanbul, nachdem seine Mutter ihn dazu aufgefordert hat, den Irak zu verlassen.

Die Flucht
In Istanbul angekommen bringt ein Bekannter Nabeel nach Bodrum. Am nächsten Tag fährt er nach Izmir und kontaktiert dort einen Schlepper. Dieser verlangt 1.500 Dollar von Nabeel und bringt ihn zu einem kleinen Haus, wo bereits 45 weitere Personen warten. Männer, Frauen und Kinder aus Syrien, dem Iran, dem Irak und aus Nigeria. Der Schlepper bringt die Gruppe zum Strand. Es ist kalt, Nabeel kann die Lichter auf der griechischen Seite sehen. Um Mitternacht starten die rund 60 Personen ihre Überfahrt in einem acht Meter langen Schlauchboot.  45 Minuten dauert es, dann erreichen sie die griechische Küste, so hat es zumindest der Schlepper versprochen, der natürlich zurückgeblieben ist. Nach zwei Stunden Fahrt, auf der Hälfte des Weges, füllt das Boot sich immer mehr mit Wasser. „Ich dachte, das wäre mein Ende. Ich überlegte mir, weiter zu schwimmen. Ich wusste jedoch, dass die Kinder, die im Boot mit mir saßen, es nicht schaffen würden, ans Ufer zu schwimmen. Warum sollte ich gehen, wenn sie keine andere Wahl haben, als im Boot zu bleiben?“, beschreibt Nabeel die Situation. Er bleibt also im Boot, das sich immer mehr und mehr mit Wasser füllt und immer langsamer vorankommt. Doch die Gruppe hat Glück. Ein griechisches Rettungsboot zieht sie an den Strand. „Ein neues Leben beginnt!“, denkt Nabeel.

Nach drei Tagen in einem Flüchtlingscamp auf Kos reist Nabeel weiter nach Athen, Thessaloniki und schließlich nach Mazedonien. Von dort macht er sich mit einer Gruppe von 50 Personen und zwei jungen Schleppern auf den Weg nach Serbien. Nach langen Fußmärschen gelangt Nabeel in eine kleine serbische Stadt, von der aus er mit dem Zug nach Belgrad fährt.

Weiter geht seine Reise in Richtung Ungarn im Auto eines weiteren Schleppers. Oder besser gesagt in einem Kleinbus ohne Sitze, zusammengepfercht mit dutzenden anderen Flüchtlingen. Auf dem Weg wird das Auto von der serbischen Polizei aufgehalten, 250€ pro Person lösen jedoch dieses Problem. In der Nähe der ungarischen Grenze muss die Gruppe zu Fuß weiter. Nach einer Stunde wird sie wieder von der Polizei aufgehalten, diesmal müssen alle jedoch zurück nach Belgrad.

Nabeel startet einen erneuten Versuch, nach Ungarn zu gelangen. Wieder bringt ihn ein Auto in Richtung Ungarn, wieder wird er von der serbischen Polizei aufgehalten und wieder muss Nabeel 250€ bezahlen. Nach vier Stunden Fußmarsch lassen die Schlepper die Flüchtlinge mitten in einem Wald im Stich und verschwinden. Nabeel und die anderen übernachten bei eisigen Temperaturen im Wald, um am nächsten Tag zu Fuß in die ungarische Stadt Szeged zu gelangen. Dort angekommen wird Nabeel von der ungarischen Polizei aufgegriffen und auf das Präsidium gebracht. Um Nabeel zu registrieren, will die Polizei seinen Fingerabdruck nehmen. Aus Angst in Belgien, seinem eigentlichen Ziel, abgewiesen zu werden und auf Grund des Schengen Abkommens zurück nach Ungarn zu müssen, verweigert er dies. Nach Schlägen der Polizei und 20 Tagen im ungarischen Gefängnis wird Nabeel wieder der serbischen Polizei übergeben.

Nabeels Fluchtroute nach Österreich (© Google Maps)

Doch Nabeel gibt nicht auf, er will seine Reise fortsetzen und findet schließlich einen Schlepper, der ihn für „nur“ 1.700€ nach Österreich bringen sollte. Nach einem vierstündigen Fußmarsch und einer schier nicht enden wollenden Fahrt in einem Kleinbus, ohne Sitze versteht sich, gelangt Nabeel tatsächlich nach Wien. Insgesamt kostet ihn die Flucht über 7.000€, die er an Schlepper zahlte.

Nach einiger Zeit in einem Flüchtlingslager in Salzburg und einem Monat in Linz bekommt Nabeel die „weiße Karte“. Diese dokumentiert, dass Flüchtlinge während der Dauer des Asylverfahrens sich in Österreich aufhalten dürfen. Nun wohnt er seit drei Monaten im Grazer Annenviertel.

Das Leben in Österreich
Eine Antwort auf sein Asylansuchen hat Nabeel noch nicht, genauso wenig einen Platz in einem Deutschkurs, da diese derzeit völlig ausgebucht sind.  Ein Freund von Nabeel, der ihn hin und wieder als Übersetzer unterstützt, will ihm in Zukunft Deutsch beibringen.

Nabeel nimmt sich für die Zukunft viel vor. Er möchte ein kürzlich geschriebenes Theaterstück in Zusammenarbeit mit dem Forum Stadtpark aufführen. Darin behandelt er das leidvolle Leben im Irak und seinen Weg aus dem Kriegsterror nach Österreich. Außerdem will er sein Studium beenden. Aber vor allem will er helfen. Nabeel will anderen Flüchtlingen, deren bisheriges Leben von religiöser Intoleranz geprägt war, helfen umzudenken, um ein gutes Zusammenleben zu ermöglichen.

Interessiert an fast allem und stets offen für Neues liebt Angela es, die Welt zu erkunden. Ob ihr weiterer Lebensweg sie ins Ausland führt oder nicht, steht derzeit noch in den Sternen.

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