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„Vielleicht bin ich nur ein Schmetterling“

Lesezeit: 5 Minuten
Fred Ohenhen, der dieser Tage seinen 50. Geburtstag feiert, über die Stimmung im Land, seine Zukunft in der Politik und warum er Toleranz nicht leiden kann.

„Es geht nicht um Musik, es geht um Freundschaft“, erklärt Ohenhen jenen, die das Projekt IKU als Trommelworkshop bezeichnen

Es ist ein regnerischer Tag und die Verabredung am Schlossberg ist ins Wasser gefallen. Fred Ohenhen, der auch bei schönem Wetter von der Idee, das Interview draußen zu führen, belustigt war, lädt daher in sein Büro in der Annenstraße ein. Dort angekommen sticht ein kleines, gelbes Schild zwischen all den Kinderfotos und Zeichnungen auf den Wänden ins Auge: „Bevor ich mich jetzt aufrege, ist es mir lieber egal!“ steht darauf. Mit einem gewaltigen Grinsen sitzt der gebürtige Nigerianer, der nun schon mehr als sein halbes Leben in Österreich verbringt, darunter und bietet etwas zu trinken an. Seit 1999 arbeitet er mit dem Projekt IKU (Edo für „Spielend erleben“) von der ISOP Graz an interkulturellem Verständnis. Bekannt ist er vor allem für Workshops mit Kindergarten- und Schulkindern; aber auch mit Erwachsenen, wie zum Beispiel PolizistInnen, arbeitet er am Abbau von Vorurteilen.

Annenpost: In Ihrem Buch „Ein Leben, zwei Welten“ finden sich viele afrikanische Sprichwörter. Kann eines Ihre momentane Lebenssituation beschreiben?
Fred Ohenhen: Ich sehe mich oft als Vogel, doch dann denke ich, nur weil ich fliegen kann, heißt das noch lange nicht, dass ich ein Vogel bin. Vielleicht bin ich nur ein Schmetterling. Das merke ich in Zeiten kurz vor der Wahl – die Aggressivität der Menschen, aufgrund der Hautfarbe oder des Andersseins, macht mich deppert. Jeder sagt zwar, wir wären alle gleich, aber ich denke, es gibt doch Menschen, die gleicher sind als andere. Manche sind anscheinend Vögel und manche Schmetterlinge.

Sie mögen den Begriff Toleranz zwar nicht – aber meinen Sie, die Gesellschaft entwickelt sich weiter?
Ohenhen: Sie haben wirklich mein Buch gelesen, sehr gut! Ja, ich glaube schon. Es wäre schade zu behaupten, die Zeiten sind wie in den 90ern. Aber es geht nicht um Toleranz, ums Geduldet-Sein. Es geht um Akzeptanz. Ich frage die Menschen oft: Was ist Integration? Dass ich die Sprache lerne? Dass ich mich unauffällig benehme? Die Sprache hilft einem ganz bestimmt, seine Ziele zu verfolgen, aber ich will auch frei sein in dem Land, so wie der Vogel. Ich will nicht immer aufpassen müssen oder beobachtet werden.

Wie geht es Ihnen dabei mit der medialen Aufmerksamkeit? In der Steiermark sind Sie ja bekannt, da Sie oft zu Themen wie Migration und Integration befragt werden.
Ohenhen: Ich bin seit über zwanzig Jahren im Bereich Integration tätig und falle selten negativ auf, deswegen bin ich, denke ich, ein gutes Beispiel für die Medien. Das ist eine Ehre, aber ich darf auch nichts Unüberlegtes, Deppertes machen. Dieser Druck, dieser Stress nicht aufzufallen, ist schon ein schwerer Rucksack.

Sie haben, um die österreichische Staatsbürgerschaft zu bekommen, die nigerianische ablegen müssen. War dieser Schritt von Bedeutung für Sie?
Ohenhen: Ich hatte eine Freundin und wusste, dass ich sie heiraten wollte. Mir war es aber wichtig, vor der Hochzeit die Staatsbürgerschaft zu haben. Unter anderem, damit mir nicht nachgesagt würde, ich nütze die Frauen hier aus – das war zu dieser Zeit nämlich ein häufiger Vorwurf männlichen Migranten gegenüber. Nigeria bleibt weiterhin ein Teil von mir, aber ich bin auch sehr gerne Österreicher.

Gibt es Situationen, in denen Sie mit der österreichischen Kultur Schwierigkeiten haben?
Ohenhen: Manchmal macht es noch einen kleinen Klick bei mir, wenn mich Jüngere „Fred“ nennen. In Nigeria würden sie „Brother Fred“ oder „Onkel Fred“ sagen. Nur „Fred“ ist für mich nicht normal, aber ich akzeptiere das, weil ich weiß, dass das in Österreich so gemacht wird.

