Der Widerspruch im Feminismus

Lesezeit: 4 Minuten
Das Kopftuch wird mit sozialen und politischen Themen in Verbindung gebracht. Oft wird aber vergessen, dass es sich dabei nur um ein Stück Stoff handelt, das aus den verschiedensten Gründen als Kopfbedeckung genutzt wird. Diesen Gedanken führt Autorin und Journalistin Petra Stuiber in ihrem Buch fort.

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Verschleierte Frau im Alltag

Langsam füllt sich der kleine Saal. Obwohl die Veranstaltung vom Frauenservice öffentlich ist und alle Interessierten eingeladen waren, haben sich nur weibliche Gäste auf den Weg ins Infocafé palaver am Lendplatz gemacht. Die Menge wartet sehnsüchtig darauf, dass die Autorin sich nach vorne stellt und präsentiert. Es wird geredet und gelacht, bis die Moderatorin um Aufmerksamkeit bittet. Der Vortrag beginnt.

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Petra Stuiber mit ihrem Buch „Kopftuchfrauen“

Petra Stuiber hat am 11.Mai 2016 ihr Buch „Kopftuchfrauen“ präsentiert und anschließend zu einer Diskussion eingeladen. In ihrem Buch hat sie zehn Frauen mit Kopftuch porträtiert, die sich aus den verschiedensten Motiven verschleiern. Die eine bedeckt ihr Haar aus religiösen Gründen, die Nächste sieht es als Modestatement und wiederum eine andere trägt es, während sie sich der Chemotherapie unterzieht. Damit soll mehr Verständnis für die Entscheidung dieser Frauen entstehen. Gleichzeitig sollen die Konnotationen, die mit dem Kopftuch in Verbindung stehen, verloren gehen.

Zum Schreiben hat sie eine Erfahrung in ihrem Beruf bei der Tageszeitung Der Standard angetrieben. Im redaktionseigenen Fotoarchiv erschienen früher unter dem Suchbegriff „Kopftuch“ nur Hausfrauen in Alltagssituationen. Von verschleierten Musliminnen im Arbeitsleben war keine Spur. Dabei ließ sich in den letzten Jahren ein deutlicher Bildungsaufstieg bei Frauen mit Migrationshintergrund kennzeichnen: Laut der Medienservicestelle haben Kinder aus Einwandererfamilien einen höheren akademischen Grad als ihre Eltern.

Zukunftsängste wegen Bekleidung
Dieser Bildungsaufstieg macht sich zum Beispiel bei der jungen Muslimin Sarah Mohamed aus Graz bemerkbar. Die Studentin mit ägyptischen Wurzeln hat sich in ihrer Jugend aus religiösen Gründen dazu entschlossen, das Kopftuch zu tragen. Wie auch einige andere verschleierte Frauen hat sie die Sorge, dadurch am Arbeitsmarkt benachteiligt zu werden. Trotzdem blickt sie zuversichtlich in die Zukunft: „Ich sehe es viel mehr als eine Herausforderung, der ich mich selbstbewusst stellen will. Niemand sollte auf die ethnische oder religiöse Zugehörigkeit reduziert werden.“

Diskriminierung und Beleidigungen im öffentlichen Raum seien ebenfalls eine große Last, die verschleierte Frauen mit sich tragen. Das hat auch Renate Kaufmann, die von Stuiber porträtiert wird, am eigenen Leib erlebt. Die ehemalige Bezirksvorstehende des sechsten Wiener Bezirkes Mariahilf sah sich, nachdem sie an Krebs erkrankte und durch die Chemotherapie ihr Haar verlor, dazu gezwungen, ihren Kopf zu bedecken. Da sie somit auf der Straße nicht mehr erkannt wurde, wurde sie unter der Vermutung eine verschleierte Muslima zu sein, oft zur Zielscheibe negativer Kommentare. Beleidigungen wie „Schleiereule“, aber auch schiefe Blicke in der Öffentlichkeit wurden zu ihrem Alltag. Das Positive an der Sache, betont Stuiber, ist, dass diese Erfahrung sie dazu bewegte, sich politisch mehr für alle Frauen einzusetzen und sie zu stärken.

