Die Kopftuch-Querulantin

Lesezeit: 4 Minuten

Helga Suleiman ist Deutschlehrerin am Berufsförderungsinstitut Steiermark und lehnt sich gegen das Kopftuchverbot am Arbeitsplatz auf. Ein Gespräch über Religion und Arbeit.

Helga Suleiman und Khatera Sadr
Khatera Sadr (links), Obfrau des Vereins SOMM, und Helga Suleiman (rechts). Foto: Julia Maierl

Bei einem Treffen im Verein SOMM (Selbstorganisation von und für Migrantinnen und Musliminnen) erzählt Helga Suleiman, ehrenamtliche Seelsorgerin, von ihrem Kampf gegen das Kopftuchverbot am Arbeitsplatz. Das Berufsförderungsinstitut (BFI) Steiermark ist bisher der einzige Arbeitgeber in Österreich, der von dieser Regelung des Europäischen Gerichtshofes Gebrauch macht. Helga Suleiman erhob Einspruch gegen die Dienstanweisung, wandte sich an die Arbeiterkammer (AK) und erhält von dieser nun Rechtsbeistand. Bis das vom der AK in Auftrag gegebene Gutachten eingeholt ist, darf Suleiman weiter mit Kopftuch unterrichten.

Annenpost: Frau Suleiman, Sie sind Gründungsmitglied des Vereins SOMM, der im Bezirk Gries seinen Ursprung hat und sich um junge Musliminnen kümmert. Worin sehen Sie Ihre größte Aufgabe?

Suleiman: Vor sieben Jahren gründeten wir unseren Verein, um Musliminnen und Migrantinnen zu unterstützen. Wir helfen Frauen bei der Arbeitssuche, wir bieten Deutsch- und Alphabetisierungskurse an und arbeiten, im Sinne der Chancengleichheit, eng mit anderen sozialen Einrichtungen in Graz zusammen. Wir wollen den Zugang zum Arbeitsmarkt – vor allem für junge Frauen– erleichtern und helfen in Diskriminierungsfällen am Arbeitsplatz.

Deutschunterricht im Verein SOMM
Die Schülerinnen lauschen konzentriert den Worten der Deutschlehrerin. Foto: Julia Maierl

Aufgrund eines Urteils des Europäischen Gerichtshofes dürfen Sie während Ihrer Lehrtätigkeit kein Kopftuch tragen. Wie hat man Sie über dieses Verbot informiert?

Ich habe es über die Medien erfahren – über das Radio in der Früh. Erst als ich es auch in der Zeitung gelesen habe, habe ich realisiert, dass von mir verlangt wird, das Kopftuch abzunehmen, wenn ich weiterarbeiten will.

Wie haben Sie darauf reagiert?

Ich habe mit meiner Vorgesetzten gesprochen und danach den Geschäftsführer des BFI, Wilhelm Techt, um ein Gespräch gebeten. Dann habe ich mich mit der Gleichberechtigungsanwaltschaft, mit der Antidiskriminierungsstelle und der Arbeiterkammer in Kontakt gesetzt. Dadurch, dass die Arbeiterkammer und der Österreichische Gewerkschaftsbund Mitträger des BFI Steiermark sind, war die AK bereit den Fall zu übernehmen und bot mir Rechtsbeistand an. Bis das Rechtsgutachten eingeholt ist, wird die Dienstanweisung nun außer Kraft gesetzt. Zurzeit trage ich also mein Kopftuch.

„Wir werden sämtliche religiöse Symbole, die bei uns eh keine Tradition gehabt haben – aber auch für die Zukunft – alles religiös motivierte Verhalten und auch Sprache aus dem BFI verbannen, weil wir und unsere Trainer in einer Vorbildfunktion unseren Teilnehmern westliche und humanistische Wertvorstellungen vermitteln wollen“, sagt BFI-Geschäftsführer Techt gegenüber dem ORF Steiermark. Was sagen Sie zu dieser Aussage?

Als könnte man den Alltag und die Religion einfach trennen. Ich bevorzuge den interreligiösen Dialog. In meinen Deutschkursen sprechen wir oft über verschiedenste Traditionen. Fällt ein Kurstag aufgrund eines christlichen Feiertages aus, sind die Teilnehmer neugierig. Sie stellen mir Fragen und möchten genau wissen, was es mit dem Fest auf sich hat. Insofern verstehe ich den Zugang von Herrn Techt nicht. Auf mich wirkt das wie eine Art von Religionsabneigung oder Religionsdistanz, die mir persönlich sehr merkwürdig vorkommt. Ich glaube, so etwas wie völlige religiöse Neutralität gibt es nicht.

