„In Österreich bekam ich eine Stimme.“

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Omar Khir Alanam ist einer der besten Poetry-Slammer Österreichs. Deutsch hat er sich nach seiner Flucht aus Syrien mittels YouTube-Videos beigebracht.

Die Stühle im Schutzengelsaal der Pfarre Eggenberg sind fast alle besetzt, im Publikum kann man Gesichter jeden Alters erkennen. Die Kinder in der ersten Reihe warten ungeduldig. Als Omar Khir Alanam den Raum betritt, kehrt Ruhe ein. Mit sanfter, ruhiger Stimme begrüßt er seine Gäste und beginnt seinen ersten Text vorzutragen. Literatur ist für ihn Kunst. „Die Aufgabe dieser Kunst ist es alle Leute zusammenzubringen“, sagt Omar Khir Alanam. Mit seinen persönlichen Geschichten über seine Heimat, seine Flucht und seine innersten Gedanken schafft er es, die Menschen im Saal zu erreichen und zu berühren. Die Klänge der Band Yalla Sham verleihen der Lesung ein orientalisches Flair und lassen einen ein kleines bisschen in Omars Welt eintauchen.

Ein Leben in Angst

In seinen Texten behandelt Omar oft das Thema Heimat und spricht auch ganz offen darüber. Er wuchs in Damaskus, der Hauptstadt Syriens, auf und er erinnert sich heute noch gerne an die Stadt, die Freude, die er dort verspürte, und an den Duft von Jasmin. „In Damaskus ist Freude in der Luft, es ist etwas ganz Besonderes. Gewalt passt gar nicht nicht zu dieser Stadt.“ Doch Damaskus habe eben auch ein zweites Gesicht, erzählt Omar im Gespräch am Tag vor der Lesung – die Diktatur des Präsidenten Baschar al-Assad und den seit Jahren wütenden Krieg. Omar wuchs mit den Sätzen „Pscht, sag das nicht!“ oder „Mach das nicht!“ auf. Er sei in Syrien unter ständiger Beobachtung gestanden, und die Angst, vom syrischen Geheimdienst festgenommen zu werden, begleitete ihn sein Leben lang.

Im Frühjahr 2011 schien sich das Blatt jedoch zu wenden, als sich im Zuge des Arabischen Frühlings Tausende Syrer trauten, sich gegen den Präsidenten zu stellen und für Freiheit und Demokratie zu demonstrieren. „Es war für mich faszinierend, dass die Leute keine Angst hatten, gegen die Gewalt zu singen.” Auch Omar beteiligte sich an den Demonstrationen und riskierte sein Leben, denn das Regime reagierte auf die friedlichen Proteste mit Gewalt und Festnahmen, der Geheimdienst schoss damals einfach in die Menge.

Im Jahr 2013, Omar Khir Alanam war damals 21, sollte er zum Militär eingezogen werden. Das brachte ihn in einen Gewissenskonflikt: „Es blieb mir die Wahl: erschießen oder erschossen werden.” Damals entschied er sich, seine Heimat zu verlassen. Seine Flucht nach Österreich führte ihn über den Libanon und die Türkei. An der österreichischen Grenze wurde er zunächst festgenommen, musste eine Nacht im Gefängnis verbringen, wurde dann ins Burgenland, nach Salzburg und Tirol gebracht und konnte sich schließlich einen Monat nach seiner Ankunft in Graz niederlassen.

Was Omar am liebsten an Graz mag: die Leute – Foto: Katharina Russold

Österreich als seine neue Heimat

Zu Beginn fühlte er sich fremd in der neuen Stadt, erzählt er. Nichts glich hier seiner Kultur und seiner Heimat. Doch Omar schaffte es schnell, sich zu integrieren. Mit YouTube-Videos und Gesprächen mit Einheimischen auf der Straße brachte er sich selbst Deutsch bei. Die Frage, woher er komme, sei ihm am häufigsten gestellt worden. Heute sieht Omar Österreich als seine Heimat an und bezeichnet Graz als die Schwesterstadt von Damaskus. Die Offenheit und die Freundlichkeit der Grazer hätten ihm geholfen, sich im neuen Land wohlzufühlen. „Heimat ist keine Stadt, kein Land, keine Nationalität, es kann viel mehr sein“, meint Omar. „In Österreich habe ich eine Stimme bekommen und das fühlt sich für mich nach Heimat an.“

Anders als hier in Österreich habe er in Syrien seine Gedanken nie frei aussprechen oder zu seiner Meinung stehen können. Daher versuchte er sie in lyrischen Texten zu verschlüsseln, die er noch dazu in seiner Wohnung verstecken musste. In Österreich fand Omar dann nicht nur eine Stimme sondern auch eine neue literarische Sprache. Seine Karriere als Poetry-Slammer begann er durch Zufall, als er auf die Anzeige eines Schreibworkshops des bekannten Poetry-Slammers Mario Tomic stieß. Im Zuge dieses Workshops gewann er gleich seinen ersten Wettbewerb und entdeckte seine Liebe für diese ganz besondere Form der Literatur. Omar ist der Meinung, dass Lyrik eher die ältere Generation anspricht, Prosa hingegen die jüngere. Er sagt: „Ich habe eine Geschichte und ich will alle damit erreichen, deswegen mache ich beides.“ In seinen Texten spricht er über Heimat, Exil, über Ausgrenzung, Revolution, Flucht, Identität und Liebe.

Omar schreibt auch Texte für die Band Yalla Sham – Foto: Katharina Russold

Sein Ziel, viele Menschen anzusprechen, hat er erreicht. Bei den Österreichischen Poetry-Slam Meisterschaften in Wien belegte er im Oktober den dritten Platz. Seitdem tritt er in ganz Österreich mit seinen Texten auf, manchmal sogar in Deutschland. Auch wenn er das Schreiben nur als ein Hobby ansieht, bedeute ihm die Literatur alles. „Wenn ich noch einmal weggehe, dann sind meine Texte  das erste, was ich mitnehme.“

 

Infobox
Für diejenigen, die sich ein eigenes Bild von Omars Texten machen wollen, bietet sich sein neuester Artikel im Megaphon Magazin an. Er erzählt von seinen ersten Erfahrungen mit dem Weihnachtsfest hier in Österreich und von Feiertagen in Syrien.

Demnächst ist Omar bei der Veranstaltung Peace Babies am 24. und 28. Jänner in Graz zu hören. Mehr Informationen unter: http://www.peacebabies.at/

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