Hackler am Zug

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Verschieber gelten als klassische Schwerarbeiter. Sie arbeiten bei jedem Wetter im Freien und sind dabei mitunter großen Gefahren ausgesetzt. Eindrücke von diesem Beruf – anlässlich des bevorstehenden Tages der Arbeit am Köflacherbahnhof in Gries gesammelt.
Verschubleiter Wolfram Müller, seit 13 Jahren bei jedem Wetter auf dem Gleis. Foto: Nikolaus Pichler

Als sich eine Gruppe von Männern in gelben Warnwesten am Endbahnhof der Graz-Köflacher Bahn (GKB) auf den Weg zu den Schienen macht und eine Schnellbahn einfährt, scheint in Gries die Frühlingssonne. Das Thermometer zeigt 16 Grad an. Vom Schnee, der gerade in weite Teile Österreichs zurückkehrt, ist Graz verschont geblieben. Perfekte Arbeitsbedingungen für die Mannschaft um GKB-Verschubleiter Wolfram Müller.

365 Tage im Jahr arbeiten sie auf den Gleisanlagen zwischen Zügen und unter Hochspannungsmasten. „Egal ob es draußen stürmt, schneit oder die Sonne hinunterbrennt. Der Zug muss fahren“, sagt Müller. Männer wie er sorgen dafür, dass Eisenbahnwägen richtig zusammengestellt ihren Bestimmungsort erreichen. Sie koppeln sie händisch an und ab und müssen dabei aufpassen, dass sie nicht von den Waggons zerquetscht werden. Das ist der Arbeitsalltag von Verschiebern.

Hohes Gefahrenpotential
Sobald die Lokalbahn zum Stehen kommt und leer ist, gehen Männer in reflektierenden Westen an ihr entlang und prüfen mit geschultem Blick die technischen Gegebenheiten. Damit Fahrgäste und Güter vom Bahnhof in Gries an ihren Bestimmungsort gelangen, müssen Müller und seine Kollegen täglich zwischen Anfang und Ende der Züge hin und her wandern, um die Wägen durch Muskelkraft und Werkzeuge wie Kupplungsstangen Handgriff für Handgriff zu trennen und zu neuen Zügen zusammenzustellen. „Wenn man einen 700 Meter langen Zug hat und das zehn Mal nacheinander machen muss, ist das schon anstrengend“, sagt Müller.

Er und sein Team arbeiten zu fast jeder Uhrzeit an, aber auch in der Pufferzone zwischen zwei benachbarten Wägen, beschottern Gleise und sind hoher körperlicher Belastung ausgesetzt. Nicht umsonst wird der Beruf vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger als Schwerarbeit definiert. Nicht umsonst dürfen Verschieber um bis zu fünf Jahre früher in Pension gehen. Schichtdienste und ein hohes Unfallrisiko kennzeichnen ihren Job. Falsche Handgriffe können tragisch enden. „Einem Kollegen von mir ist vor ein paar Jahren das Bein abgetrennt worden“, erinnert sich Müller.

In diesem Gebäude hat die Graz-Köflacher Bahn, die in der Steiermark zwei Eisenbahnlinien betreibt, ihren Sitz. Foto: Nikolaus Pichler

Outdoorjob
Vor allem im Winter könne es auf den vereisten und verschneiten Gleisen gefährlich werden. Bei wärmeren Temperaturen zu arbeiten, sei ihm persönlich deshalb lieber. Was aber nicht heißt, dass die Bedingungen in den warmen Monaten immer angenehm sind. Im Sommer kann es am Schotter um die Gleise schon einmal 50 bis 60 Grad heiß werden. Die gelbe Sicherheitsbekleidung, die Müller trägt, steigert die Hitze noch zusätzlich. Seit 13 Uhr ist er an diesem Tag im Dienst. Enden wird seine Schicht neun Stunden später.

Von Trubel ist am Bahnhof an der Bezirksgrenze zu Eggenberg nichts zu spüren, einzig zwei Zugpassagiere kommen aus der Unterführung, die zu dem Bahnsteig führt, an dem vorher die Schnellbahn stehen geblieben ist. Dass es am Köflacherbahnhof in Gries etwas ruhiger zur Sache geht als am nur wenige Minuten entfernten Hauptbahnhof, ändert für den Vater einer kleinen Tochter nichts an seinem Job.

Er findet es gerecht, dass er in Schwerarbeiterpension gehen darf. Schließlich gehe die Arbeit an die körperliche Substanz. Bis zum 65. Lebensjahr durchzuhalten, könne er sich nicht vorstellen. „Das ist unmöglich“, sagt der 38-Jährige. Zu groß seien im Lauf eines Verschieberlebens Abnützungserscheinungen wie Kreuzprobleme oder Rückenbeschwerden. Dennoch dramatisiert er nichts. „Die Anhängerkupplung hat noch jeder heben können“, meint er lachend.

Dem Tag der Arbeit am 1. Mai sieht er ohne große Emotionen entgegen. Und auch die Digitalisierung – Schreckgespenst in vielen Branchen – bereitet ihm wenig Sorgen. Menschliche Arbeitskraft werde auch in Zukunft unverzichtbar sein, um Waggons aneinander zu kuppeln, ist Müller überzeugt. „Verschieber wird es immer brauchen.“

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