Feministische Zwickmühle
Die lebhafte Lesung neigt sich dem Ende zu, die Fragerunde wird eingeleitet. Eine Dame gibt zu bedenken, dass nicht alle Frauen tatsächlich aus eigener Überzeugung ihr Haar bedecken und manchmal Unterdrückung im Spiel ist. Stuiber erklärt, dass sich die feministische Debatte am Kopftuch entzweit hat. Einerseits gilt die Sorge, dass es dazu instrumentalisiert wird, um Frauen in ihrer Freiheit einzuschränken, andererseits soll auch jede Frau für sich selbst bestimmen können, wie sie sich kleiden möchte. Sich also komplett für oder gegen den Schleier auszusprechen, würde immer eine Gruppe benachteiligen – insofern widersprechen sich Frauenrechtler und Frauenrechtlerinnen bei Diskussionen rund um dieses Thema. Gesetzlichen Maßnahmen steht Stuiber kritisch gegenüber – dass in Frankreich ein Kopftuchverbot an allen öffentlichen Institutionen gilt, sei aus feministischer Sicht kontraproduktiv. Dadurch sind nämlich ebenjene Frauen benachteiligt, die ohne Einfluss von außen den Schleier tragen möchten. In Österreich möchte FPÖ-Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer ähnlich wie in Frankreich ein Verbot im öffentlichen Raum einführen. „Die Burka ist für mich ein Symbol der Unterdrückung der Frau- das Kopftuch ebenso“, ließ er in einem ORF-Report-Interview wissen.

Eine verschleierte Frau stellt die Frage in den Raum, warum es bei christlichen Nonnen als normal angesehen wird, wenn sie sich bedecken, bei Musliminnen dabei aber sofort eine Debatte zu Frauenrechten entfacht. Antworten kann darauf niemand.

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Diskussionsrunde nach der Lesung

Unterdrückte Frau, lustgetriebener Mann
Die derzeitige Stimmung in der Politik zum Thema islamisches Kopftuch, so Stuiber, sei sehr alarmierend. „Es wird wahnsinnig viel über Integration geredet, aber auf Bundesebene wenig getan. Wir sind eher dabei Vorurteile zu schüren. Ich habe beim Integrationsminister, ohne ihm etwas unterstellen zu wollen, eher das Gefühl, dass er gegen das Kopftuch arbeitet.“ Dass Kopftuchträgerinnen durch die Flüchtlingsströme und derzeit zunehmende Popularität der FPÖ erst recht mehr in die gesellschaftliche Außenseiterrolle rücken, bezweifelt Stuiber. Nach den Ereignissen in Köln zu Silvester liegt der politische und mediale Fokus auf den männlichen Flüchtlingen, denen pauschal unterstellt wird, nach Europa zu kommen, um Frauen zu vergewaltigen. Um solchen Vorurteilen ein Ende zu setzen, sei der Dialog essentiell. Dieser fördert die Integration und vermeidet die Entwicklung von isolierten Parallelgesellschaften. Der Verein Frauenservice bietet aus diesem Anlass regelmäßige multikulturelle Treffen an, in denen alle Teilnehmerinnen ihre Kulturen vorstellen und voneinander profitieren können, während sie die deutsche Sprache erlernen.

Keine Hände gehen mehr in die Höhe. Es scheint, als wurden alle Fragen bereits gestellt. Stuiber bedankt sich für den Empfang. Binnen Sekunden ist der Saal wieder leer. Vor dem palaver haben sich einige Frauen zum Weiterdiskutieren versammelt. Letztendlich bleibt aber Stuibers Gedankenanstoß deutlich:

„Es ist einfach nicht angebracht, eine Frau immer darüber zu definieren, wie sie sich kleidet. Macht uns das denn wirklich aus?“

 

[box]Der Verein Frauenservice setzt sich für die Autonomie, Selbstbestimmung und Existenzsicherung von Frauen ein. Im dazugehörigen Infocafé palaver finden regelmäßig Veranstaltungen statt, von denen Frauen kostenlos profitieren können.[/box]

 

Wenn sie nicht gerade schief singt, schaut sie vermutlich eine ihrer vielen Lieblingsserien. Ganz nebenbei regiert sie als #queenanna.

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