„In meiner ‚Glanzzeit‘ habe ich drei Doppler und eine Flasche Wodka am Tag getrunken.“ Anlässlich der „Dialogwoche Alkohol“ spricht Reinhard L. über seine Sucht. Im „Aloisianum“ versuchen Menschen wie er den Weg zurück in ein Leben ohne Alkohol zu finden.
Reinhards Hassliebe zum Alkohol entwickelte sich in den 1970er-Jahren, während seiner Kellnerlehre begann er zu trinken. Damals hätte er seinen Konsum noch im Griff gehabt, aber irgendwann – er weiß nicht mehr wann genau – habe er die Kontrolle verloren. Trotz seiner Alkoholabhängigkeit war er später als Fernfahrer tätig. „Ich habe mir immer ausgerechnet, wie lange meine Stehzeiten dauern und mich in diesen ‚flüssig‘ ernährt.“
Im Gegensatz zu vielen anderen Betroffenen, hat Reinhard durch seine Sucht weder seinen Job verloren, noch ist seine Ehe in die Brüche gegangen. Irgendwann sei ihm dennoch klar geworden, dass es so nicht mehr weitergehen könne: „Nachdem ich 2009 zweimal von einem Auto angefahren wurde, habe ich mir gesagt: Reinhard, du musst was ändern. Gesund ist das, was du da machst, mit Sicherheit nicht.“
Es folgten vier Jahre Trockenheit – bis zur Scheidung seiner Ehe. „Jetzt bin ich single und alleine, meine Kinder sind bereits ausgezogen. Ich habe meine Wohnung in Salzburg aufgegeben, bin zuerst nach Knittelfeld und schließlich nach Graz gezogen. Das ist mein Neustart.“
Mit Struktur zurück in ein geregeltes Leben
Heute ist Reinhard einer von 14 BewohnerInnen des Aloisianums. Die stationäre Therapieeinrichtung bietet abstinenzmotivierten AlkoholikerInnen einen Weg aus ihrer Sucht. Nach dem Plan eines Vier-Phasen-Modells soll den Menschen hier der Weg zurück in ein „normales“ Leben geebnet werden.
Reinhards Tag im Aloisianum beginnt – wie für die anderen BewohnerInnen auch – mit der Morgenaktivität. Alle Männer und Frauen verlassen dabei das Haus, um den künftigen Weg in die Arbeit zu simulieren. Wie die Zeit draußen verbracht wird, ob beim Morgensport oder einer Tasse Kaffee, ist nebensächlich. Anschließend findet die sogenannte „Morgenrunde“ im lichtdurchfluteten Wohnzimmer statt, hier werden Termine besprochen und Arbeitsdienste verteilt.
Durch die Reinigung und Instandhaltung des Therapiezentrums sollen sich die Bewohner an die Führung eines eigenen Haushaltes gewöhnen. Gleichzeitig dient diese Zeit auch als Lernfeld für gemeinschaftliches Arbeiten.
Im gesamten Haus verteilt stehen selbstgemachte Vasen, Bilderrahmen und Blumentöpfe, die in den Werkstätten im Keller des Hauses gefertigt wurden. Diese Art der Beschäftigungstherapie – es werden auch Sportarten wie Klettern und Bogenschießen angeboten – soll den BewohnerInnen kreative Freizeitbeschäftigungen näherzubringen.
Gleichzeitig sollen durch solche Aktivitäten die feinmotorischen Fähigkeiten der Hände wiedererlangt werden. Das bekannte Zittern, das viele Menschen mit dem Bild trockener Alkoholiker verbinden, entsteht oft durch den körperlichen Entzug.
„Verschweigen ist scheiße“
Ein zentraler Teil der Therapie ist der offene Umgang mit den eigenen Problemen und mit Rückfällen. Damit hatte Reinhard vor allem zu Beginn Probleme. Einen Rückfall zuzugeben, bedeutet für ihn, sich seine eigenen Schwächen einzugestehen. Während seiner Zeit im Aloisianum hatte er zwei Rückfälle.
Es gehöre oft nicht viel dazu, erzählt er: „Einmal bin ich auf der Terrasse in der Einrichtung gesessen, als mir der Gedanke kam: So ein ‚Achterl‘ wär’s jetzt. Dann bin ich zum Flughafen gefahren und habe mir dort Wein gekauft. Ich habe mein ‚Achterl‘ getrunken, den Fliegern zugeschaut und bin heimgefahren.“
Im Aloisianum wird zwischen offenen und verdeckten Rückfällen unterschieden. Gibt der/die BewohnerIn den Rückfall offen zu, beschäftigt sich anschließend ein/e TherapeutIn mit den Gründen, die dazu geführt haben. Auf Verschweigen folgt eine Verwarnung, nach drei Verwarnungen kommt es zum Ausschluss. Reinhard hat mittlerweile zwei. Zur dritten, sagt er, werde es aber nicht kommen.
Sich selbst ein Alkoholproblem einzugestehen, erfordert viel Mut. Für Reinhard hat es lange gedauert, bis er diesen aufbringen konnte. Er bezeichnet sich selbst als „Spiegeltrinker“. Früher begann er seinen Tag, schon vor der Tasse ersten Kaffee, mit einem Glas Wodka – um den Alkoholpegel zu erreichen, den er zu brauchen glaubte.
„Ich bin ein Ziehender, ich bin ein Fliegender“
Reinhard erzählt, wie ihm ein Arzt einmal sagte: „Sie haben die einfachste Krankheit der Welt, Sie müssen nur aufhören zu trinken.“ Aber keinen Alkohol zu trinken, erfordert Stärke – zu jeder Tages- und Nachtzeit. In den ersten Monaten seines Lebens als „Trockener“, sei ihm im Weinregal des Supermarktes der kalte Schweiß ausgebrochen.
Eine Erfolgsgarantie gibt es für niemanden. Trockenheit erfordert eine absolute Umstrukturierung des eigenen Lebens. Gewohnheiten müssen aufgegeben, Alternativen und Strategien für den Ernstfall entwickelt werden.
Oft bedeutet dieser Lebenswandel auch das Abwenden von Freunden. „Das sind dann aber keine richtigen Freunde, das sind Saufkumpanen. Wenn einer herkommt und meint: ‚Geh, trink noch eines‘, brauch ich diesen Menschen nicht in meinem Leben.“ Für Reinhard ist entscheidend, dass er nichts trinken will und nicht, dass er nichts trinken darf. Er entscheide sich Tag für Tag bewusst dagegen, Alkohol trinken zu wollen.
Nach seinem Auszug aus dem Aloisianum werde er auf jeden Fall die Nachbetreuung in Anspruch nehmen. Allerdings halte ihn nichts mehr in Graz. Reinhard genießt das Gefühl frei zu sein und plant in naher Zukunft einen Reisebus zu einem Wohnbus umzubauen um damit durch Europa zu reisen. Für ihn ist klar, dass er nicht lange an einem Ort bleiben kann.
Schon in seiner Jugend, ob im Gastgewerbe oder als Fernfahrer, war er immer auf Reisen. „Ich bin ein Ziehender, ich bin ein Fliegender.“ Das will er auch jetzt nicht aufgeben, vor allem da er nun an nichts und niemanden mehr gebunden ist. „Es ist eine absolut geile Sache, wenn man keinen Zwang hat.“