Mürzzuschlag setzt um, was viele in Graz schon lange fordern: die Namensänderung der Kernstockgasse. Doch eine Kommission, die nur “alle heiligen Zeiten” tagt, PolitikerInnen aus dem rechten Lager und unwissende Anrainer verzögern die Umbenennung seit Jahren.
„Der Name steht für eine Tradition, die nicht gut ist.“ Mit dieser Meinung über den deutschnationalen „Priester-Dichter“ Ottokar Kernstock steht der Germanist und Universitätsarchivar Uwe Baur nicht alleine da. Die jüngst beschlossene Umbenennung der Kernstockgasse in Mürzzuschlag wirft die Frage auf, warum in der Obersteiermark geht, worüber in Graz seit Jahren nur diskutiert wird.
„Kernstock war ein Nazi“ steht in großer schwarzer Schrift entlang der Kernstockgasse, an Mauern, an Stromkästen. Tatsächlich starb Kernstock bereits 1928, lange vor dem Anschluss Österreichs und der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, blieb aber als Dichter des “Hakenkreuzliedes” in Erinnerung. Bekanntheit erlangte der im slowenischen Maribor geborene Priester durch seine anti-slawischen und deutschnationalen Gedichte im konservativen Bürgertum, in dem er sich bald durch seine romantisierend-rückwärtsgewandte Lyrik als gern gesehener Gelegenheitsdichter etablierte.
Uwe Baurs Geschmack trifft er damit jedenfalls nicht. Als „einfach grauslich“ bezeichnet der Archivar der Karl-Franzens-Universität die Werke Kernstocks: „Reine Hetzschriften, wahre Spiegelbilder seines menschenverachtenden Weltbildes.“ Der Germanist hatte 2012 für die damalige “Kernstock-Kapelle” in Pöllau, bekannt für ihre Auftritte in alten Fuhrmannstrachten, ein Gutachten geschrieben, das schließlich zur einstimmigen Umbenennung führte. Heute heißt sie einfach “Musikkapelle”.
Ähnlich wie Baur sieht dies die Grüne-Gemeinderatsabgeordnete Daniela Grabe. Sie brachte bereits vor zwei Jahren den Antrag auf Umbenennung der Straße ein, der seitdem von einer eigens eingesetzten „EKSN” (ExpertenInnenkommission für „Straßennamen”) unter der Leitung des Historikers Stefan Karner behandelt wird. Für Grabe nichts weiter als eine Verzögerungstaktik, die Kommission muss sich schließlich durch alle nach Personen benannten Grazer Straßennamen forschen. Grabe habe auch gehört, dass diese Kommission “nur alle heiligen Zeiten”, maximal drei Mal im Jahr, tage. Dass deshalb die ersten Ergebnisse noch bis 2017 auf sich warten lassen, kritisiert auch der Historiker Heimo Halbrainer in einem öffentlichen Facebook Posting: „In Graz wird es seit langem gefordert. In Mürzzuschlag wird es umgesetzt.” Obwohl Halbrainer selbst der Kommission angehört, findet er harte Worte für sie: „In Graz hat der Bürgermeister eine Kommission eingesetzt, die alle Namen prüft und prüft und prüft und vor lauter Namen die Nazis nicht mehr sieht.”
Es gab auch schon (weniger legale) Versuche, die Gasse umzubenennen. 2014 wurde die Kernstockgasse im Rahmen einer Blitzaktion in Kurt-Cobain-Gasse umbenannt, unter der man sie auch heute noch auf Google Maps finden kann. In anderen Teilen Österreichs ist der Versuch, einen nach Kernstock benannten Ort umzubenennen, bereits geglückt. So zum Beispiel die Kernstockschule in Hartberg, der Kernstockplatz in Wien oder nun auch die Kernstockgasse in Mürzzuschlag. Warum zieht Graz nicht nach?
Die Stadt hat in der Vergangenheit die Kosten einer Umbenennung als Argument dagegen angeführt. Andere argumentieren – wenig überraschend – ideologischer: die freischlagende Sängerschaft „Gothia“ mit Sitz in der Leonhardstraße etwa, der auch Kernstock einst als Ehrenmitglied angehörte. „Wenn man den Namen Kernstock aus der Gasse streicht, dann muss man auch die Hymne der ersten Republik, die von ihm verfasst wurde, aus den Geschichtsbüchern streichen“, so der „Gothe“ Rudolf Jauschowetz, der als FPÖ-Gemeinderat in Pinkafeld tätig war und sich selbst als “väterlichen Freund” des blauen Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer bezeichnet.
Auch in der Kernstockgasse selbst fehlt es an Aufklärung. Hier weiß kaum jemand über den umstrittenen Namensgeber und dessen Geschichte bescheid. Weder in der Altkatholischen Pfarre noch im Büro der Nachbarschaften verfügen die befragten BewohnerInnen über Wissen hinsichtlich Kernstocks Wirken. Die Graffitis in der Gasse zeugen aber davon, dass sich einige Anrainer doch hartnäckig weigern, über die Vergangenheit Kernstocks hinwegzusehen.
[box] Alle österreichischen Plätze, Gassen, Straßen die nach Kernstock benannt sind findet man auf der Kernstockkarte. [/box]Text: Ramona Arzberger, Judith Brossmann, Leonhard Doppler
[…] Die „Annenpost“ ruft in Erinnerung, dass es in Graz noch immer eine Kernstockgasse gibt, über deren Umbenennung seit Jahren folgenlos diskutiert wird. Dazu hat man mit dem Germanisten Uwe Baur von der Uni Graz gesprochen, der Kernstocks Werk als „Reine Hetzschriften, wahre Spiegelbilder seines menschenverachtenden Weltbildes.“ einschätzt. […]