Was ist mit „Herr Ohenhen“?
Ohenhen: „Herr Ohenhen“ ist zwar respektvoll, aber es zeugt auch von Distanz. „Brother Fred“ signalisiert, dass wir verbunden sind.

Glauben Sie, die Europäerinnen und Europäer sind heutzutage gut aufgeklärt über Afrika?
Ohenhen: Die Kinder beim IKU-Projekt bekommen von uns Hausaufgaben, eine davon war ein afrikanisches Haus zu zeichnen. So gut wie alle malten Lehmhäuser. Wir dachten uns, vielleicht glauben die Eltern, wir erwarten das. Deswegen haben wir die Aufgabe mittlerweile geändert: Es gibt acht Häuser, drei aus Lehm und fünf moderne. Die Kinder sollen ankreuzen, welche Häuser in Afrika vorkommen. Und noch immer kreuzen die meisten nur Lehmhäuser an! Die Bilder in den Köpfen sind immer noch gleich.

Zweifeln Sie dann an Ihrer Arbeit?
Ohenhen: Sicher zweifle ich, die Leute denken nicht nach. Sie glauben, ich will das sehen, obwohl ich gegen Vorurteile arbeite. Also, irgendwas muss ich falsch machen.

Was sagen Sie zur Flüchtlingssituation?
Ohenhen: Ich verstehe die Österreicher, die Angst haben, aber ich verstehe auch die Flüchtlinge. Würde ich aus einer Krisenregion kommen, würde ich auch flüchten, denn ich habe das Recht zu leben. Ich glaube auch nicht, dass Österreich allein dieses Problem lösen kann. Aber Europa ist reich genug, um diese Situation zu meistern.

Finden Sie, die österreichische Politik agiert momentan herzlos?
Ohenhen: Ja, das kann man ganz deutlich und ehrlich sagen. Obergrenze – Entschuldigung? Damit sagen wir den Leuten, dass es egal ist, ob sie im Krieg sterben. Diese Menschen brauchen Hilfe und Europa hat die Pflicht, sie zu gewährleisten. Das ist ein festgeschriebenes Menschenrecht. Die Politiker denken nur an die Wähler und orientieren sich immer stärker nach rechts. Das ist sehr schade für ein Land wie Österreich. Vorher hat es geheißen, wir schaffen das gemeinsam, und jetzt hat sich alles um 180 Grad geändert.

Apropos Politik, haben Sie immer noch vor, Politiker zu werden?
Ohenhen: Ich bin Österreicher, Grazer, und es ist meine Pflicht, meinem Land und meiner Stadt zu dienen. Ich sage jetzt wir, wir Migrantinnen und Migranten, betonen immer, dass wir Partizipation an der Gesellschaft wollen und das vertrete ich auch. Also sollte ich auch in die Politik gehen, wenn ich die Chance bekomme. Ich frage mich nur, ob die Politik oder die Gesellschaft für einen Menschen wie mich bereit ist. Wie gesagt, durch meine Arbeit kennen mich viele, das ist mir auch manchmal zu viel. Aber ich möchte, bevor ich in die Pension gehe, doch in die Politik gehen! Ich weiß zwar noch nicht, wann und bei welcher Partei, es haben mich bisher drei gefragt, aber ich glaube, ich habe noch ein bisschen Zeit.

Mit welcher Parteilinie könnten Sie sich am ehesten identifizieren?
Ohenhen: Das möchte ich jetzt noch nicht preisgeben. Ich muss auch erst überlegen, ob Stadt oder Land. Wenn ich Politik mache, dann nicht, damit eine Person mit dunkler Haut dabei ist. Ich will kein Quotenmigrant sein, das ist mir zu schade um meine Person und meine Hautfarbe. Wenn ich in die Politik gehe, will ich durch Taten auffallen. Denn bevor ich damit nichts vorantreibe, mache ich einfach meine Arbeit weiter. Die ist auch Politik, auf meine Art! Ich will ja niemanden überzeugen, aber ich arbeite für ein gutes Zusammenleben in dieser Gesellschaft, weil ich hier zuhause bin. Bevor ich in die Politik gehe und eine Marionette für alle werde, bleibe ich da wo ich bin.

Das Interview wurde am 18.04.2016 geführt.

Mehr über Fred Ohenhen im Annenpost-Archiv.

Immer einen Song auf den Lippen, immer Schwung in den Hüften, nicht auf den Mund gefallen. Melanie wird lieber kurz "Mel" genannt und hat als Globetrotterin nie genug von der Welt gesehen.

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