“Man fühlt sich wie ein nutzloser Niemand”

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Vom Callcenter-Job und einem Burnout auf die Theaterbühne. Beim aktuellen Projekt von InterAct sprechen Betroffene über Themen wie Arbeitslosigkeit und Mindestsicherung.

Was ist das Mindeste, das ein Mensch zum Leben braucht? Bedeutet bedarfsorientierte Mindestsicherung automatisch „soziale Hängematte”? Diese Fragen sorgen nicht erst für Diskussionen, seit Nieder- und Oberösterreich im Alleingang eine „Mindestsicherung light” eingeführt haben, auch in den aktuellen Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP und FPÖ wird überlegt, diese Sozialleistung künftig zu „deckeln”.

Dass davon nicht nur Asylberechtigte betroffen wären, zeigt der Fall einer alleinerziehenden Mutter. Sie bringt an diesem Nachmittag des 4. Dezember in einem Seminarraum in der Karlauerstraße 16 ihr wirkliches Leben als Theaterszene zur Aufführung. Vom AMS sei sie aufgefordert worden, einen Vollzeitjob aufzunehmen. Lehne sie diesen ab, drohen Kürzungen bei der dringend benötigten Mindestsicherung. Hoffnungslos und überfordert verlässt sie das AMS-Gebäude. Was am Ende übrig bleibt, ist eine verzweifelte Mutter mit Existenzsorgen und fehlendem Betreuungsplatz für ihr Kind.

Was kann Theater dazu beitragen?

Es ist kein herkömmliches Theaterstück, das die seit 1999 aktive Werkstatt für Theater und Soziokultur InterAct im Rahmen des Projekts „Das ist ja wohl das Mindeste!” auf die Bühne bringt. Es gibt keine vorgefertigten Texte und Schauspieler, die in Rollen schlüpfen. Vielmehr bringen die Spieler ihre eigenen Erfahrungen, Ängste und Sorgen auf die Bühne. Besondere Kenntnisse und Fähigkeiten im Theater sind nicht notwendig um mitzumachen. Forumtheater nennt sich diese Methode. „Bei der Entwicklung eines solchen Stückes spielen vor allem eigene Lebenserfahrungen eine große Rolle“, erklärt Michael Wrentschur, Geschäftsführer und Mitbegründer von InterAct.

Für die aktuelle Produktion erarbeitete eine Gruppe aus 12 Personen in einem mehrtägigen Workshop alltägliche Szenen zum Thema Mindestsicherung. Diese enden meist in einem bewusst herbeigeführten Konflikt. An dieser Stelle springt, so will es das Prinzip Forumtheater, das Publikum ein: Durch intensiven Dialog und das aktive Mitwirken auf der Bühne sollen neue Lösungsansätze gefunden werden. Das Konzept stammt vom brasilianischen Theatermacher Augusto Boal und ist Teil der Methodenreihe im Theater der Unterdrückten.

Michael Wrentschur regt als Moderator das Publikum zur aktiven Teilnahme an. – Foto: Lena Notter

Kürzungen bei den Ärmsten

„In meinen Augen ist das enormes Armutsmobbing, was da betrieben wird”, sagt Ulrike Trummer, eine Teilnehmerin des Workshops im persönlichen Gespräch zu den aktuellen Kürzungsdiskussionen. Sie findet es nicht fair, dass gerade bei den Ärmsten gespart werden soll. „Kürzungen und Deckelungen führen am ehesten in die Armut und Kriminalität“, ergänzt eine andere Workshop-Teilnehmerin, die unter dem Namen Phoenix genannt werden möchte.

Beide arbeiteten sie in einem Callcenter, bevor sie durch die Folgen eines Burnouts in die Arbeitslosigkeit schlitterten. Besonders belastend empfinden sie die Vorurteile, mit denen sie permanent konfrontiert werden. „Das hat nichts mit Faulheit und Arbeitsunwilligkeit zu tun“, sagt Trummer und weist darauf hin, wie schwierig der Wiedereinstieg in die Berufswelt sei. Auf persönliche Bedürfnisse und Fähigkeiten werde dabei keine Rücksicht genommen, vor allem im fortgeschrittenen Alter. „Man fühlt sich wie ein unmündiger, nutzloser Niemand.“

Theater macht Politik

„Vor allem diejenigen, die es betrifft, kommen im aktuellen medial-politischen Diskurs nicht zu Wort“, sagt Projektleiter Wrentschur. Ihm war es ein Anliegen, in Form von Theater einen Beitrag zu diesem sozialpolitischen Thema zu leisten. Im Frühjahr soll die Produktion intensiv weitergeführt werden. Ziel sei es, durch weitere Aufführungen eine politische Agenda zu entwickeln. Das letzte InterAct-Projekt „Kein Kies zum Kurven kratzen” war so gebaut – das Stück wurde 2010 sogar im österreichischen Parlament aufgeführt. Wenn Theater in dieser Form auf politische Personen und Orte stößt, spricht man von „legislativem Theater”. Diese Steigerung hat sich InterAct auch für das aktuelle Projekt zum Ziel genommen.

Landtagsabgeordnete der Grünen Sandra Krautwaschl greift am 4. Dezember aktiv in eine Theaterszene ein und präsentiert ihren Lösungsvorschlag. Im Hintergrund Ulrike Trummer. – Foto: Lena Notter

Am 4. Dezember, als die erarbeiteten Szenen im ERfA erstmals vor Publikum aufgeführt wurden, war im Ansatz zu erleben, wie das gehen könnte. Im Publikum befanden sich Vertreter aus der Politik, vom Sozialamt Graz, der Schuldnerberatung und anderen Organisationen wie der AMSEL oder bbs/bicycle Graz. In einer anschließenden Diskussionsrunde nahmen sie Stellung zu den Szenen. Im kleinen Rahmen der Aufführung ist man sich über den Aufklärungs- und Handlungsbedarf einig. Offen bleibt jedoch die Frage, wie damit auch die breite Öffentlichkeit erreicht werden kann und welche Maßnahmen es dazu braucht. Am Ende der Veranstaltung resümierte Ulrike Trummer: „Große politische Tornados beginnen oft mit kleinen Tropfen. Es ist besser eine Kleinigkeit zu tun, als nichts zu tun.”

 

Mindestsicherung
Die bedarfsorientierte Mindestsicherung ersetzte 2010 die bis dorthin bestehende Sozialhilfe. Nach gescheiterten Verhandlungen über ein bundesweites Abkommen, gibt es seit 1.Jänner 2017 unterschiedliche Regelungen in den einzelnen Ländern. Die Höhe des Betrages ist somit in jedem Bundesland verschieden und unter anderem vom Familienstand abhängig. Das niederösterreichische Modell einer “Mindestsicherung light” sieht etwa einer Deckelung bei 1500 Euro pro Haushalt bzw. Wohngemeinschaft vor. Weiters erhalten Personen, die weniger als fünf Jahre in Österreich leben, lediglich 570,50 Euro im Monat. In der Steiermark erhalten alleinstehende Personen derzeit 844,46 Euro.

*Titelbild: – InterAct

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