Was bedeutet Ihr Kopftuch für Sie?

Da das Wort Kopftuch in der Öffentlichkeit negativ behaftet ist, fällt es mir schwer die richtigen Worte dafür zu finden. Man kann sich nicht für seine Hautfarbe entscheiden, man kann sich aber für seine Kleidung, seine Religion entscheiden. Neben der religiösen Bedeutung ist das Kopftuch für mich auch ein Zeichen der Solidarität und Zusammengehörigkeit.

Die Obfrau des Vereins SOMM betritt das Büro von Suleiman.

Khatera, kannst du erklären, warum du dein Kopftuch trägst?

Khatera Sadr: Ja, natürlich. Aus religiöser Selbstüberzeugung. Religion ist etwas ganz Persönliches. Im Islam gibt es keinen Zwang. Aber in unserem heiligen Buch steht, dass es gut ist, ein Kopftuch zu tragen. Für mich hat es also weniger mit Solidarität zu tun. Es ist eine Sache zwischen mir und meinem Gott. Ich empfinde seelische Ruhe wenn ich es trage. Nicht, dass Sie das falsch verstehen. Wenn ich zum Beispiel faste, nur mit der Absicht von Ihnen gelobt zu werden, ist das keine gute Tat mehr. Wenn ich wegen meinem Mann ein Kopftuch trage, hat das keinen Sinn, keine Bedeutung. Wenn man das Kopftuch selbstbestimmt mit religiöser Überzeugung trägt, hat man diese seelische Ruhe.

Frau Suleiman, können Sie Ihre Position zum EuGH-Urteil kurz darlegen?

Suleiman: Plötzlich ist das Kopftuch in aller Munde und wird hochstilisiert, als wäre es das wichtigste Thema für Arbeitgeber und Arbeitnehmer überhaupt. Im EuGH-Urteil ist die Rede vom Verbot von „weltanschaulichen Symbolen“. Wer definiert das? Wenn das EuGH-Urteil negativ angewendet wird, dann bedeutet das nichts anderes, als dass ein Unternehmer die Freiheit hat eine Frau mit Kopftuch einzustellen oder nicht. Das ist keine Errungenschaft. Letztendlich ist es für die Gesellschaft von Nachteil, weil Minderheiten ausgegrenzt werden. International setzen sich Unternehmen für „diversity“ ein – das ist meiner Meinung nach der richtige Weg. IKEA beispielsweise betont, dass multikulturelle Teams aufgrund ihrer Kreativität gut arbeiten. Sie haben sogar ein eigenes Kopftuch in den IKEA-Farben zur Uniform entwickelt, damit es auch am Arbeitsplatz getragen werden kann.

Wie gehen Sie mit der medialen Aufmerksamkeit um?

Ich habe mich nicht freiwillig für diese mediale Aufmerksamkeit entschieden, versuche aber so gut wie möglich damit klarzukommen. Die mediale Öffentlichkeit ist leider keine Blumenwiese, sondern ein hartes Pflaster. Manche stellen mich als Querulantin dar. Aber wenn ein Verbot, das eindeutig auf kopftuchtragende Frauen abzielt, in Kraft treten soll, muss ich einfach stopp sagen.

Vielen Dank für das Gespräch.

[infobox icon=“info-circle“]

Das Kopftuchverbot ist ein viel diskutiertes Thema. Hier ein paar Links zur bisherigen Berichterstattung des Kurier, der Krone, dem ORF, der Kleinen Zeitung und der Wiener Zeitung über Helga Suleiman und deren Vorgehen gegen das Kopftuchverbot.

[/infobox]

Julia ist eine 1,59 m kleine Person, quirrlig, laut, schräg und sie blödelt gerne. Auf ihre Heimat Bad Aussee, den Mittelpunkt Österreichs, ist sie mächtig stolz. Gerne summt sie Disney Songs und lässt somit alle ihre Mitmenschen den Anfang des König der Löwen Titelsongs (Naaaaaahhhhhhhh, sepenjaaaa...) tagelang nicht vergessen. Zudem hegt sie ein etwas seltsames Faible für Brettspiele und Actionfilme.

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.

eins × 2 =

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Vorherige Geschichte

Giants verlieren Topspiel gegen Raiders

Nächste Geschichte

„Freiheit und Gleichheit sind untrennbar“

Letzter Post in SOZIALES